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Fünf Fragen an Anna-Theresa Korbutt, Geschäftsführerin, Hamburger Verkehrsverbund

Bislang hat sich im Change Management noch kein Konzept als ultimativ richtig erwiesen. Veränderungen in Organisationen verlaufen höchst unterschiedlich. Deshalb sind die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke der Verantwortlichen auch so verschieden. Uns interessiert die persönliche Perspektive von erfolgreichen Managern und Managerinnen. Diesmal stellt sich Anna-Theresa Korbutt unseren fünf Satzeröffnungen.

Meine bislang größte/wichtigste Business Transformation war …

Ich würde diese Frage gerne auf zwei Wegen beantworten:

Menschlich: Die Existenzsicherung eines Unternehmens, das durch viele Fehlentscheidungen der Vergangenheit in massive finanzielle Schieflage geraten war. Es hat mich sehr viel Energie und Willen gekostet, dieses Unternehmen trotz aller negativen Vorzeichen wieder auf die Beine zu stellen und somit zahlreiche Arbeitsplätze mitabgesichert zu haben.

Fachlich: Die Umsetzung und Mitentwicklung des Deutschlandtickets als das ÖPNV-Tarifangebot der Zukunft. Nach 20 Jahren in der Verkehrsbranche hat das Deutschlandticket dem ÖPNV endlich auch ein Gesicht gegeben. Die erfolgreiche Einführung im Hamburger Verkehrsverbund und der „Drive“ aller beteiligten Parteien hat mich sehr stolz gemacht.

Veränderungen von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung im Wesentlichen geprägt durch …

„Menschen“ und „Ereignisse“. Das Große und Unmögliche kann dann am besten bewegt werden, wenn die richtigen Menschen für eine gemeinsame Sache kämpfen. Es ist der Spirit und die Einstellung, etwas verändern zu wollen; es sind Menschen, die von Natur aus Macher sind, die in sich den Drang haben, das Leben bzw. die Arbeit ein Stückchen besser machen zu wollen. Es sind natürliche Leader, die es schaffen, andere mitzureißen und deren Energie positiv zu bündeln. In der Kombination mit einem externen Ereignis, das Veränderung zwingend erfordert, gelingen Veränderungen dann schnell und erfolgreich.

Die wichtigsten Erfolgsfaktoren von Change Management sind für mich …

Übernimm Verantwortung für dein Handeln. Steh dafür ein und gib deinen Kolleg:innen Rückendeckung, wenn sie diese brauchen.

Habe Mut und sei gewissenhaft in dem, was du tust. Schüttle Gepflogenheiten ab und konzentriere dich auf das, was du erreichen möchtest. Lass dich nicht ablenken von dem, was bisher immer schon so war.

Hab Vertrauen in dich und deine Kolleg:innen. Vertraue dir selbst und anderen. Nicht jede Entscheidung ist von Erfolg gekrönt, aber es ist immer noch besser, als nichts zu tun.

Und außerdem: Passion. Leidenschaft für das, was man tut, ist ein immens wichtiger Faktor, der Berge versetzen und Widerstände aufbrechen kann.

Nicht alles gelingt. Was ich bei Veränderungen in meiner Verantwortung künftig anders machen werde oder was ich durch Lernen aus früheren Fehlern heute bereits anders mache, ist …

Den Kolleg:innen und mir selbst mehr Zeit für den Veränderungsprozess geben.

Auch wenn das Ziel klar ist, ist es immens wichtig, der Veränderung Zeit zu geben.

Ja sogar dem Team und sich selbst eine Verschnaufpause zu gönnen. Einfach die Dinge mal liegen lassen und von oben drauf schauen, was man alles schon erreicht hat. Den zurückgelegten Weg reflektieren und Stolz und Freude zulassen. Das gibt einem Kraft für die nächsten Schritte und erhöht das „Bonding“ aller beteiligten Parteien.

