Die rasanten Veränderungen der neuen Arbeitswelt verlangen den Menschen Mut, Flexibilität, Kreativität und Durchhaltevermögen ab. Vor allem aber braucht es heute und morgen die Fähigkeit, agil und in die Arbeit integriert zu lernen, um weiterhin erfolgreich zu sein. Mit einer agilen Lernkultur schaffen Organisationen den passenden Rahmen für New Learning – besonders hilfreich sind dabei sogenannte Lernhacks.
Weil wir das allermeiste durch und während unserer Arbeit sowie im Austausch mit anderen lernen, verändert sich auch die Perspektive von Organisationen auf das Lernen: Anstatt Lernen vor allem mit der Wahrnehmung formalisierter Lernangebote (Kurse, Seminare, E-Learning) gleichzusetzen, kommen insbesondere auch Handlungen des sozialen und informellen Lernens in den Blick, also des Lernens durch die Arbeit und die mit ihr einhergehenden Begegnungen und Herausforderungen. Dies ist vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Anforderungen und Veränderungen der Arbeit auch notwendig und bietet zudem neue Chancen für das wirksamere Lernen durch die Einführung agiler Praktiken, Prozesse und Werte.
Prägende Faktoren der agilen Lernkultur
Eine agile Lernkultur ist gekennzeichnet durch drei Faktoren:
- Das Konzept des Lernens im Unternehmen entwickelt sich iterativ (weiter) und folgt selbst agilen Methoden, Prozessen und Werten.
- Arbeiten und Lernen werden nicht mehr getrennt betrachtet, sondern verschmelzen im Alltag.
Der Begriff der „Agilen Lernkultur“ steht für diesen umfassenden Blick auf das arbeitsintegrierte Lernen und beschreibt die Gesamtheit aller Einstellungen, Haltungen, Konventionen, Werte, Praktiken und Prozesse, die das Lernen in einer Organisation fördern und prägen. Damit geht agile Lernkultur über die zumeist formellen Qualifizierungsangebote weit hinaus. Es kommen ganz neue Fragen in den Blick, die das Lernen im Unternehmen prägen – positiv, indem sie Lernen fördern, oder negativ, indem sie das Lernen hemmen.
Als erste Orientierung kann das Lernkultur-Framework dienen, das auf die drei Ebenen der Organisationen fokussiert und in je drei Feldern Reflexionsanlässe und Aktivitäten vorschlägt, um in diesem Bereich das Lernen weiterzuentwickeln (siehe Abbildung 1).
Die agile Lernkultur in der Organisation fördern
Mit Geduld, Beharrlichkeit, kreativen Ideen, einer Priorisierung von Unternehmensbereichen, Zielgruppen und Aktivitäten sowie einer Bereitschaft zu scheitern, daraus zu lernen und dann neue Wege zu gehen, können die Verantwortlichen einen Rahmen schaffen, in dem eine agile Lernkultur wachsen kann.
Die folgenden Schritte können dabei helfen, mit einer reflektierten Strategie (siehe Abbildung 1) möglichst konkrete Aktivitäten erfolgreich umzusetzen:
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Lernkultur verstehen:
Machen Sie sich mit Konzepten und Strategien des Lernens vertraut und reflektieren Sie Ihre Rolle und insbesondere Ihre aktuellen Herausforderungen und zukünftigen Veränderungsabsichten.
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Lernkultur beobachten:
Gehen Sie in die Organisation und beobachten Sie, was, wo, wann, wie durch wen gelernt wird. Bilden Sie den Status quo ab.
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Lernkultur strategisch einordnen:
Leiten Sie aus Ihren Beobachtungen eine Strategie ab und definieren Sie erreichbare Ziele für einen definierten Zeitraum.
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Lernkultur in Aktivitäten überführen:
Setzen Sie Prioritäten und sammeln Sie Erfahrungen, indem Sie Aktivitäten des Lernens ausprobieren, die zum Beispiel bisher in Ihrem Unternehmen unbekannt sind (beispielsweise ein Learning-Festival).
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Lernkultur überarbeiten:
Überarbeiten Sie stetig Ihre Strategie, haken Sie Ziele ab und setzen Sie sich neue. Beginnen Sie auch damit, das Streuen Ihrer Bemühungen in die Breite der Organisationen zu orchestrieren.
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Lernkultur promoten:
Sprechen Sie über Lernen in vielfältiger Weise und machen Sie Lust bei Mitarbeitenden darauf, sich dem neuen Lernen zu öffnen und etwas auszuprobieren.
Lernhacks – Routinen für das eigenverantwortliche Lernen
Und vor allem Mitarbeitenden Anregungen, Tipps und Tools an die Hand zu geben, damit sie wiederum ihr eigenes Lernen angehen können. Dafür bieten sich Lernhacks an: Lernhacks sind Routinen, Tipps, Tricks und Tools, die helfen, Klarheit über die eigenen Lernziele zu gewinnen, einen individuellen Lernplan zu entwickeln und ihn nachhaltig – und erfolgreich – zu verfolgen.
