Schlagwortarchiv für: Ausgabe 08/2024

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Sven Latzel.

Mal ehrlich, was genau ist eigentlich Facilitation?

Facilitation steht im Wortsinne dafür, etwas zu erleichtern. Durch Interaktionsgestaltung bietet der Facilitator Raum und Methoden, um entstehen zu lassen, was im Gruppenprozess als bestmögliches Ergebnis entstehen kann. Man schafft einen Rahmen, in dem gemeinsam gelernt wird, Erkenntnisse gesammelt und Entscheidungen getroffen werden sowie Neues gestaltet wird.

Wichtig ist dabei immer, die eigene Bedürfnislosigkeit zu erhalten.

Das heißt sich nicht inhaltlich oder emotional zu involvieren, um furchtlos und mit freiem Denken im Sinne des Auftrags agieren zu können.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode, ein Vorgehen oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Bei der Frage fällt mir sofort der Provokative Ansatz ein. Er geht auf Frank Farelly zurück und zielt ursprünglich auf Coaching- und Therapiekontexte ab, lässt sich aber auch super in Gruppen anwenden. Es geht darum, die Glaubenssätze des Gegenübers achtsam und liebevoll zu überzeichnen, um dem Gegenüber die Gelegenheit zu geben, selbst die gelegentliche Absurdität und Widersprüchlichkeit der eigenen Überzeugungen zu erkennen.

Besonders das Modell der drei F, die nachhaltigen Veränderungen im Weg stehen, haben mich berührt. Sie stehen für:

  • Fixierung: „So sind wir! So waren wir schon immer!“
  • Faulheit: „Das bringt doch nichts! Wozu der Aufwand, es passt doch alles!“
  • Feigheit: „Das schaffen wir nie! Das können wir nicht!“.

Die zugehörigen Aussagen sollen hier nur der Veranschaulichung dienen.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein kleines Unternehmen, dessen Leitungsrunde sich selbst „Elefantenrunde“ nannte, hatte sich aufgemacht Richtung New Work und dezentraler Methoden. Die „Elefantenrunde“ stand diesem Trend schon durch den Namen im Weg und es brauchte Jahre, bis die Firma ihn streichen konnte. Für mich ein klares Beispiel für Fixierung.

Was verstehst du unter einer „vitalen Arbeitskultur“, für die du dich starkmachst? Und warum brauchen Organisationen eine solche?

Eine vitale Arbeitskultur ist anpassungsfähig, ähnlich wie das Ökosystem eines Gartens oder eines Waldes. Jedes Element – Team, Rolle, IT-System, physischer Raum – hat seinen eigenen Platz, an dem es genug Sonne (Aufmerksamkeit) und Wasser (Ressourcen) bekommt und in Wechselwirkung mit den anderen Elementen steht.

Wenn Elemente sich aufgrund ihrer Lebensdauer und der äußeren Umstände überholt haben, dürfen sie eingehen und erneuert werden.

Eine vitale Arbeitskultur hat unserer Erfahrung nach acht wesentliche Aspekte: Effizienz, Qualität, Freude, Identifikation, Diversität, Resilienz, Verbundenheit und Lernfähigkeit. Pflegt eine Organisation diese Aspekte, ist sie regenerationsfähig, bleibt lebendig und anpassungsfähig.

Man kann übrigens auch das Gegenteil beleuchten, um es noch mal zu verdeutlichen: nämlich eine „tote“, erstarrte Arbeitskultur. Diese zeichnet sich aus durch fehlendes Vertrauen, ungelöste Spannungen und Stagnation bei gleichzeitiger Ressourcenverschwendung.

Gibt es Methoden oder Tools, die ganz besonders mit der Förderung einer vitalen Arbeitskultur in Verbindung stehen?

Ja, die gibt es! Auf unserem eigenen Erkenntnispfad haben sich einige Methoden und Modelle als besonders wirksam herausgestellt. Um ein paar zu nennen: der Organisationskompass, der Verantwortungsdialog, das „House of Change“, die Methoden aus „Art of Hosting“ und viele mehr.

Besonders mit dem Verantwortungsdialog arbeite und experimentiere ich im Moment, da er den „Sweetspot“ einer guten Verteilung von Zuständigkeiten und Macht ermöglicht. Es geht dabei darum, sehr offen über das Wollen, Können, Dürfen und Müssen von Personen in Rollen zu sprechen.