Mein persönlicher Tipp an eine Führungskraft, die Verantwortung für ein Veränderungsprojekt übernimmt, lautet:

Durchhalten. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Veränderungsprozesse zu führen und zu begleiten, beinhaltet, vieles zu erleben und zu hören, was nicht so gut ist, was falsch ist, was nicht gewollt ist.

Man muss erkennen, dass man vielleicht nicht jeden von der notwendigen Veränderung überzeugen kann.

Das darf einen nicht verzweifeln lassen. Es gibt in jedem Projekt Rückschläge. Und bei Veränderungsprozessen sind diese oftmals nicht fachlicher, sondern menschlicher Natur.

Menschen und ihre Emotionen lassen sich nicht auf Charts und in Excel schreiben. Das braucht Zeit, Gespräche, Interaktion. Veränderung löst erst mal Stress aus. Diesen auch negativen Punkten auf dem Weg der Transformation muss man als Projektleiter:in gut begegnen können. Manchmal kann das Frust auslösen – man will etwas Gutes, aber keiner sieht es. An diesem Punkt angelangt, muss man sich Zeit nehmen, mit anderen Peers im Projekt Gespräche führen. Vieles relativiert sich wieder. Durchhalten.

 

 

 

Autorin

Anna-Theresa Korbutt
ist Geschäftsführerin bei der Hamburger Verkehrsverbund GmbH. Zudem ist sie Aufsichtsrätin bei WESTbahn. Ihre Karriere begann sie bei der Deutschen Bahn. Es folgten Stationen bei der BLS AG (Schweiz), den ÖBB (Österreich) und der BEXity GmbH, bevor sie Anfang 2021 zum Hamburger Verkehrsverbund wechselte.
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Ihnen hat das Format „5 Fragen an…“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „5 Fragen an Caroline von Kretschmann, Hotel Europäischer Hof Heidelberg“,

Mindset – einfach ad acta legen

In vielen Unternehmen heißt es häufig: „Wir müssen ans Mindset ran.“ Dem liegt meist die Annahme zugrunde, dass die Veränderung des Mindsets der Mitarbeitenden der Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation ist. Doch das Mindset von Menschen ändert man nicht so einfach. Es ist tief verwurzelt im Kontext, in der Umwelt, in der Persönlichkeit. Vielleicht sollte man gar das Mindset der Menschen ohnehin einfach in Ruhe lassen – sieben Thesen zum Mindset.

Agile, Digital, Serendipity oder Outward Mindset: In den Organisationen sind die Mindsets los. In den Unternehmen werden ebenso lieber Mindsets transformiert als Strukturen verändert. In der Suchmaschine Google suchen schließlich Tausende im Monat nach Begriffen wie „Erfolgs-Mindset“ oder „Money-Mindset“. Doch wie bekommt man so ein „neues Mindset“, wenn man ein unpassendes hat? Wer hat die Administratorrechte für die „Master-Mindset-Einstellung“? Natürlich niemand.

Meine Überzeugung: Mit Mindset, der Denk- und Handlungslogik also, macht man Geld, aber keine Veränderung. Hier kommen sieben Thesen – und was wirklich hilft.

1. Mindset braucht Empathie

„Wenn ich nur könnte, würde ich einen Deal mit Gott machen und ihn dazu bringen, unsere Plätze zu tauschen“, singt Kate Bush in „Running up that hill“. Der Song sollte einmal „A deal with god“ heißen – und startete kürzlich in einer Netflix-Serie seine zweite Karriere.

Es geht darum, dass Kate Bush wissen möchte, wie es sich anfühlt, so eine coole Socke wie ihr Lover zu sein. Sie will dessen „Mindset“. Das geht natürlich nicht.

