Schlagwortarchiv für: Ausgabe 04/2024

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Philipp Forster.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Geht es denn ohne? Überschätzt sind sie dann, wenn wir die Überzeugung haben, mit einem Tool oder einer Methode jeder Herausforderung begegnen zu können. Je breiter unser Repertoire und je mehr der Fokus auf dem eigentlichen Thema liegen kann, desto weniger wichtig wird die Wahl der Methode.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode, ein Vorgehen oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Was mich immer wieder fasziniert, ist die Kraft von Visualität.

Sie ermöglicht einen anderen Zugang zu schwierigen und komplizierten Themen und eröffnet unglaublich viele Möglichkeiten der Partizipation. Insbesondere denke ich da an ein Projekt, bei dem wir die neue Organisation, die Designprinzipien – die Gründe für die Anpassung – sowie deren Funktionsweise visuell anders dargestellt haben. Die Kraft liegt dabei nicht (nur) in der fertigen visuellen Repräsentation, sondern im Prozess des Entstehens, wenn Abstraktes verständlich erklärt werden soll und dies gemeinsam erarbeitet wird. Erst dann entwickelt sich ein echtes Verständnis für das Vorhaben und schärft sich der Blick auf weiße Flecken.

Viel ist gerade die Rede von Künstlicher Intelligenz. Werden Organisationsberatungen irgendwann überflüssig?

Mir ist es wichtig, zwei Themen zu unterscheiden:

Erstens: Künstliche Intelligenz wird definitiv die Art der Organisationsberatung verändern – im positiven wie im negativen Sinne. Es liegt an uns, das Positive zu nutzen. Jedoch sehe ich das Risiko in der Hoffnung auf einfache Lösungen oder Entscheidungsvermeidung, wenn wir von der KI wollen, dass sie für uns entscheidet. Das mag bei repetitiven Aufgaben darstellbar sein, bei anderen, insbesondere bei strategischen Entscheidungen, ist es nicht sinnvoll.

Zweitens: Wenn wir Veränderung verstehen als Verhaltensveränderung von Menschen, wird Künstliche Intelligenz Organisationsberatung nicht überflüssig machen. Auch wenn die Themen sich verschieben oder neue auftauchen – wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit KI –, werden Menschen eine Rolle in Organisationen spielen und sich immer wieder verändern (müssen).

Du bist unter anderem systemischer Berater. Was ist das „Systemische“ an deiner Beratung?

Wenn wir über Themen wie organisationale Resilienz, Adaptivität oder Diversität sprechen:

Ich bin davon überzeugt, dass wir uns mehr denn je von einfachen Lösungen für komplexe Probleme verabschieden müssen.

Vielmehr brauchen wir ein Verständnis des Kontexts, um mit bestehenden Mustern und Verstärkungsmechanismen arbeiten zu können und zu irritieren. Das geht für mich mit der Wertschätzung und Offenheit dem Bestehenden gegenüber einher und schließt für mich die normative Nutzung von Frameworks oder Typologien aus.

Du hast mal zu „Organizational Network Analysis“ geschrieben. Braucht es die Analyse von Netzwerken im Rahmen von Veränderungen?

Zunächst ist Organizational Network Analysis ein großer Methodenkoffer, der es uns erlaubt, mit anderen Linsen auf Organisationen zu blicken, also Projektionen von Organisationen zu erzeugen. Welche Dimensionen wir diesen Projektionen zugrunde legen, hängt von der Fragestellung ab. Es kann beispielsweise um Zusammenarbeit, Vertrauen, Kommunikation, Geschwindigkeit und vieles mehr gehen. Diese Möglichkeiten der Projektionen kommen der Realität oftmals deutlich näher als andere Darstellungsformen. Wenn wir zum Beispiel daran denken, wie Arbeit in Organisationen tatsächlich passiert und wie Organisationen unter anderem in Organigrammen oder Prozessen beschrieben sind. Daher sehe ich ONA als ein nützliches Instrument für die Gestaltung von Veränderungen, das viel zu selten genutzt wird.

Wie viel Analyse braucht es überhaupt noch im Vorfeld von Veränderungen in einer dynamischen Welt?

