Jeder möchte einer Arbeit nachgehen, die einem Freude bereitet. Bei vielen Menschen ist das aber nicht der Fall. Und sie fühlen sich machtlos, dies zu ändern. Job Crafting ist eine Möglichkeit, den Job zu machen, den man wirklich will. Dabei wird das eigene Rollenprofil über die Zeit proaktiv verändert, um mehr Erfüllung zu finden. Im Coaching kann das Konzept des Job Craftings für den Coachee wertvolle Impulse bringen, um Arbeit neu zu erleben.
Viele Menschen arbeiten gerne. Allen Unkenrufen zum Trotz hat gute Arbeit neben dem volkswirtschaftlichen Nutzen positive Konsequenzen für Individuen. So kann gute Arbeit ein erstklassiges Vehikel sein für Selbstwirksamkeit, Stärkenorientierung, Sinnerleben – und nicht zuletzt: menschliche Resonanz. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Nur die wenigsten Menschen mögen ihren Job von vorne bis hinten, tagein, tagaus. Wäre es nicht wunderbar, wenn es einen Zauberstab gäbe, der genau jene Arbeit herbeizaubern könnte, die Menschen wirklich, wirklich wollen? Leider gibt es dafür keinen magischen Trick. Allerdings bedeutet die Abwesenheit von Zauberei nicht, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen hier vollkommen machtlos wären. Es gibt immer Spielräume – und von diesen handelt dieser Beitrag.
Nun lässt sich fragen, ob „der perfekte Job“ überhaupt eine realistische Vorstellung ist. Mein früherer Chef sagte gerne: „Last time I looked it was called work.“ Nicht alle Aspekte einer Arbeit sind angenehm, selbst unter wirklich guten Rahmenbedingungen. Wenn Arbeit ein Ponyhof wäre, müssten wir dafür bezahlen. Die Tatsache, dass wir stattdessen „entlohnt“ werden, zeigt: Arbeit ist (auch) belastend, manchmal muss man sich durchbeißen. „Mund abwischen und weitermachen“, sagte man an diesem Punkt gerne in meiner früheren Abteilung.
Was wäre dann ein gutes, ein gesundes Verhältnis von „Ponyhof“ zu „Plackerei“? Wie viel Prozent Arschloch-Aufgaben – Verzeihung, so habe ich das früher gerne genannt – darf ein guter Job beinhalten, ohne dass er aufhört, ein guter Job zu sein? Ohne eine eindeutige Antwort geben zu können, könnte man die Parole ausgeben: Der Anteil an ungewollten, an nicht sinnstiftenden, an Langeweile oder Frust auslösenden Aufgaben sollte so weit wie möglich minimiert werden, ohne die Interessen des Arbeitgebers zu ignorieren.
Job Crafting: Haltungsfrage und Set an Techniken
Arbeitsverträge sind unterspezifiziert, sprich: „eindeutig uneindeutig“. Es werden nur wenige Aufgabenbündel fixiert. Darüber hinaus werden Arbeitnehmende durch Klauseln dazu animiert, sich dem Arbeitgeber gegenüber wohlwollend zu verhalten. Die Lücke zwischen Vertrag und Wirklichkeit wird vorrangig durch disziplinarische Führung, Zielvereinbarungen und Feedback geschlossen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Zahlung eines Gehalts und gelobt, die physische und psychische Integrität der Arbeitnehmenden zu wahren.
Das bedeutet auch: Es gibt eine Menge Grauzonen in Bezug auf die Frage, wie sich eine Rolle im Alltag konkret ausgestalten lässt. Hier kommt Job Crafting ins Spiel. Dabei handelt es sich um ein Set von Techniken, vielleicht besser: eine Haltung, mit der Menschen aus dem Job, den sie innehaben, jenen machen, den sie wirklich, wirklich wollen. Job Crafting wurde in der Forschung zunächst von den Amerikanerinnen Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton im Jahr 2001 beschrieben. Sie beobachteten, dass Beschäftigte unterschiedlicher Couleur – mit oder ohne Wissen ihrer Vorgesetzten – ihr Rollenprofil über die Zeit proaktiv veränderten. Dies taten sie meist nicht in der Absicht, ihren Organisationen zu schaden. Vielmehr ging es darum, die eigenen Rollen derart anzupassen, dass sich das zugehörige Bündel an Aufgaben inklusive des Kontexts über die Zeit motivierender und sinnstiftender gestaltete.