Genauso wenig kann sich die Führungskraft eines Konzerns einfach das Mindset eines Start-up-Gründers draufladen. Was aber geht, ist sich einzufühlen. Dann merkt man auch, wie verschieden die Bedingungen doch sind. Und dass das Denken und Handeln anderer Menschen nur als Produkt ihrer Gen-Umwelt-Interaktion zu verstehen ist.

Es gibt zwei Coaching-Fragen, die nur zusammen funktionieren. Die erste lautet: Wen bewundern Sie? Die zweite: Wie würde diese Person das Problem/die Frage/die Herausforderung sehen, die Sie gerade haben?

2. Mindset entsteht im Kontext

Womit wir beim nächsten Punkt wären. Nur unter der andalusischen Sonne habe ich auch das legere Beach-Mindset. Es passt nicht in unser Hamburger Büro. Die Denk- und Handlungslogik eines Menschen ist geprägt durch seine Umgebung. Das gilt auch für das Klima, im direkten und indirekten Sinn – also auch das Unternehmensklima. Deshalb macht es viel mehr Sinn, den Kontext zu verändern, als sich an der Umstellung des Denkens von Menschen zu versuchen. Die Einstellungen springen sonst immer wieder auf „Default“, den Standard-Modus.

3. Mindset braucht Systemdenken

Und das führt mich direkt zum nächsten Aspekt. Die Logik der Systeme, in denen wir agieren, bestimmt die Art, wie wir denken und handeln – und sie tun es auch noch, wenn wir es anders entscheiden wollen: Wir möchten zum Beispiel zum Team dazugehören; wir teilen eine Vergangenheit. Das alles ist mächtig, unlöschbar. Denn dadurch haben sich Muster ausgeprägt, die aufgrund von laufenden Wiederholungen existieren. Diese Muster überdauern jedes Mindset-Training. Deshalb ist es wichtig, sich diese bewusst zu machen. Was beeinflusst unser Handeln wirklich? Muster erkennen heißt, entscheiden zu können, sie aufzulösen.

4. Mindset ist „Fühlset“

Das Fühlen kommt vor dem Denken. Und wenn wir etwas verändern, bedeutet das stets auch, eine Konfrontation mit unseren Gefühlen wie Angst, Trauer, Wut oder Freude. Gefühle wollen gefühlt werden – einfach darüber hinwegzugehen auf der Jagd nach dem „Elon-Musk-Mindset“ kann nicht gelingen. Es macht den meisten Leuten Angst, sich auf etwas Neues einzulassen. Jede Transformation wird deshalb von Versagensängsten begleitet, von Unsicherheiten, von Scham. Das ist eine Voraussetzung, damit ich mich überhaupt auf neues Denken einstellen kann. Wer das leugnet, produziert roboterähnliches Verhalten oder Versagensgefühle.

5. Mindshifts sind identitätsverändernd

Jede Veränderung des Denkens ist eine Veränderung der Identität.

Es geht von „ich bin“ zu „ich war“. Welche nachhaltige Wirkung dieser kleine Shift hat, ist Change-Planern oft nicht bewusst. Nehmen wir beispielsweise die agilen Rollen, die mit anderem Verhalten einhergehen sollen: Das bedeutet auch, dass ich Abschied nehme von dem Status einer Position oder der Macht der Kontrolle. Das ist alles andere als ein Selbstläufer – und in den gewohnten Strukturen oft gar nicht möglich. Dort passt man das vermeintlich Neue den vorhandenen Mustern einfach an.

6. Mindset ist Embodiment

Wir neigen dazu, unser Gehirn über alles zu stellen. Auch deshalb ist Mindset so beliebt – es ist in Gehirn-Nähe. Das ist die alte und überholte Vorstellung von der Überlegenheit des Kopfes. In Wahrheit jedoch ist es unser Körper, der lernt. Dort sind mentale Markierungen gespeichert, Erinnerungen.