Die Kernfrage hinsichtlich Analyse ist nicht: Wie viel? Vielmehr ist es essenziell, den Vektor der Veränderung präzise beschreiben zu können. Dafür braucht es die passfähige Beschreibung des Problems. Ist diese nicht gegeben, sind die Lösungen genauso wenig passfähig. Das erzeugt Frustration, kostet viele Mühen und bindet eine Menge Ressourcen, ohne den erhofften Nutzen zu stiften.

Gleichzeitig kommt dem Thema Analyse gerade in einer dynamischen Welt eine besondere Rolle zu. Denn Systeme sind nicht ständig veränderungsbereit. Daher braucht es Werkzeuge, mit denen wir veränderungsgünstige Zeitpunkte wie auch stabile Systemzustände erkennen können. Das ermöglicht uns ein Navigieren im Nebel der Komplexität.

Wer inspiriert dich?

Inspiration entsteht für mich aus der Vielfalt von Perspektiven: „This is where the magic happens“. Alles andere ist für mich assoziiert mit Bewunderung. Daher ist es für mich nie die eine Person, die eine Theorie oder der eine Ansatz. Das empfinde ich als einschränkend. Vielmehr braucht es für Transformationen von Organisationen ein breites Spektrum an Expertisen und das Denken von unkonventionellen Wegen.

Welche Methode darf im gut gefüllten Methodenkoffer eines Beraters bzw. einer Beraterin nicht fehlen?

Ein Werkzeug zur Darstellung und zum Verständnis komplexer Systeme und deren Dynamiken. Dadurch verlassen wir die singulär-lineare Perspektive hin zur Rückkopplung zum System. Konkret sind das Methoden, wie ideografische Systemmodellierung, System Maps oder Estuarine Mapping. Diese helfen, Muster und Verstärkungsmechanismen zu erkennen und zu nutzen. Das bedingt auch, Veränderungen iterativ zu denken, um die Veränderungen durch Feedback-Schleifen beobachten zu können.

 

 

Autor

Philipp Forster
ist Partner und Co-Founder von emergize. Er begleitet Organisationen bei der Entwicklung marktkonformer, passfähiger Strukturen sowie komplexer Veränderungsprozesse. Dabei nutzt er visuelle Organisationsentwicklung und den emergenten Change-Ansatz als Vehikel.
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Fünf Fragen an Julia Bösch, CEO, Outfittery

Bislang hat sich im Change Management noch kein Konzept als ultimativ richtig erwiesen. Veränderungen in Organisationen verlaufen höchst unterschiedlich. Deshalb sind die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke der Verantwortlichen auch so verschieden. Uns interessiert die persönliche Perspektive von erfolgreichen Managern und Managerinnen. Diesmal stellt sich Julia Bösch unseren fünf Satzeröffnungen.

Meine bislang größte/wichtigste Business Transformation …

… der Zusammenschluss von Outfittery mit dem nächstgrößeren Player im Markt, Modomoto, 2019. Beide Firmen hatten die gleiche Vision, aber sehr unterschiedliche Strategien. Die Herausforderung bestand darin, die beiden Teams, die vorher jahrelang konkurriert hatten, zusammenzubringen. Eine Haltung der Neugier statt Wettbewerb war gefragt. Das ist uns, denke ich, gut gelungen. Der wichtigste Faktor bei dieser Veränderung war, wie wir uns als Führungsteam begegnet sind. So haben wir das notwendige Mindset vorgelebt.

Veränderungen von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung im Wesentlichen geprägt durch …

… Menschen. Menschen sind das Herz jeder Organisation. Ihr Engagement und ihre Neugier, ständig zu lernen, sind entscheidend. Bei Outfittery legen wir großen Wert auf Talentdichte, indem wir herausragende Talente einstellen und fördern, was zu Agilität und Innovation führt.

Unsere Philosophie von Freiheit und Verantwortung erlaubt es den Mitarbeitenden, autonom Entscheidungen zu treffen, während sie gleichzeitig für ihre Ergebnisse verantwortlich sind. Diese Herangehensweise ermöglicht es uns, schnell auf Veränderungen im Markt zu reagieren und kontinuierlich Neues zu entwickeln.

Ein Schlüsselelement unserer Unternehmenskultur ist die offene, transparente Kommunikation.

Sie wird unterstützt durch das „Radical Candor-Konzept“. Wir ermutigen unsere Teams, direkt und respektvoll Feedback zu geben und anzunehmen. Dies fördert ein Klima des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung, stärkt die interne Zusammenarbeit und verbessert die Beziehung zu unseren Kunden.

Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren von Change Management sind für mich …

1 eine mutige Vision und klare Kommunikation:

Bei Outfittery wollen wir, dass jeder im Team nicht nur die Vision versteht, sondern auch von ihr begeistert ist – und sich darauf freut, diese Change-Reise mit uns zu gehen. „We choose to be brave“ ist einer unserer Unternehmenswerte.

2 Mitarbeiterbeteiligung und -führung:

Veränderung ist unser tägliches Brot. Bei Outfittery sind es die Menschen, die den Unterschied machen. Wir setzen auf aktive Einbindung und Eigenverantwortung unserer Teammitglieder. Ihr Input, ihre Ideen und ihre Eigeninitiative sind Treiber unserer Innovationskraft.

3 Agilität und ständiges Lernen:

In der schnelllebigen Welt der Mode und der Technologie gilt:

Flexibilität ist kein nettes Extra, sondern überlebenswichtig.

Bei Outfittery pushen wir uns ständig, über den Tellerrand hinauszuschauen und aus jedem Erfolg – und vor allem auch Misserfolg – zu lernen.

Nicht alles gelingt. Was ich bei Veränderungen in meiner Verantwortung künftig anders machen werde, ist …

… nicht zu unterschätzen, wie oft man eine Nachricht wiederholen muss, damit sie wirklich ankommt. Das braucht Zeit. Und dass man nicht immer alle Menschen mitnehmen kann. Manche wollen sich nicht verändern und das ist okay. Für diese Teammitglieder ist es dann Zeit, sich zu entscheiden, ob sie gehen oder bleiben wollen.

Mein persönlicher Tipp an eine Führungskraft, die Verantwortung für ein Veränderungsprojekt übernimmt, lautet:

Sei mutig und bereit, Risiken einzugehen! Bedeutende Veränderungen erfordern mutige Entscheidungen. Es ist essenziell, sich nicht von der Angst vor dem Unbekannten lähmen zu lassen. Trau dich, innovative Wege zu beschreiten. Auf meiner eigenen Reise bei Outfittery habe ich gelernt, dass gerade die unkonventionellen Ideen oft die größten Durchbrüche bringen. Um es mit Nelson Mandela zu sagen: „Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Angst ist, sondern der Triumph über sie. Der mutige Mensch ist nicht derjenige, der keine Angst fühlt, sondern derjenige, der diese Angst besiegt.“

 

 

Autorin

Julia Bösch
ist CEO und Mitgründerin von Outfittery. Vor der Gründung im Jahr 2012 war sie „Head of International Business Development“ bei Zalando. Das Handelsblatt zählte sie 2022 zu den „50 Top-Unternehmerinnen Deutschlands“. Im selben Jahr wurde sie von Re-Work
als „Top 20 Women in AI“ gelistet. Das Unternehmen Outfittery, das einen „Personal Shopping Service“ für Männer und Frauen anbietet, ist in Europa in zehn Ländern aktiv und hat rund 450 Mitarbeitende, die meisten davon Stylisten.
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Ihnen hat das Format „5 Fragen an…“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „5 Fragen an Sylvia Borcherding, 50Hertz“

Mitarbeiterbefragung als Anfang des Wandels

Die Mitarbeiterbefragung ist ein klassisches und immer noch populäres Instrument, um Einschätzungen der Beschäftigten zu erheben. Gleichzeitig kann sie der Startpunkt für Veränderungsprozesse oder eine Transformation des Unternehmens sein. Welche Schritte beim Vorgehen berücksichtigt werden sollten, skizziert Simon Werther.

Die Zielsetzung sowie die folgenden Schritte zur Planung einer Mitarbeiterbefragung (MAB) sind entscheidend hinsichtlich der Frage, ob die MAB einen Startpunkt für organisationale Veränderungsprozesse und Kulturwandel darstellt oder danach doch alles beim Alten bleibt. Dabei kann sie immer nur ein Baustein in einer umfassenden Feedback-Landschaft sein, die mit zentralisierten und selbst gesteuerten Feedbackinstrumenten den Wandel unterstützt.