Etwas später wurde Job Crafting auch in das sogenannte Job-Demands-Resources-Modell von Arnold B. Bakker und Evangelia Demerouti eingebettet. Demgemäß bemühen sich Menschen angesichts ihrer Arbeitsrollen, zusätzliche Ressourcen zu generieren, um ihren Anforderungen besser gerecht zu werden. Sie streben danach, motivierende Anforderungen zu ihrem Profil hinzuzufügen. Ferner bemühen sie sich, belastende Anforderungen zu minimieren. Übergreifendes Ziel: Das Level an Ressourcen sollte über den Zeitverlauf hinweg höher sein als das Level an belastenden Anforderungen.
Cort W. Rudolph kommt mit weiteren Forschenden in einer Metastudie aus dem Jahr 2017 zu dem Schluss, dass es einen signifikanten positiven Einfluss auf das Engagement, die Arbeitszufriedenheit und verschiedene Aspekte der Arbeitsleistung hat, in der Selbst- wie auch der Fremdwahrnehmung. Job Crafting wurde mittlerweile in einer hohen Zahl an Studien untersucht.
Naturgemäß gab es Job Crafting bereits vor dem 21. Jahrhundert. Im Grunde versuchen Arbeitnehmende fortlaufend, Prozesse zu beschleunigen und überflüssige Arbeit zu vermeiden, oft unter Umgehung intraorganisationaler Regeln. Niklas Luhmann prägte für nutzenstiftende Regelbrüche den Begriff „brauchbare Illegalität“. Manche Management-Experten postulieren mit einem Zwinkern in den Augen, dass es letztlich solche konstruktiv-abweichenden Verhaltensweisen seien, die „den Laden am Laufen halten“.
Unterschiedliche Hebel als konkrete Ansatzpunkte
Der Unternehmensberater Rob Baker hat in seinem aktuellen Buch eine Visualisierung vorgestellt, die verschiedene Ansatzpunkte für Job Crafting abbildet. Ich habe diese Grafik erweitert ins Deutsche übertragen.
Grundsätzlich stehen Mitarbeitenden (wenn auch, je nach Rolle, nicht im gleichen Umfang) folgende Hebel zur Verfügung:
- Wer: Man verändert Aufgaben derart, dass der Kontakt mit einigen (Gruppen von) Menschen intensiviert bzw. vermindert wird.
- Was: Man fügt Aufgaben zum Portfolio hinzu bzw. entfernt Aufgaben aus diesem (bzw. intensiviert einige oder fährt andere herunter).
- Wann: Man entscheidet aktiv, zu welcher Zeit Aufgaben erledigt werden.
- Warum: Man konstruiert einen höheren Bedeutungszusammenhang für das, was man tut, schärft folglich „das Wozu“.
- Wo: Man entscheidet, an welchem Ort Aufgaben erledigt werden.
- Wohl: Man beeinflusst Randbedingungen der Rolle, die das arbeitsbezogene Wohlbefinden fördern.
Zusätzliche Impulse durch Coaching
Es lässt sich argumentieren, dass arbeitsbezogenes Coaching immer (auch) auf eine Form des Job Craftings abzielt. Ich glaube jedoch, dass dieses gut erforschte Konzept zusätzliche Impulse geben kann. An diesem Punkt ist es zunächst hilfreich, Menschen vor Augen zu führen, dass sie sowieso schon Job Crafting betreiben, wenn auch mehr oder weniger unbewusst. Wie ausgeprägt Menschen solche Verhaltensweisen an den Tag legen, hängt von der Organisationskultur, der Rolle und auch der Persönlichkeit ab. Im Coaching bemühe ich mich immer, den folgenden Gedanken zu säen: Es geht immer mehr, als du gerade denkst.
Menschen reagieren auf bestehende Strukturen und Normen.
Nach einer Zeit in einem Job fällt es zunehmend schwerer, sich vorzustellen, dass es auch (ganz) anders gehen könnte. Hier ist es hilfreich, wenn der Coach bewusst einen „Als-ob-Rahmen“ öffnet. Sprich: Man tut so, als ob die bestehenden Strukturen und Normen nicht oder nur bedingt gültig wären.
Zunächst geht es darum, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Rolle durchzuführen, am besten bildhaft. Es gilt, Aufgabenpakete, Beziehungen und auch Aspekte wie Stärken, Motive und Leidenschaften der Person zueinander in Beziehung zu setzen. Für die folgende Abbildung habe ich dies einmal exemplarisch getan – wobei zwecks Übersichtlichkeit nicht alle Aspekte gezeigt werden, die man berücksichtigen kann.