Besonders „das Dürfen“ (die Organisation erlaubt der Rolle die Verantwortung durch Privilegien und Ressourcen) und „das Müssen“ (die Rolle muss bestimmte Dinge bewirken, damit die Organisation lebensfähig ist) sind spannend, da sie den Beteiligten oft nicht in der Tiefe klar sind.

Wenn man dabei sauber arbeitet, kann man eine Organisation entwickeln, in der Menschen „müssen“, was sie „wollen“.

Du bist auch Experte für agile Methoden. „Agilität“ wird von sehr vielen sehr kritisch gesehen zurzeit, vor allem weil die wenigsten Unternehmen es konsequent machen. Woran liegt das?

Zuallererst sehe ich immer wieder, dass Agilität mit sehr starren Frameworks wie Scrum gleichgesetzt wird.

Daraus ergeben sich erhebliche Spannungen zwischen dem, was die Organisation wirklich braucht und dem, wie die Methoden konzipiert sind.

Die Prinzipien aus dem agilen Manifest haben sicher schon vielen Unternehmen dabei geholfen, ihre Sicht- und Handlungsweise positiv zu verändern. Groß angelegte agile Transformationen, die Macht dogmatisch neu auf dem Reißbrett verteilen, ohne die Menschen zu beteiligen, können allerdings kaum gelingen.

Hier kann das Prinzip Partizipation zum frühestmöglichen Zeitpunkt „der Kommunikationslotsen“ helfen. Wenn es gelingt, die Erkenntnisse aus der Agilität gemeinsam mit allen Betroffenen in neue Strukturen zu gießen, steht einer erfolgreichen Transformation aus unserer Sicht nichts mehr im Wege.

Wer oder was inspiriert dich?

Meine größte Inspiration sind die Momente, in denen ich sehen kann, wie Menschen um mich zu neuen Einsichten und Erkenntnissen gelangen. Das Verstehen in den Augen anderer zu sehen, ist ein riesiges Geschenk, für das ich immer wieder dankbar bin.

Es erinnert mich an meine eigenen Aha-Momente, die stets mein Leben wieder ein bisschen verändert haben.

 

 

Autor

Sven Latzel
arbeitet als Facilitator für kulturelle und digitale Transformationen. Er ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Beratungsfirma „Vitale Arbeitskultur“. Seit diesem Jahr veröffentlicht er außerdem als Gründer des Startups facilify.app Tools, die Facilitator:nnen bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. (Kontakt: kontakt@vitale-arbeitskultur.de).
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Fünf Fragen an Alicia Lindner, Geschäftsführerin, Börlind GmbH

Bislang hat sich im Change Management noch kein Konzept als ultimativ richtig erwiesen. Veränderungen in Organisationen verlaufen höchst unterschiedlich. Deshalb sind die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke der Verantwortlichen auch so verschieden. Uns interessiert die persönliche Perspektive von erfolgreichen Managern und Managerinnen. Diesmal stellt sich Alicia Lindner unseren fünf Satzeröffnungen.

Meine bislang größte/wichtigste Business Transformation …

… der Übergang der Geschäftsführung von meinen Eltern zu meinem Bruder und mir im Jahr 2020. Wir haben dabei das Unternehmen in die dritte Generation überführt und gleichzeitig viele Dinge modernisiert, ohne die Werte und Traditionen zu vernachlässigen, die Börlind seit Jahrzehnten prägen. Es war eine spannende Zeit des Wandels, in der wir viel gelernt und gleichzeitig unseren eigenen Weg gefunden haben, das Unternehmen weiterzuführen.

Veränderungen von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung im Wesentlichen geprägt durch …

… den Mut, Altes loszulassen und die Fähigkeit, sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen. Man muss bereit sein, aus der Komfortzone auszubrechen, um Innovationen zu ermöglichen und gleichzeitig die Kernwerte zu bewahren. Besonders in einem Familienunternehmen ist es wichtig, eine Balance zwischen dem Bewahren und Erneuern zu finden.

Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren von Change Management sind für mich …

… Kommunikation, Empathie und Durchhaltevermögen. Kommunikation bedeutet, dass alle Beteiligten transparent informiert werden.

Empathie ist entscheidend, um die Ängste und Sorgen der Mitarbeitenden zu verstehen und um Sicherheit im Veränderungsprozess zu geben.

Und Durchhaltevermögen ist unerlässlich, um auch in schwierigen Zeiten an den Veränderungen festzuhalten und langfristig zum Erfolg zu kommen.

Nicht alles gelingt. Was ich bei Veränderungen in meiner Verantwortung künftig anders machen werde oder was ich durch Lernen aus früheren Fehlern heute bereits anders mache, ist …

… Geduld zu haben und den Fokus daraufzulegen, nachhaltig zu wachsen, anstatt schnelle Erfolge zu erzwingen. Gerade am Anfang war ich sehr euphorisch und bin an einigen Stellen übers Ziel hinausgeschossen. Heute weiß ich, dass Veränderung Zeit braucht und nicht alles sofort perfekt sein muss.

Mein persönlicher Tipp an eine Führungskraft, die Verantwortung für ein Veränderungsprojekt übernimmt, lautet:

Veränderungen sollten mit dem nötigen Fingerspitzengefühl erfolgen. Es ist wichtig, sich selbst und dem Team die nötige Zeit zu geben, um Veränderungen zu verstehen und zu verinnerlichen.

Es hilft, einen klaren Plan zu haben und gleichzeitig flexibel zu bleiben.

Und nicht vergessen: Fehler gehören dazu. Idealerweise lernt man aus ihnen etwas.

 

 

Autorin

Alicia Lindner
ist Geschäftsführerin und Mitinhaberin der Börlind GmbH mit den Marken Annemarie Börlind und Dado Sens. Gemeinsam mit ihrem Bruder Nicolas Lindner führt sie das Familienunternehmen in dritter Generation. Alicia Lindner stieg 2014 als Trainee im Familienunternehmen ein. Nach verschiedenen Stationen verantwortet sie heute den nationalen und internationalen Vertrieb sowie die Fremdherstellung. Alicia Lindner hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Unter anderem wählte sie 2022 das „Handelsblatt“ zu den „50 besten Unternehmerinnen Deutschlands“. Im selben Jahr kürte sie „Business Insider“ zu einer der 25 Zukunftsmacherinnen. Zudem erhielt sie Auszeichnungen für ihr Diversitätsengagement. Alicia Linder ist Mutter von zwei kleinen Töchtern und einem Sohn.
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Ihnen hat das Format „5 Fragen an…“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „5 Fragen an Ingo Elfering, Fresenius“.

Wann sind Mitarbeitende bereit, eine Veränderung mitzutragen? Das reine Informieren reicht in den seltensten Fällen aus. Wichtig ist viel mehr, die Menschen frühzeitig zu involvieren und eine plausible Geschichte zu erzählen, die das „Warum“ deutlich macht. Das kann eine Change Story leisten, die das gemeinsame Verständnis der Beteiligten dokumentiert.

Führungskräfte, die Veränderungen anschieben, denken oft, dass es reicht, Mitarbeitende zu informieren, wenn alles beschlossen und geplant ist. In dieser Annahme stecken drei große Fehler: erstens reicht reines Informieren nicht, wenn es gilt, Menschen auf einer Veränderungsreise mitzunehmen. Zweitens müssen die Mitarbeitenden frühzeitig involviert werden, damit sie Veränderung auch mittragen. Und drittens kann reine Information Menschen nur beschränkt zum Change bewegen.

„Es muss sich etwas ändern“ – das ist oft die einfache Antwort auf komplexe Herausforderungen. Das ist verständlich, denn Organisationen, ihre Menschen, ihre Kultur, ihre Prozesse haben ein gehöriges Beharrungsvermögen. Da ist es einfach zu sagen „Wir haben diese Probleme, weil wir so sind, wie wir sind“.

Wenn Veränderungen als Bedrohung gesehen werden

Meistens verbinden aber viele Menschen ein Sicherheitsgefühl mit dem Ist-Zustand und empfinden deshalb Veränderungen als Bedrohung. Wenn sie mit einer Veränderung konfrontiert werden, dann wird diese als etwas von außen Kommendes wahrgenommen. „Die da oben“ haben was beschlossen, und „wir“ müssen es ausbaden. Wie bekommen Führungskräfte aber die Mitarbeitenden an Bord? Helfen kann dabei eine Change Story. Bevor sie erarbeitet werden kann, sind allerdings wichtige Punkte zu beachten.