1. Präzisierung der Zielsetzung

Die konkrete Zielsetzung ist der Ausgangspunkt für die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung als Startpunkt für Veränderungsprozesse. Welches primäre Ziel soll mit ihr erreicht werden? Welche Zielsetzung verfolgen unterschiedliche Stakeholder im Unternehmen mit der MAB?

Darüber hinaus ist eine Vision als Zielzustand hilfreich, auf den die Mitarbeiterbefragung einzahlt. Diese kann unter anderem beantworten, welche Veränderungen bzw. Verbesserungen innerhalb des Unternehmens mit der MAB erreicht und umgesetzt werden sollen.

2. Strategische Verankerung

Im nächsten Schritt geht es um die strategische Verankerung. Die strategische Verankerung einer Mitarbeiterbefragung ist für den langfristigen Erfolg – über die einmalige Durchführung hinaus – sehr wichtig. Gerade bei kontinuierlichen Befragungsformaten wie Pulsbefragungen und regelmäßig wiederkehrenden Mitarbeiterbefragungen spielt das eine besondere Rolle.

Wie hängt die MAB konkret mit der Strategie des Unternehmens zusammen? Auf welche strategischen Ziele zahlt die Mitarbeiterbefragung ein und inwiefern ist sie für den mittel- bis langfristigen Unternehmenserfolg von Bedeutung?

3. Zielgruppe und Stichprobe

Verschiedene Stakeholder innerhalb des Unternehmens sind in verschiedenen Phasen beteiligt, beispielsweise Datenschutzbeauftragte, Betriebsräte, Organisationsentwicklerinnen und -entwickler sowie Trainerinnen und Trainer für die späteren Rückmelde-Workshops. Die Identifikation, Koordination und Berücksichtigung dieser Stakeholder und die zielgruppenspezifische Ansprache und Kommunikation über alle Phasen der Mitarbeiterbefragung hinweg sind von großer Bedeutung.

Dabei spielt der Aufbau von Vertrauen eine sehr große Rolle.

Die Auswahl der Stichprobe unter Berücksichtigung der Zielsetzung und der strategischen Verankerung ist ebenfalls wichtig. Zwar erfolgen klassische Mitarbeiterbefragungen meistens als Vollbefragung aller Mitarbeitenden, doch gibt es gerade bei kontinuierlich wiederkehrenden Befragungsformaten wie Pulsbefragungen in Veränderungsprozessen und bei der Entwicklung umfassender Feedbacklandschaften gewichtige Argumente für Stichprobenziehungen, das heißt für eine Befragung einer zufällig oder systematisch festgelegten Auswahl aus allen Mitarbeitenden.

4. Festlegung zentraler Prinzipien

Die Festlegung zentraler Prinzipien für die MAB unter Einbeziehung aller zentralen Stakeholder ist ein weiterer wichtiger Schritt. Dabei sind die Entscheidungen aller vorherigen Schritte zu berücksichtigen, damit die Ziele der Mitarbeiterbefragung realistisch erreicht werden können.

Auf welchen Grundprinzipen baut die MAB auf? Ist die „Interventionsorientierung“ zum Erreichen umfassender organisationaler Veränderungen wichtig? Und sollen zum Beispiel „Freiwilligkeit“ und „Anonymität“ gelten? Handelt es sich um eine vollständig zentralisierte Prozesssteuerung oder können Führungskräfte und Teams eigene Inhalte einbringen? Und ist es möglich, die zeitlichen Zyklen individuell unterschiedlich umzusetzen?

5. Auswertung der Ergebnisse

Bei diesem Schritt müssen alle Fragen zur Auswertung und Darstellung der Ergebnisse beantwortet werden. Was passiert beispielsweise konkret mit den Antworten der Mitarbeitenden – und was passiert dementsprechend auf keinen Fall damit? Ist es möglich, die Antworten einzelner Mitarbeitender zu identifizieren? Und welche Auswertungsuntergrenze gilt, um das gegebenenfalls zu verhindern? Welche Stakeholder und welche Personen erhalten Einblick in welche Ergebnisse?

Gerade bei der Nutzung von digitalen Feedbackplattformen und von selbst gesteuerten Befragungsformaten sind diese Fragen von zentraler Bedeutung. Die Ergebnisse von MAB und anderen Befragungsformaten können technisch problemlos innerhalb weniger Stunden analysiert und eingesehen werden. Doch umso wichtiger ist die vorherige und konkrete Festlegung eines Rechte- und Rollenkonzepts.