Wenn wir neues Verhalten lernen, geht das nur über eine reflektierte Körpererfahrung. Andernfalls spulen wir Inhalte nur ab. Das Ergebnis sehen wir bei Führungskräften, die zwar bestimmte Kommunikationstechniken gelernt haben, diese aber nicht fühlen können. Die Folge ist ein professionelles, aber hohles Runterrattern von gelernten Phrasen, das beim anderen auch genau so ankommt.

7. Mindset ist paradox

 Mindset ist paradox. Es gibt kein Set-up, an dem eine „Einstellung“ vorgenommen werden kann, keine Knöpfe, die irgendjemand drücken kann, um eine Veränderung vorzunehmen. Auch nicht die betreffende Person selbst. Denn Mindset ist tief verwurzelt im Kontext, in der Umwelt, in der Persönlichkeit. Die Einstellung eines Menschen ist Produkt seiner Umgebung, erwachsen aus seinen vergangenen Erfahrungen. Diese Einstellung lässt sich auch nicht so einfach von der Persönlichkeit trennen, um daraus ein „fancy“ Innovations-Mindset zu machen. So ist Mindset vielmehr eine Vorstellung – vielleicht eine, die wir einfach ad acta legen sollten.

Es gibt keinen Deal mit Gott. Wir werden nie denken, wie jemand anderes denkt. Aber wir können uns inspirieren lassen. Wir können nicht kopieren, aber wir können unsere Perspektive erweitern. Das ist doch schon mal viel wert – und vielleicht auch entlastend.

 

 

 

Autorin

Svenja Hofert

ist Expertin für Potenzialentwicklung und Veränderung. Sie ist vielfache Buchautorin, Ausbilderin und Coach. Sie veröffentlicht zweimal im Monat den kostenfreien Newsletter „Weiter denken“ (https://svenjahofert.substack.com). Ihr aktuelles Buch „Mach dich frei! 100 mentale Modelle für klares Denken & bessere Lösungen“ erscheint im September bei Campus.
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Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Judith Muster.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Nicht unbedingt. Organisationen sind zwar keine rationalen Maschinen, die man mit den richtigen Methoden zum reibungslosen Laufen bringt. Dafür sind Organisationen viel zu wilde Systeme mit Eigenlogiken, die man sehr spezifisch verstehen und verändern muss. Dennoch: Manchmal helfen Methoden, Legitimation für Vorgehensweisen zu erzeugen. Und Legitimation für Veränderungen ist nicht immer leicht herzustellen. Nutzt man dafür Methoden, braucht es allerdings unbedingt eine Anpassung an die jeweilige Organisation.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Bei der Lektüre einiger Liberating Structures. Insbesondere die, die sich auf die Gestaltung von Interaktionen beziehen. Hier zeigt sich, dass gute Interaktionen strukturierende Rahmen brauchen. Nur in einem gut geplanten Raum können sich Gedanken frei entfalten.

Du bist Organisationsentwicklerin. Was hilft dir, eine Organisation besser zu verstehen?

Die frühe Systemtheorie Niklas Luhmanns, insbesondere seine funktionale Analyse. Sie geht von der Prämisse aus, dass Organisationen Probleme lösen müssen und dafür einen besonderen Modus zur Verfügung haben, nämlich den der Strukturbildung. Jedes Problem kann durch unterschiedliche Strukturen gelöst werden. Das heißt, Strukturen sind hinsichtlich des Bezugsproblems, das sie lösen, funktional äquivalent. Die Analyse zielt darauf ab, solche funktionalen Äquivalente zu identifizieren, und beschreibt dann die Folgeprobleme der jeweiligen Lösungen. Denn jede Struktur hat mehr als einen Effekt. Manche dieser Effekte sind Lösungen für Probleme. Andere Effekte sind ihrerseits problematisch, sie erzeugen Folgeprobleme.

Am Ende entscheidet man sich dann für Probleme und nicht für Lösungen.

Nämlich für solche Probleme, die man in Zukunft am besten managen kann.