1. Mit den richtigen Fragen anfangen

Führungskräfte haben meist das Bedürfnis, die volle Kontrolle zu behalten. Dabei übersehen sie oft, dass Mitarbeitende näher an den alltäglichen Herausforderungen sitzen und deshalb nicht nur guten Input geben können, sondern auch viel stärker von Veränderungen betroffen sind.

Es ist deshalb wichtig und richtig, die Mitarbeitenden frühzeitig einzubinden.

Natürlich kann nicht jede Organisation alle gleich intensiv einbinden und natürlich gibt es Veränderungen, bei denen aus rechtlichen oder anderen Gründen der Kreis der Beteiligten klein gehalten werden muss. Aber es besteht immer die Möglichkeit, frühzeitig viele durch das Nachfragen einzubinden. Denn fragen ist auch Kommunikation.

2. Erzählen statt informieren

Nicht umsonst sind aus fast jedem Kulturkreis Sagen, Legenden oder Geschichten überliefert, aber nur in den seltensten Fällen Geschäftsberichte oder Strategiepapiere. Während Letztere qualitativ hochwertigere Informationen beinhalten, haben Erstere entscheidende Vorteile: Das Erzählen bindet Informationen in einem plausiblen Sinnzusammenhang ein. Und lädt die Zuhörer dazu ein, sich als Teil der Geschichte zu fühlen. Wichtig zu wissen ist: Menschen machen sich selbst einen Reim auf das, was sie mitbekommen – wenn sie keine Geschichte haben, in die sie Gehörtes, Gelesenes und Gefühltes einordnen können. Kontext und Hintergrund sind also wichtige und unverzichtbare Elemente der Botschaft.

3. Das „Warum“ muss jeder und jede verstehen

Je klarer die Gründe, desto leichter werden sie verinnerlicht. Natürlich gibt es für Veränderungen meistens gute Gründe, aber die sind oft hinter Floskeln und Charts versteckt, oder es gibt viele unterschiedlich große Gründe, oder es gibt auch nur einen Anlass. Jetzt will aber jeder und jede verstehen, was da vor sich geht, und an der Kaffeemaschine wird analysiert und debattiert, bis ein einfacher und verständlicher Grund Konsens wird. Der muss nicht richtig sein, aber wenn er sich leichter erzählen lässt als die komplexe Wahrheit, dann setzt sich dieser Grund in der Erzählung durch. Um zu sehen, wie das funktioniert, reicht ein Blick auf die Methoden populistischer Politiker. Das Einzige, das gegen eine einfache Unwahrheit hilft, ist eine genauso einfache Wahrheit: das „Warum“.

4. Hauptsache irgendwas, statt nichts sagen

„Was ändert sich eigentlich?“

Wenn Veränderungen zu Verunsicherung führen, dann hilft es, wenn möglichst deutlich wird, was sich dann wirklich ändert. Das können genau umrissene Veränderungen sein, wie die Umstellung auf agiles Arbeiten oder Stellenabbau oder auch eher Haltungsänderungen. Manchmal wissen wir aber noch nicht genau, was sich ändert, dann können wir über die Prozesse reden, die wir nutzen, um die Veränderung zu gestalten. Es ist ganz entscheidend, dass gesagt wird, was gesagt werden kann und auch gesagt wird, wenn etwas (noch) nicht gesagt werden kann.