Die Idealversion des Rollenprofils entwerfen
Die Abbildung zeigt links die stilisierte Ist-Situation. Hier gibt es Stärken und Leidenschaften, die in der aktuellen Rolle (schattierter Bereich) nicht bespielt werden. Zudem gibt es Aufgaben, die die Person attraktiv findet, die aber derzeit nicht zum Portfolio gehören. Nun ist es das Ziel, eine Idealversion des Rollenprofils zu entwerfen:
1 Welche Aufgaben würde ich gerne in mein Portfolio integrieren, welche entfernen oder zumindest herunterfahren?
2 Wie würde sich das auf die Nutzung meiner Stärken sowie das Bespielen meiner Leidenschaften auswirken?
3 Welche zusätzlichen Veränderungen würde ich gerne vornehmen, damit die Arbeit sinnstiftender erscheint oder besser in den erweiterten Lebenskontext passt?
Auf dieser Basis lässt sich ein Zielbild entwerfen. Im Bild rechts hat die Person einige Veränderungen avisiert: Die Aufgabenbündel 1 und 4 wurden aus der Rolle entfernt, dafür die Pakete 5 und 6 integriert. Dies geht einher mit dem besseren Bespielen von bestimmten Stärken, Werten und auch Leidenschaften. Die Person ist aber auch zu dem Entschluss gekommen, dass die Leidenschaft c derzeit nicht in das berufliche Portfolio passt.
Angestrebte Veränderungen wirklich realisieren
Schließlich gilt es zu überlegen, wie die avisierten Veränderungen realisiert werden können. Dies kann formell oder informell geschehen, die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt. Hier sind einige Beispiele:
- Themen delegieren, um Raum für andere Aufgaben zu schaffen (bei Führungskräften).
- Sich aktiv für Projekte bewerben oder auch von anderen Projekten verabschieden.
- Mit Kollegen und Kolleginnen auf der gleichen Ebene Aufgabenpakete tauschen.
- Zeiten aushandeln, die zur freien Verfügung stehen (à la „20-Prozent-Zeit“ bei Google).
- Formelle oder informelle Verabredungen über Arbeitszeit und -ort treffen.
- Eine Fortbildung aushandeln oder auch informell Arbeitszeit nutzen, um sich durch Online-Ressourcen weiterzubilden.
- Bestimmte Aufgaben ersatzlos streichen (gerade in Verwaltungen neigen Aufgaben zur Perpetuierung, ohne dass sich jemand mit den Ergebnissen dieser Arbeit beschäftigt).
Einige Initiativen lassen sich unter dem Radar durchführen ohne das Wissen des Vorgesetzten.
Der Königsweg liegt meines Erachtens jedoch darin, regelmäßig offen über diese Wünsche zu sprechen, solche Dialoge auch aktiv einzufordern – über das obligatorische Jahresgespräch hinaus. Das bedeutet im Übrigen nicht, alle Vorschläge müssten auch eins zu eins bejaht werden. Manchmal sehen Vorgesetzte mit mehr Weitblick auch gute Gründe, warum eine Veränderung gerade nicht sinnvoll erscheint. Folgendes sollte berücksichtigt werden:
- „Alignment“ mit der Organisation: Inwieweit zahlen die Veränderungen auf die Ziele der eigenen Abteilung und der Organisation als solcher ein?
- Auswirkungen auf andere: Wie beeinflusst die angestrebte Veränderung das Wirken anderer Menschen? Wo könnte die Leistung anderer Personen beeinträchtigt werden?
- Auswirkungen auf mich selbst: Wie fügen sich die Veränderungen in das große Ganze ein, beispielsweise das Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben?
Job Crafting ist kein Zauberstab, der alles heil macht. Eher gleicht es einem – im positiven Sinne – subversiven Ansinnen, durch kleine, kontinuierliche Verbesserungen am eigenen Traumjob zu basteln, ohne dafür die Rolle oder den Arbeitgeber wechseln zu müssen. Gerade in dem immer noch vom preußischen Arbeitseifer geprägten Deutschland ist die schlichte, aber schöne Erkenntnis, dass Regeln, Normen und Strukturen nicht zwingend in Stein gemeißelt sind, ein sehr guter Anfang.
Autor
Dr. Nico Rose
ist Sinnputgeber. Er arbeitet als freier Autor und Sparringspartner für Menschen und Organisationen. Von 2019 bis Anfang 2022 war er Professor für Wirtschaftspsychologie an der ISM Dortmund. Er studierte Psychologie in Münster und wurde an der EBS Oestrich-Winkel promoviert. Zudem studierte er in den USA Positive Psychologie. Jüngst erschien sein Buch „Management Coaching & Positive Psychologie“.
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