Über die aktuellen Lernvorhaben hinaus helfen sie Mitarbeitenden und Führungskräften dabei, souveräne, eigenverantwortliche Lerner bzw. Lernerinnen zu werden. Damit inspirieren diese praktischen, an agilen Prinzipien ausgerichteten Tools, dazu, im Alltag verstärkt zu lernen. Mit Blick auf die in der Abbildung 2 dargelegte Struktur einer agilen Lernkultur sind die Lernhacks ein großer Hebel, um das neue Lernen in der Organisation zu verankern und voranzubringen.
Lernhacks gründen auf dem Ansatz der Meta-Kognition, also der Erkenntnis, dass Lernen umso wirksamer ist, wenn es nicht nur als Auseinandersetzung mit dem Inhalt erfolgt, sondern zugleich – auf einer Meta-Ebene – als Reflexion darüber, was man lernen möchte und warum, wie man sich vornimmt zu lernen, wie sich der eigene Lernprozess gestaltet und wie man ihn noch besser gestalten könnte.
Keine großen Budgets und aufwendige Planung
Lernhacks setzen in der Organisation am Alltag der Mitarbeitenden an. Sie benötigen keine großen Budgets und aufwendige Planung, sondern können schnell und effizient geteilt werden: sei es digital in einem Newsletter, während eines Trainings oder analog als Toolbox über die Hauspost. Weil Lernhacks für sehr unterschiedliche Szenarien und Zielgruppen verfügbar sind, können sie ideal je nach Reifegrad der agilen Lernkultur in einer Organisation genutzt werden.
Lernhacks sind wirksame Tools für das agile, eigenverantwortliche Lernen. Um langfristig eine agile Lernkultur auf allen Ebenen der Organisation zu etablieren, sollten aber auch weitere Faktoren betrachtet werden, die wesentlich sind, damit das neue Lernen gelingt:
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Die kollektive Kraft des Lernens:
Zunehmend gerät das Lernen im Team in den Fokus.
Wie können Teams das Wissen und Können aufbauen, das sie benötigen, um auch zukünftig erfolgreich zu sein? -
Die Gestaltung einer lernförderlichen Arbeitsumgebung:
Wie können die Arbeit selbst, ihre Prozesse und der Raum gestaltet werden, um lernfördernd zu wirken?
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„Micro Learning“ versus „Slow Learning“:
In welchem Maße sollten Lernangebote und -aktivitäten „on demand“ zur Verfügung stehen, um aktuelle Lernbedarfe zu bedienen? Inwiefern ist es sinnvoll, ganz im Sinne eines „Deep Focus“ Lernen nicht als „Fast Learning“ zu begreifen, sondern als bewusst langsame Tätigkeit, die eine tiefere Wirksamkeit entfaltet?
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Die Wirkmächtigkeit der Führungskräfte:
Welche Bedeutung haben Führungskräfte und ihre sich verändernde Rolle als Lernbegleiter:innen, Lernvorbilder und Lerngestalter:innen für die erfolgreiche Etablierung einer agilen Lernkultur?
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Die Netzwerkrolle von „Learning & Development“ und People Manager:innen als Verantwortliche für Lernkultur:
Wie können die veränderte Rolle von Personalentwickler:innen und Organisationsentwickler:innen zu „Learning Culture Manager:innen“ gestaltet werden? Wie kann HR über den aktuell noch engen, originären Zuständigkeitsbereich hinaus wirken und diverse Stakeholder einbinden? Was braucht ein Team, um Lernkultur-Initiativen in anderen Change-Initiativen zu verankern?
Die Neu-, Aus- und Umgestaltung des Lernens in einer Organisation hin zu einem agilen Lernen mit einem veränderungswilligen und -fähigen kulturellen Rahmen ist eine große Aufgabe und sollte nicht allein von Verantwortlichen der Personal- und Organisationsentwicklung forciert werden.
Autoren
Dr. Thomas Tillmann
unterstützt Organisationen und staatliche Akteure bei der Realisierung innovativer Lern- und Bildungsstrategien. Erist Gründer der Lernhacks GmbH und Vorstand der Stiftung Rechnen. Außerdem ist er Keynote Speaker und war früher als Berater bei McKinsey tätig.
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Jan Schönfeld
ist Gymnasiallehrer, Dozent, Keynote Speaker sowie zertifizierter Agiler Lerncoach. Jan Schönfeld ist außerdem Autor von verschiedenen Büchern zum Thema Lernen. Er entwickelt agile Lernformate für Organisationen und ist zudem ebenfalls Gründer der Lernhacks GmbH.
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Eine Menge Kompetenzen werden wichtig sein, um in der Arbeitswelt von morgen bestehen zu können. Aber welche Kompetenz sollte ganz besonders hervorgehoben werden? Die Antworten finden Sie im folgendem Beitrag „Kompetenzen für die Arbeitswelt von morgen“.