6. Befragungs- und Folgeprozess

Die prozessuale Betrachtung ist der letzte Schritt in der Auseinandersetzung mit einer MAB. Dabei sind im Rahmen des Befragungsprozesses viele Fragen zur kommunikativen Begleitung, zu Informationsveranstaltungen im Vorfeld zu klären. Auch muss es ein Verständnis darüber geben, wie und wann an die Befragung erinnert werden soll.

In Bezug auf den Folgeprozess und die Rückmeldephase geht es um alle Punkte nach der eigentlichen Befragungsphase. Dazu gehört die Entscheidung, wer wann die Ergebnisse sieht. Auch muss klar sein, welche Plausibilitätschecks und Prüfschritte bei den Ergebnisberichten sowie bei den digitalen Dashboards durchgeführt werden.

Und es muss Einigkeit darüber bestehen, in welcher Form und zeitlichen Reihenfolge die Ergebnisse den verschiedenen Stakeholdern zur Verfügung gestellt werden. Wie sieht der Folgeprozess aus, das heißt, welche Rückmeldeworkshops finden in welchen Arbeitsgruppen und/oder Teams statt? Auch diese Frage muss im Vorfeld beantwortet werden. Genauso wie der Punkt der Dokumentation der abgeleiteten Maßnahmen. Wie werden sie dokumentiert bzw. nachgehalten? Und wie wird deren Umsetzung geprüft?

Gerade beim Folgeprozess und bei der Rückmeldephase zeigt sich, ob es sich um partizipative Organisationsentwicklung handelt oder ob die Mitarbeiterbefragung lediglich zur Erhebung von Kennzahlen dient. Darüber hinaus lässt sich am Folgeprozess und an der Rückmeldephase erkennen, ob eine Kultur der Beteiligung und der Wertschätzung gelebt oder zumindest angestrebt wird und wie Mitarbeitende aktiv befähigt werden.

 

 

Autor

Prof. Dr. Simon Werther
ist Diplom-Psychologe und Professor für Leadership an der Hochschule München. Im Rahmen der Forschungsgruppe „New Work“ beschäftigt er sich mit neuen Formen des Arbeitens. Er ist Mitgründer und wissenschaftlicher Beirat der HRinstruments GmbH, die digitalisierte Feedbacklandschaften und People Analytics sowohl für mittelständische Unternehmen als auch für Großkonzerne entwickelt.
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„Es muss ein Mindset-Change her“

Die Zukunftsmission Bildung mit ihrer Allianz für Future Skills hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bedingungen für den Erwerb digitaler und weiterer zukünftig relevanter Kompetenzen zu verbessern. Mathias Winde vom Stifterverband erläutert, was sich hinter dem Begriff der „Future Skills“ verbirgt und was passieren muss, um sie flächendeckend in der Gesellschaft zu vermitteln.

Der Stifterverband und McKinsey haben 21 Kompetenzen als sogenannte Future Skills identifiziert. Was zeichnet ganz allgemein eine solche Kompetenz aus, sodass sie für die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft besonders wichtig ist?

Alle Future Skills müssen ganz allgemein dazu beitragen, dass wir Menschen uns in der sich schnell transformierenden Gesellschaft zurechtfinden und mit gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen umgehen können. Unter Kompetenzen verstehen wir dabei Fertigkeiten, Wissen, Werthaltungen und eine Bereitschaft, aktiv zu werden und zu handeln.

Für wen sind diese identifizierten Future Skills relevant?

Tatsächlich sind Future Skills für alle Menschen in Deutschland relevant.

Zum einen, um im Arbeitsleben Schritt halten zu können, zum anderen aber auch, um sich in der Gesellschaft einbringen und partizipieren zu können – und zwar lebenslang.

Warum braucht es in Deutschland überhaupt einen Fokus auf den Erwerb von Future Skills?

Weil sich die Arbeitswelt und die Gesellschaft stetig verändern, zum Beispiel aufgrund von neuen Technologien, aber auch aufgrund von globalen Krisen. Einerseits müssen wir in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben: Mit zunehmendem Fachkräftemangel ist die kontinuierliche Weiterbildung der Menschen in unserer Gesellschaft umso wichtiger, weil wir Lücken schließen müssen, wo Arbeitskräfte fehlen.