5. Antworten auf die wichtigste Frage vorbereiten

Irgendwann fragen sich alle Menschen in Veränderungsprozessen: „Was bedeutet das für mich?“

Denn jede große Veränderung muss irgendwann einmal auch Alltag für die Beteiligten werden – den Weg dahin und wie die neue Realität für den Einzelnen aussehen soll, will jeder weitestgehend wissen. Wenn Menschen sich als Objekt und nicht als Subjekt der Geschichte verstehen, dann fallen sie in eine Opferrolle und machen nicht aktiv mit. Im Gegenteil: Sie versuchen, die Veränderung auszusitzen oder sogar zu blockieren. Daher ist es essenziell, passende Antworten vorzubereiten und zu kommunizieren

 

 

Autor

Sepp Baumeister
nutzt seit über 30 Jahren als Texter, Creative Director, Creative Strategist die Kraft von Storytelling, um Einstellungen, Haltungen und Umstände zu beeinflussen. Bei Timmermann erzählt er als „Head of Communication Creation“ in Veränderungsprozessen die Dinge zusammen (Kontakt: sepp.baumeister@timmermannpartners.com).
»Sepp bei LinkedIn

Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten sind meist geprägt von schwierigen Verhandlungen, in denen jede Seite ihre jeweiligen Interessen durchsetzen will. Dies hat häufig zur Folge, dass notwendige Veränderungen nicht schnell genug angegangen werden können. Notwendig wären hingegen echter Dialog und die Abkehr vom reinen Verhandlungsmodus hin zum Gestaltungsmodus, bei dem die Zusammenarbeit als Allianz im Auftrag der Kunden der Mitbestimmung verstanden wird.

In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ist die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten von zentraler Bedeutung. Eine funktionierende Kooperation mit wertschöpfenden Beiträgen trägt maßgeblich zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden und zum Erfolg des Unternehmens bei. Doch in der Unternehmenspraxis ist die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten häufig von Konflikten und großen Herausforderungen geprägt. Das muss allerdings nicht sein, wenn echter Dialog Einzug hält.

Verhandelst du noch oder gestaltest du schon?

Im weitverbreiteten Sprachgebrauch wird die Interaktion zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten traditionell als „Verhandlung“ tituliert. Ein typischer Ausdruck einer Zusammenarbeit im Modus des „Verhandelns“ zeigt sich auf Arbeitgeberseite in Fragen wie: „Wie können wir das Thema gut verkaufen?“ oder „Wie bekommen wir das am besten am Betriebsrat vorbei?“.

Auf Betriebsratsseite hingegen stellt man sich häufig Fragen wie: „Wie können wir unsere Positionen durchsetzen?“ oder „Warum werden wir wieder so spät hinzugezogen?“ Solche Fragestellungen verdeutlichen den Fokus auf das eigene Gewinnen, das Vermeiden von Diskussionen und das Durchsetzen von Positionen, statt gemeinsam konstruktiv Lösungen zu entwickeln. Diese Verhaltensmuster erinnern häufig an ein Pokerspiel, in dem jeder seine Karten verdeckt hält, um im richtigen Moment zu punkten.

Warum gute Zusammenarbeit wichtiger denn je ist

In einer zunehmend komplexen Arbeitswelt, in der Unternehmen ständig auf Veränderungen reagieren müssen, wird die Notwendigkeit einer wertschöpfenden Zusammenarbeit der Betriebspartner immer deutlicher. Hier kommt das „Puzzeln“ ins Spiel – eine Metapher für eine kooperative Zusammenarbeit, bei der beide Seiten ihre Teile transparent einbringen, um das große Ganze zu vervollständigen. Statt gegeneinander zu arbeiten, arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam daran, die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu gestalten.

Im Zentrum eines modernen und wertschöpfenden Gestaltungsprozesses sollte immer zuerst der Kunde der Mitbestimmung stehen. Mit Kunde meine ich im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung die Beschäftigten, aber auch die Endkunden eines Unternehmens – ganz im Sinne des § 2 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Diese Einstiegsperspektive kann helfen, um einen gemeinsamen Gestaltungsprozess zu starten und nicht in einer Gewinner-Verlierer-Logik des Pokerns zu verharren.

Echter Dialog: der Schlüssel zum Puzzeln

Der Gestaltungsmodus setzt auf eine proaktive Informationspolitik, die nicht nur auf die reinen erzwingbaren und echten gesetzlichen Mitbestimmungsrechte reagiert, sondern eine „Default“-Einstellung hat, nach der kontinuierlich und frühzeitig Informationen geteilt werden. Dies schafft die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis und eine bessere Zusammenarbeit. Dabei ist die „Feedback-Maximierung“ zentral: Durch die aktive Einholung von Rückmeldungen kann ein besseres Ergebnis erzielt werden, das die Bedürfnisse aller Kunden – sowohl der internen als auch der externen – berücksichtigt.