Was begeistert dich so sehr an der Systemtheorie in Bezug auf Organisationsberatung?

Die Systemtheorie wird der empirischen Realität von Organisationen gerecht. Sie beschreibt nicht, wie Organisationen normativ sein sollen, sondern so, wie sie tatsächlich sind. Dabei bietet sie Begriffe an, die man wie Suchscheinwerfer oder Röntgengeräte einsetzen kann – um besser zu sehen. Das hat etwas enorm Entlastendes, so erlebe ich das in der Praxis.

Wenn es einen soziologischen Fachbegriff dafür gibt, wenn ich beispielsweise die Regeln beuge, um meinen Job gut zu machen (nämlich „brauchbare Illegalität“), dann kann ich leichter sehen, dass es sich um ein typisches Phänomen in Organisationen handelt – und nicht um persönliches Versagen.

Die Systemtheorie lenkt die Aufmerksamkeit weg von der „Schuld“ der Organisationsmitglieder hin zu den Eigenlogiken des organisierten Systems. Sie weist darauf hin, dass Organisationen dazu tendieren, ungelöste Organisationsprobleme hin zu ihren Mitgliedern zu verschieben und ihnen die Schuld dafür zu geben, wenn etwas nicht funktioniert.

Dabei macht es viel mehr Sinn an den Verhältnissen anzusetzen, nicht am Verhalten Einzelner.

Warum lieben Beraterinnen und Berater eigentlich Workshops als Instrument so sehr?

Das ist eine sehr gute Frage. Es scheint tatsächlich jeder Beratungsprozess immer auf einen Workshop hinauszulaufen. Das lässt sich vermutlich auch gut verkaufen. Dabei wird allerdings häufig übersehen, dass nicht der Workshop, sondern die Vorbereitung des Workshops die Veränderung anlegt. Wir empfehlen, mit mindestens der Hälfte der Teilnehmenden eines Workshops vorher intensive Gespräche zu führen, meistens sogar mit allen Beteiligten. So wird die Verständigung diskursiv vorbereitet.

Im Workshop wird sie dann nur noch erlebt. Ich will die Funktion von Workshops nicht kleinreden, aber der wesentliche Teil beraterischer Tätigkeiten liegt in der Phase vor dem Workshop. Hier geht es darum, die unterschiedlichen Rationalitäten miteinander in den Diskurs zu bringen, die zentralen Gestaltungshebel zu identifizieren und zu verproben, das Denken zu öffnen und mikropolitische Fallstricke auszuräumen. Mit den Ergebnissen der Sondierungsgespräche sollten die zentralen Akteure übrigens nicht auf offener Bühne überrascht werden. Oft braucht es daher sogar mehrere Gesprächsrunden.

Und worauf legst du grundsätzlich immer Wert, wenn du einen Workshop gestaltest?

Neben der organisationssoziologischen Analyse braucht es für einen Workshop ein gutes moderatives Handwerk – von der Thesenbildung über die Blitzdiskussion von Analyseergebnissen bis hin zur Ergebnissicherung sowie dem Sprechzettel für die Kommunikation nach dem Workshop. Ganz wichtig: mindestens zwölf Tafeln im Raum.

Welche Kompetenz sollte jeder Organisationsentwickler bzw. jede Organisationsentwicklerin mitbringen?

Die Fähigkeit, virtuos mit Kontingenz umzugehen. Und zwar auf drei Weisen: Meist gilt es zu Beginn, Kontingenz zu erhöhen, wenn die Kund:innen zu schnell den Lösungsraum schließen wollen. In einigen Phasen des Beratungsprozesses kann es darum
gehen, Kontingenz zu verändern. Nämlich wenn sie erschlagend wirkt und Handlungsoptionen unsichtbar werden. Am Ende einer Beratung gilt es, Kontingenz zu strukturieren, damit Entscheidungen bindend getroffen werden können. Das Aushalten von Kontingenz ist für die Kund:innen meistens nicht leicht. Als Berater:in muss man den Kontingenzraum gestalten können.