Andererseits ist es wichtig, globale Zusammenhänge zu verstehen und die Auswirkungen unseres eigenen Handelns kritisch zu hinterfragen. Aus Arbeitnehmersicht bzw. aus der Sicht von Lernenden geht es darum, mit neuen Entwicklungen mithalten, aber auch kritisch mit ihnen umgehen zu können. Wir brauchen Menschen mit Zukunftskompetenzen also, um den Herausforderungen der Zukunft und auch schon denen der Gegenwart erfolgreich zu begegnen.

Ihr Framework ist unterteilt in vier Kategorien: Technologische Kompetenzen, Digitale Schlüsselkompetenzen, Klassische Kompetenzen, Transformative Kompetenzen. Könnten Sie jeweils beispielhaft eine Kompetenz aus einer Kategorie kurz erläutern?

Gerne. Unter „Technologische Kompetenzen“ fassen wir insbesondere Kompetenzen für Fachspezialisten, zum Beispiel für Bereiche wie KI, Robotik oder Quantentechnologie. Unter die Kategorie „Digitale Schlüsselkompetenzen“ fällt zum Beispiel die Data Literacy, also die Auseinandersetzung unter anderem mit der Frage, was Daten sind und wie sie verarbeitet oder visualisiert werden, um sie schließlich interpretieren zu können.

Future-Skills-Framework

Abbildung: Future-Skills-Framework

In der Kategorie „Klassische Kompetenzen“, die schon immer wichtig waren, haben insbesondere die Lösungsfähigkeit, die Kreativität und die respektvolle, diskriminierungssensible Kommunikation zwischen Menschen an Bedeutung zugenommen. Unter „Transformative Kompetenzen“ fassen wir Kompetenzen wie Meinungsbildung und Urteilsfähigkeit, bei der gesellschaftliche und globale Zusammenhänge und Krisen berücksichtigt werden – und das gilt genauso für die Entwicklung von Innovationen bzw. wie wir ins Handeln kommen.

Warum gibt es bei Ihrem Framework eine so starke Konzentration auf digitale und technische Kompetenzen? Könnte man nicht sagen, es reicht, wenn die Menschen lernbereit und neugierig sind?

Die Lernbereitschaft der Menschen ist natürlich zentral für die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft.

Und nachdem jahrzehntelang zumindest im formellen Rahmen vorgegeben wurde, was wichtig zu wissen oder zu können ist, befinden wir uns jetzt in einer Zeit, in der jede oder jeder selbst hinterfragen muss, welche Kompetenzen für sie oder ihn relevant sind. Da muss also ein Mindset-Change her.

Aber der tiefgreifende, geradezu revolutionäre Wandel unserer Gesellschaft wird von digitalen Technologien getrieben – im Guten wie im Schlechten. Digitale Medien können Falschnachrichten ebenso transportieren wie die Arbeit erleichtern und soziale Verbesserungen schaffen. Die Reflexion darüber ist neu und ungeübt. Deshalb müssen wir ein grundsätzliches Verständnis von Digitalität und ihren Funktionsweisen schaffen, um positive Veränderungen zu unterstützen.

Wo müssen diese Kompetenzen vor allem vermittelt und gefördert werden? In Schulen und Universitäten?

Ja, unter anderem. Diese Kompetenzen sollten idealerweise in verschiedenen Bildungseinrichtungen, also Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen, vermittelt werden. Auch Unternehmen, Behörden oder gemeinnützige Organisationen sollten Weiterbildungsprogramme einrichten oder solch eine Weiterbildung extern ermöglichen, um den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Kompetenzen stetig weiterzuentwickeln. Das sollte im eigenen Interesse der Einrichtungen liegen.

Wir müssen aber auch die Selbstlernfähigkeiten der Menschen in Deutschland stärken und dafür ist zu Beginn wichtig, dass uns allen bewusst wird, dass wir immerzu lernende Individuen sind, die den Lernprozess insbesondere außerhalb der formellen Bildung auch selbst steuern können.

Wie steht Deutschland bei der Förderung der Future Skills im Bildungsbereich Ihrer Einschätzung nach da?