Ein weiteres Merkmal des Gestaltungsmodus ist die ergebnisoffene Haltung der Beteiligten. Statt voreilige Schlüsse zu ziehen und frühzeitig Entscheidungen zu fällen, müssen Arbeitgeber und Betriebsrat bereit sein, den Dialog offen zu halten und unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen.

Dies erfordert von beiden Seiten eine Bereitschaft zur echten Mitarbeit und zur kontinuierlichen Kommunikation.

Auch wenn dies zeitaufwendig und anstrengend sein kann.

Eine solche „projektintegrierte Mitbestimmung“ bedeutet, dass die Mitbestimmungsprozesse nicht isoliert, sondern als integraler Bestandteil von Projekten betrachtet werden. Dies verlangt von beiden Seiten eine aktive Beteiligung und den Mut, auch unkonventionelle Ansätze zu wählen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.

Die Zusammenarbeit als Allianz im Auftrag der Kunden

Im Gestaltungsmodus sind sogenannte „Schwebemomente“ eine wichtige Komponente. Diese Momente, in denen Entscheidungen noch nicht gefallen sind und die Situation „in der Schwebe“ ist, erfordern Geduld und Vertrauen von allen Beteiligten. Diese „Schwebemomente“ auszuhalten, ist entscheidend, um eine wirklich durchdachte und gemeinsam getragene Lösung zu entwickeln.

Die Zusammenarbeit im Gestaltungsmodus versteht sich als Allianz im Auftrag der Kunden der Mitbestimmung. Beide Seiten arbeiten nicht gegeneinander, sondern verfolgen ein gemeinsames Ziel: das bestmögliche Ergebnis für die Kunden – sowohl intern (Mitarbeitende) als auch extern (Kunden des Unternehmens) – zu erzielen.

Diese Allianz bedeutet ebenfalls, dass Arbeitgeber und Betriebsrat das Risiko eingehen, sich gegenüber anderen Stakeholdern, zum Beispiel einzelnen Beschäftigtengruppen oder Verwaltungsräten, offen zu positionieren und die getroffenen Entscheidungen transparent zu kommunizieren. Diese Haltung erfordert Mut und das Vertrauen, dass die gemeinsam erarbeiteten Lösungen auch nach außen hin Bestand haben werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Gestaltungsmodus ist die Rolle des Beraters auf der jeweiligen Seite. Ein gegenseitiges Beraten wird nicht als gegnerische Einbringung oder barsche Beobachtung wahrgenommen, sondern als wertvolle Dienstleistung, die dabei hilft, „blinde Flecken“ zu erkennen und die Qualität des Entscheidungsprozesses zu steigern. Dies erfordert eine bewusste Investition von Zeit und Ressourcen, um den Beratungsprozess zu optimieren und das bestmögliche Ergebnis für das Unternehmen zu erzielen.

Die Summe aller Perspektiven verspricht das beste Ergebnis für das Unternehmen. Diese Einstellung, gepaart mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe, ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Gestaltungsmodus. Es geht nicht darum, zu müssen, sondern zu wollen – eine freiwillige und engagierte Zusammenarbeit, die auf gegenseitigem Respekt und dem Willen, gemeinsam erfolgreich zu sein, beruht.

Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten kann als gemeinsames Gestalten verstanden werden, bei dem beide Seiten ihre Teile einbringen, um ein kohärentes und vollständiges Zielbild zu erschaffen. Dieser Prozess erfordert nicht nur den kontinuierlichen Dialog, sondern ebenso eine Kultur der Offenheit und Flexibilität, um auf Veränderungen und neue Herausforderungen adäquat reagieren zu können.

Auf die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer effektiven Zusammenarbeit möchte ich im Folgenden noch eingehen.

Gemeinsames Zielbild

Ein klares und gemeinsam entwickeltes Zielbild dient als Leitfaden für die Zusammenarbeit.

Es gibt beiden Seiten eine Vorstellung davon, wie das Endergebnis aussehen soll, und hilft dabei, die einzelnen Eckpunkte sinnvoll an ihren Platz zu setzen. Dieses Zielbild sollte nicht nur die kurzfristigen Ziele umfassen, sondern auch die langfristige Ausrichtung des Unternehmens und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick haben. Ein geteiltes Zielbild schafft Orientierung und vereinfacht es den Beteiligten, ihre jeweiligen Beiträge zielgerichtet zu leisten.