Wer oder was inspiriert dich besonders, wenn es um Veränderungsbegleitung geht?

Die Gründungsgeschichte von Metaplan. Die Gründer kommen ursprünglich aus der Gestaltung von Büros, das war vor über 50 Jahren. Um das besser tun zu können, haben sie sich theoretisches Wissen besorgt, Theoretiker eingeladen und sogar einen Verlag gegründet. Sie haben die Metaplan-Moderationsmethode entwickelt, um besser zwischen verschiedenen Rationalitäten moderieren zu können, dafür haben sie mit Künstler:innen zusammengearbeitet. Sie waren neugierig und haben viel ausprobiert. Das inspiriert mich sehr.

 

 

 

Autorin

Judith Muster
ist Partnerin bei der Beratungsgesellschaft Metaplan. Sie ist zudem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie in Potsdam.
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Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird die Arbeits- und Unternehmenswelt verändern – Zusammenarbeit, Prozesse und Geschäftsmodelle prägen. Doch noch stehen die meisten Organisationen ganz am Anfang. Jan-Paul Leuteritz vom Fraunhofer IAO skizziert erste Wege zum erfolgreichen Einsatz von KI.

Neulich sagte mir ein Bekannter: „Das Arbeiten mit unseren stumpfen Messern dauert so lang, dass wir keine Zeit zum Schleifen der Messer haben.“ Das war nicht wörtlich gemeint. Er arbeitet in einer Tech-Firma und wir sprachen über Organisationsentwicklung. Natürlich dachte ich sofort: Dann schleift endlich die Messer, die eingesetzte Zeit habt ihr schnell wieder aufgeholt.

Die Metapher ist schön, aber sie hinkt, wenn wir uns fragen, wie viel Organisationsentwicklung es braucht, um KI-Technologie im Unternehmen nutzbar zu machen.

KI soll und kann nicht wie am Fließband eingeführt werden.

Erst einmal sind eine oder zwei der „Low hanging fruits“ zu pflücken, also solche Anwendungsfälle umzusetzen, die technisch und organisatorisch wenig komplex sind, im Verhältnis dazu aber einen großen Gewinn oder Vorteil versprechen.

Oft erst einmal ein KI-Pilotprojekt durchführen

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) möchten oft erst einmal ein KI-Pilotprojekt durchführen, bevor sie eine auf Digitalisierung und KI ausgerichtete Unternehmenstransformation angehen. Um in der Küchen-Metapher zu bleiben: Der Schleifstein kommt erst zum Einsatz, wenn die Verkostung der ersten KI-Anwendung durch die Mitarbeitenden erfolgreich war. Für viele Unternehmen stellen sich also folgende Fragen:

  • Welche strategischen Maßnahmen sind unbedingt notwendig, um zumindest ein erstes KI-Projekt erfolgreich abschließen zu können?
  • Und welche Transformationsmaßnahmen brauchen wir dann erst für den Schritt vom KI-Rookie zum KI-Champion?

Im Projekt „KI-ULTRA“ am Fraunhofer IAO haben wir im Auftrag der Abteilung „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) 29 Organisationen in Deutschland bei der Einführung von KI-Anwendungen begleitet und dabei gemeinsam erforscht, was die Unternehmen brauchen, um die Potenziale von KI-Technologien wirklich ausschöpfen zu können.

Die Ergebnisse haben wir sowohl in einigen inspirierenden Fallbeispielen als auch in zwei Leitfäden zusammengefasst:

Empfehlungen

Wenn ein Unternehmen das Ziel hat, ein KI-Pilotprojekt durchzuführen, dann kann der „Leitfaden zur Durchführung von KI-Projekten“ (zugänglich ab November) des Fraunhofer IAO eine Orientierung bieten.