Es gibt sicherlich Luft nach oben, aber wir haben uns auf den Weg gemacht. International gab es 2011 in Irland die erste Strategie für den Hochschulsektor, die sich damit befasste, wie sich die damals identifizierten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte bewältigen lassen und welche Rolle Hochschulen in Bezug auf das Lehren und Lernen, Forschung, Wissenschaft und Engagement für die Gesellschaft erfüllen müssen.

Da Deutschland föderal organisiert ist, versuchen wir vom Stifterverband, mit unseren Aktivitäten bundesweit Brücken zu schlagen. Wir beschäftigen uns seit 2018 mit dem Thema und sind inzwischen Initiatoren von thematisch fokussierten „Communities of Practice“, die sich für die Verankerung von Future Skills in verschiedenen Bildungseinrichtungen engagieren. Gemeinsam erarbeiten wir zum Beispiel Diskussionspapiere, Handlungsempfehlungen oder eben Frameworks wie das „Future Skills Framework“.

Was wäre beispielhaft eine wesentliche Veränderung an Hochschulen oder Schulen, die dringend notwendig wäre?

Das wäre die Verankerung von Future Skills in Curricula.

Dazu müssen wir Lehrende in der Breite dafür gewinnen, den Erwerb von Future Skills in ihren Veranstaltungen zu ermöglichen.

Das können fachliche Inhalte sein, wie beispielsweise ein Kurs „Big Data in der Medizin“, oder auch neue, beispielsweise digitale, Lernmethoden. Einige Hochschulen haben Zentren für Schlüsselqualifikationen eingerichtet, aber das muss flächendeckender werden. Im Rahmen der „Zukunftsmission Bildung“ bringen wir diejenigen in den Hochschulen, die sich für Future Skills einsetzen, zusammen, tauschen uns über Best Practice aus und entwickeln gemeinsam mit Unternehmen ein Verständnis von Future Skills. Wir werden Hochschulen fördern, die besonders gut Zukunftskompetenzen vermitteln.

Und wie gut gewappnet ist man in den Unternehmen hierzulande bei der Entwicklung von Future Skills?

Das Bewusstsein ist da. Viele Unternehmen haben inzwischen, meist angegliedert an Personalabteilungen, Weiterbildungsangebote mit Mikro-Content. Im angelsächsischen Raum sind aber „Learning & Development“-Abteilungen in Unternehmen bereits viel verbreiteter. Insgesamt muss der Stellenwert von Weiterbildungen gegenüber dem Alltagsgeschäft noch größer werden: Es passiert nicht selten, dass Mitarbeitende doch nicht an einer Weiterbildung teilnehmen, weil ihnen in dem Zeitraum Alltagstermine eingestellt werden.

Können Sie abschließend noch mal zusammenfassen, was die wesentlichen Tätigkeitsfelder des Stifterverbandes sind, um Future Skills in unserer Gesellschaft zu stärken?

Das im Rahmen der „Zukunftsmission Bildung“ geplante Programm „Future Skills an Hochschulen“ zur Verankerung von Future Skills in Hochschulcurricula habe ich bereits erwähnt.

Darüber hinaus haben wir Förderprogramme für Hochschulen, um ausgewählte Future Skills wie „Data Literacy“ oder „Transformative Skills für Nachhaltigkeit“ in Lehrplänen zu verankern. In deren Rahmen können zum Beispiel konkrete Lernangebote für Studierende entwickelt werden.

Und wir betreiben digitale Lernorte wie die „Future Skills Journey“ und den KI-Campus, die beide Future Skills-Lernangebote kostenlos und kuratiert für die breite Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Sie bieten allen Menschen in Deutschland die Möglichkeit, sich selbstinitiativ rund um das Thema Zukunftskompetenzen weiterzubilden. Konzepte zur Integration der Lernangebote in die Lehre an Schule und Hochschule werden (künftig) ebenfalls erarbeitet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher

 

 

Autor

Dr. Mathias Winde
leitet beim Stifterverband das Handlungsfeld „Bildung und Kompetenz“ und ist Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. Seine Themengebiete umfassen Future Skills und digitale Kompetenzen, Führung und Governance von Hochschulen sowie Hochschulfinanzierung. Er ist unter anderem Mitglied im „Arbeitskreis Hochschule Wirtschaft“ von BDA, BDI und HRK. Vorher arbeitete er als Researcher in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Innovation beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln und bei der IW Consult.
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