Partizipation

Der Erfolg des Gestaltens hängt maßgeblich davon ab, dass beide Seiten aktiv in den Prozess einbezogen werden und sich auch aktiv beteiligen. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber und Betriebsrat nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, sondern vorrangig die Perspektiven
und Bedürfnisse der Stakeholder – den Kunden der Mitbestimmung. Partizipation ist der Schlüssel zu einem integrativen Prozess, in dem alle relevanten Stakeholder mitwirken. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Gestalten vollständig und im Sinne aller Beteiligten gelöst wird.

Die Einbindung der Belegschaft in diesen Prozess fördert die Akzeptanz der Ergebnisse.

Und sie stärkt das Vertrauen in die Zusammenarbeit.

Ein praktisches Beispiel für Partizipation könnte darin bestehen, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat bei komplexen Themen wie beispielsweise Vergütungsmodellen zunächst ein gemeinsames Grundlagenwissen aneignen. Dies kann durch eine Tandemschulung geschehen, bei der beide Seiten zusammen von einem gemeinsam beauftragten Referenten bzw. Sachverständigen geschult werden, oder indem sie sich verpflichten, ein spezifisches Sachbuch zu diesem Thema im Vorfeld zu lesen.

Ein solches Vorgehen stellt sicher, dass alle Beteiligten über ein gemeinsames Verständnis des Sachverhalts verfügen und auf einer fundierten Wissensbasis miteinander diskutieren können. Besonders bei Themen, die tiefgehendes Fachwissen
erfordern, wie etwa Vergütungsmodelle, ist es entscheidend, dass beide Seiten die gleichen Grundkenntnisse haben. Dies fördert nicht nur den Dialog, sondern ermöglicht es auch, auf Augenhöhe zu argumentieren und gemeinsam fundierte Entscheidungen zu treffen.

Ein weiteres Beispiel für Partizipation im Gestaltungsprozess könnte die Einbeziehung von Fokusgruppen aus der Belegschaft sein, die zu spezifischen Fragestellungen konsultiert werden. Diese Fokusgruppen bieten wertvolle Einblicke und helfen sicherzustellen, dass die Perspektiven der Kunden der Mitbestimmung – also der Mitarbeitenden – nicht aus dem Blick geraten. Dabei geht es weniger darum, ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat „Recht“ hat, sondern vielmehr darum, ob die geplanten Maßnahmen wirklich im Interesse der Belegschaft sind und deren Bedürfnisse und Erwartungen widerspiegeln.

Flexibilität

Die Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, ist entscheidend für den Erfolg des gesamten Prozesses. Ein Puzzle, das unter starren Rahmenbedingungen zusammengesetzt wird, kann schnell unvollständig bleiben, wenn neue Herausforderungen oder Informationen auftreten. Flexibilität bedeutet, dass beide Seiten bereit sein müssen, ihre ursprünglichen Pläne und Positionen zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Dies erfordert eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Anpassungsbereitschaft, in der Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden, das Ergebnis zu optimieren.

Vom Verhandeln zum Gestalten

Die Transformation von einem Pokerspiel zu einem Puzzle bzw. Gestalten ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten. Es geht darum, einen echten Dialog zu führen, Vertrauen aufzubauen, sowie um die Bereitschaft, gemeinsam gestalten zu wollen. Weg von einem reinen Verhandlungsmodus hin zu einem Gestaltungsmodus, der das Wohl der Mitarbeitenden und Kunden in den Mittelpunkt stellt, ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Nur so können Unternehmen die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt meistern und langfristig erfolgreich sein.

 

 

Autor

Marco Holzapfel
ist Experte für betriebliche Mitbestimmung und Gründer von Betriebsdialog. Als unabhängiger Mitbestimmungslotse und ausgebildeter Wirtschaftsmediator vereint er die Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern und unterstützt die Betriebsparteien bzw. Betriebspartner gleichermaßen für den gemeinsamen Erfolg (Kontakt: marco.holzapfel@betriebsdialog.de).
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