Die Empfehlungen zur Unternehmenstransformation sind dagegen im „Leitfaden zu Strategie und Wandel für den KI-Einsatz“ enthalten.

Welche strategischen Aspekte sollte man aber nun priorisieren, wenn man den Aufwand vorerst begrenzen will?

Konstruktives Arbeitsklima als wichtige Voraussetzung

Die wohl wesentlichste Voraussetzung für den Erfolg eines KI-Pilotprojekts besteht in einem konstruktiven Arbeitsklima, das es erlaubt, Hindernisse gemeinsam und über Zuständigkeitsgrenzen hinweg zu überwinden. Als wir die teilnehmenden Unternehmen gefragt haben, woran man eine gut für den KI-Einsatz vorbereitete Organisation erkennt, wurden folgende Aspekte mit Abstand am häufigsten genannt:

  • Daten: Man sollte eine ausreichende Datenqualität und -quantität gewährleisten, eine Datenstrategie (Data Governance) aufsetzen, und die nötige Software und Infrastruktur bereitstellen.
  • Organisationskultur: Hier wurden Aspekte einer Vertrauens-, Kooperations- und Innovationskultur genannt, inklusive einer Fehlerkultur. Auch eine „Datenkultur“ wurde erwähnt, die sich dadurch auszeichnet, dass die Beschäftigten die Wichtigkeit von Daten für den Erfolg der Organisation anerkennen und ihre Entscheidungen soweit möglich datenbasiert treffen.
  • Interne Unterstützung: Dabei dachten die Befragten an einen aktiven Treiber in der Unternehmensführung, der für die benötigten finanziellen Mittel und das entsprechende Personal sorgt. Oft werden KI-Pilotprojekte von einer kleinen Gruppe begeisterter Beschäftigter angestoßen und umgesetzt, die dabei aber von der Unterstützung von oben abhängen.
  • Kompetenzaufbau bei den Mitarbeitenden: Nur wenn sich die Mitarbeitenden beim Grundlagenwissen zu den Potenzialen und Grenzen von KI-Anwendungen hinreichend kompetent fühlen, können sie sinnvolle Anwendungsfälle für ihr eigenes Arbeitsumfeld identifizieren.

Die beste Empfehlung bleibt aber natürlich, mögliche Maßnahmen am KI-Reifegrad oder Transformationsbedarf der Organisation zu orientieren.

Im Projekt „KI-ULTRA“ haben wir mit dem „Evaluation Toolkit“ ein entsprechendes Instrument entwickelt, das wir ebenfalls kostenfrei auf der Website zur Verfügung stellen. Hier kann man mit wenigen Klicks eine Umfrage für das eigene Unternehmen erstellen und dann eine Auswertung herunterladen, die auf entsprechende Kapitel in den Leitfäden verweist. Mit den Hilfsinstrumenten Toolkit und Leitfaden gelingt es leicht, sich einen Eindruck zu verschaffen, ob man bereit ist, ein Pilotprojekt anzugehen.

 

Folglich ist es absolut in Ordnung, mit einem konkreten KI-Projekt zu starten, bevor man tiefgreifende Maßnahmen der Organisationsentwicklung durchführt. Wohl wissend, dass man irgendwann doch mit den Messern an den Schleifstein muss.

 

 

 

Autor

Dr. Jan-Paul Leuteritz
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IAO. Er hat das Projekt „KI-ULTRA“ geleitet.
»Jan-Paul bei LinkedIn

„Wie siehst du das?“

Im Rahmen von Transformationsvorhaben und Change-Projekten sind Workshops selbstverständlich beliebte Instrumente. Und mittlerweile sind diese sogar in eher klassischen Konzernen durchaus erlebnisorientiert gestaltet. Es wird Wert auf die Details gelegt und es werden innovative Methoden eingesetzt. Eine professionelle Moderation sorgt für Abwechslung: Klar, auch die Ansprüche der Teilnehmenden wachsen.

Bei aller Erlebnisorientierung darf allerdings die Wirksamkeit nicht verlorengehen. Die Teilnehmenden sollen einen Nutzen von dem Workshop haben. Der wird häufig jedoch weniger durch kreative Erlebnisse erzeugt als vielmehr durch ganz einfache Dinge. Das ist das, was ich im Laufe der Zeit festgestellt habe. Und zu diesen „einfachen Dingen“ gehört vor allem: Raum für Austausch.

Gemeinsam neue Ansätze suchen

Meiner Erfahrung nach honorieren Teilnehmende fast immer, wenn sie die Möglichkeit bekommen, sich zu vernetzen und sich über Herausforderungen in ihrem Job auszutauschen – und zwar nicht mit dem Trainer oder der Moderatorin, sondern mit Menschen, die ähnliche Herausforderungen haben. Das können zum Beispiel Mitarbeitende aus demselben Unternehmen in ähnlicher Funktion, aber in einem anderen Bereich sein. Oder aber auch Externe, die man bei einem unternehmensübergreifenden Austausch trifft, die in einer anderen Organisation arbeiten, aber vergleichbare Probleme im Joballtag zu bewältigen haben.

Als ganz besonders wertvoll habe ich diesbezüglich die „kollegiale Fallberatung“ erlebt, bei der ein konkretes berufliches Anliegen einer Person im Rahmen eines Beratungsprozesses besprochen wird – eine machtvolle Methode. Kollegen und Kolleginnen bringen ihre Perspektiven, ihr Fachwissen, ihre Erfahrungen ein, um in Bezug auf den jeweiligen „Fall“ gemeinsam nach Lösungen und neuen Ansätzen zu suchen. Wichtigste Voraussetzung dabei ist die Bereitschaft, sich zu öffnen, und dafür braucht es ein Gefühl der „psychologischen Sicherheit“.

Dieses Gefühl haben viele Führungskräfte in ihrem eigenen Unternehmen oft nicht, weshalb die kollegiale Fallberatung für diese Gruppe meist noch besser unternehmensübergreifend funktioniert als intern. Unter Gleichgesinnten aus anderen Organisationen haben sie nichts zu befürchten und können sich öffnen. Und die Führungsthemen sind in vielen Unternehmen ähnlich. Das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Herausforderungen der Führungskräfte, die sich häufig in einer unangenehmen „Sandwich-Position“ befinden, ist deshalb groß.

Glaubwürdige Expertinnen und Experten

Allgemein kann man beobachten, dass das vernetzte Lernen unter den Mitarbeitenden an Bedeutung gewonnen hat – nicht selten zulasten der klassischen Trainings und Seminare. Viele Kolleginnen und Kollegen haben enormes Fachwissen und vielfältige Kompetenzen, an denen sie andere gerne teilhaben lassen. Das Potenzial ist riesig. Hinzu kommt, dass diese Expertinnen und Experten in der Regel eine große Glaubwürdigkeit genießen und sie das Unternehmen kennen. Sie wissen um die organisationalen Herausforderungen.

Und Glaubwürdigkeit ist schließlich auch ein Grund, warum die Kollegen und Kolleginnen auch im Rahmen von Change-Prozessen in einer Organisation eine wichtige Rolle spielen – als Multiplikatoren oder im Falle einer Software-Einführung zum Beispiel als Key User, die als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Das Voneinanderlernen und Mitarbeitende als Key User und Multiplikatoren, die mit Herz und Überzeugung hinter einem Projekt stehen, sind in der Regel wichtiger für den Erfolg eines Change-Vorhabens als die „bunte Change Story“ auf den PowerPoint-Folien. [JCW]

 

Als Chefredakteur von changement! schaut Jan C. Weilbacher kritisch auf Themen rund um Transformation und Change Management. (Bild Jan C. Weilbacher)

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