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Transformationen gelingen nicht ohne das Commitment der Belegschaft. Dabei reicht es nicht aus, die Mitarbeitenden halbherzig oder punktuell in den Wandel einzubeziehen. Die begleitende Change-Unterstützung sollte stringent an ihren Bedürfnissen und Erfahrungen ausgerichtet werden. Ein entsprechendes Framework liefert der Ansatz Change Experience.

In der Software-Entwicklung gilt die Erkenntnis: Nur wenn ein Produkt von Anfang an aus der Perspektive des Kunden betrachtet wird, bietet es eine überzeugende, im Idealfall sogar verführerische Kundenerfahrung – ohne irritierende Brüche und Widersprüche. UX – so die Kurzbezeichnung für User Experience – ist zum Mantra von Software- und Webentwicklern geworden. Ständig fragen sie sich: Wie wirkt das Produkt auf den Kunden bzw. die Kundin? Wie intuitiv lässt es sich bedienen? Wie stimmig ist das Erlebnis über verschiedene Kanäle hinweg? Ziel ist es, den Kunden nicht nur gut funktionierende Produkte zu liefern, sondern sie zu begeistern und regelrecht süchtig zu machen – ein ehrgeiziger Anspruch, der aus der Entwicklung von Video- und Online-Spielen stammt.

Beim Change Management liegt die Messlatte in den Unternehmen oftmals weniger hoch, obwohl hier die konsequente Ausrichtung an den Kunden – in diesem Fall den Mitarbeitenden – mindestens genauso wichtig ist. So hat sich zwar generell ein Verständnis dafür entwickelt, dass die Belegschaft „mitgenommen“ werden muss, wenn eine Transformation, wie zum Beispiel eine Kulturveränderung oder strategische Neuausrichtung, ansteht. Wie stringent die Bedürfnisse und auch die mit dem Wandel gemachten Erfahrungen der Mitarbeitenden jedoch ins Zentrum der Veränderung gestellt werden müssen und wie viel Einsatz, Koordinations- und Planungsaufwand dieses Vorhaben erfordert, wird häufig unterschätzt.

Ebenso wird bei der Einführung neuer Technologien – wie beispielsweise Prozessautomatisierung, intelligente Datenanalyse oder Big Data – oftmals vergessen, dass diese für die Mitarbeitenden einschneidende Auswirkungen haben. So ermöglichen die technologischen Errungenschaften aus der Sicht des Unternehmens innovative Geschäftsmodelle und effizientere Abläufe. Die Mitarbeitenden erleben sie jedoch oftmals als Bedrohung. Sie befürchten, aufgrund der zunehmenden Digitalisierung nicht mehr gebraucht zu werden oder mit den steigenden Anforderungen nicht mithalten zu können. Aus Selbstschutz blockieren oder verzögern sie entsprechende Vorhaben.

Ganzheitliche Hilfe durch das Framework

Um die Mitarbeitenden hingegen für den Wandel zu gewinnen und im Idealfall sogar zu begeistern, gilt es im ersten Schritt zu erkennen, wie stark die Einführung neuer Technologien, neuer Prozesse oder die Zusammenführung zweier Unternehmen in die Struktur von Teams und Abteilungen eingreift.

Im zweiten Schritt sollten Unternehmen verinnerlichen, dass diese Vorhaben deshalb nur gelingen können, wenn sie durch eine konsequent an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden ausgerichtete Change-Unterstützung begleitet werden. Ganzheitliche Hilfe dabei bietet unser Framework Change Experience, dessen Name auf die bei der Software-Entwicklung konsequent im Zentrum stehende User Experience verweist. Entwickelt wurde es aus den Erkenntnissen einer Vielzahl an Kundenprojekten für unterschiedlichste Unternehmen weltweit sowie in Zusammenarbeit mit der Harvard Business School.

Diesem Ansatz folgend sind vor allem vier Faktoren entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung eines Change-Vorhabens:

1. Sinnhaftigkeit

Jedes Transformationsprojekt braucht einen übergeordneten Sinn (Purpose). Idealerweise werden Purpose-Workshops durchgeführt, bei denen ausgewählte Stakeholder, darunter auch Vertreter und Vertreterinnen der Belegschaft, einen Programm-Purpose entwickeln. Dieser Purpose wird in Form einer überzeugenden Change Story allen Führungskräften und Mitarbeitenden kommuniziert.

Vermittelt werden sollte dabei auch ein Gefühl der Dringlichkeit sowie eine Antwort auf die Frage: „Was passiert, wenn wir nichts tun?“ Eine gute Change-Geschichte vermittelt der Belegschaft darüber hinaus alle wichtigen Informationen zum Ablauf des Wandels und schafft Klarheit und Sicherheit. So gilt es zu vermitteln, welche Tätigkeiten künftig automatisiert werden und auch in welchem Zeitraum dies geschehen wird. Ebenso sollte kommuniziert werden, welche Perspektiven es für die betroffenen Mitarbeitenden gibt und wie sie auf neue Einsatzgebiete vorbereitet werden.

2. Personalisierung

„One size fits all“-Ansätze funktionieren im Change nicht. Jeder Bereich und jedes Team innerhalb einer Organisation benötigen eine  individuelle Ansprache. Kommunikations-, aber auch notwendige Trainingsmaßnahmen müssen personalisiert gestaltet werden, um Mitarbeitende und Führungskräfte auch wirklich zu erreichen. Um dies zu ermöglichen, gilt es, die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen sehr genau zu analysieren, zum Beispiel:

  • Wer wird mit dem neuen IT-System arbeiten?
  • Welche Tätigkeiten werden durch die neue Technologie überflüssig?
  • Welche Mitarbeitenden fürchten um ihren Job oder haben andere Schmerzpunkte?
  • Wie möchten sie angesprochen werden?

Um die persönliche Ansprache zu konzipieren, kommen Personas zum Einsatz, wie sie etwa aus dem UX-Design bekannt sind. Das bedeutet: Es werden konkrete Mitarbeitertypen mit ihren Vorlieben, Ängsten und persönlichen Herausforderungen beschrieben.

3. Erkenntnisreichtum

Datenbasierte Erkenntnisse helfen dabei, Maßnahmen präziser zu bestimmen und umzusetzen. Diese Daten werden mit umfragebasierten Analyse-Tools erhoben, die persönliche Präferenzen, aber auch die Stimmung in der Organisation erfassen. Auf dieser Basis können Change-Maßnahmen zielgerichtet dort zum Einsatz kommen, wo sie am meisten benötigt werden. Zudem kann mittels Change Monitoring erfasst werden, wo der Wandel wie gewünscht fortschreitet und wo bestehende Maßnahmen nachgeschärft oder angepasst werden müssen.

In einer Kulturtransformation kann datenbasiert überprüft werden, wie beispielsweise Werte in der Organisation wahrgenommen und gelebt werden und was es braucht, um diese zu stärken. Erfolgsgeschichten aus den entsprechenden Bereichen können dabei helfen, Mitarbeitende, die im Widerstand sind, zu überzeugen. Auch die Beteiligung an Workshops und Trainingsangeboten zeigt, wie gut die Transformation von den Mitarbeitenden getragen wird und wie erfolgreich bestimmte Formate sind.

4. Eindrücklichkeit

Erfolgreiche Change-Unterstützung macht aus Betroffenen Beteiligte und sorgt dafür, dass aus Herausforderungen neue Chancen entstehen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass das Erlebnis der Betroffenen so eindringlich wie möglich ist.

Zum Einsatz kommen kreative und ansprechende Kommunikations- und Trainingsmethoden. Maßnahmen sollten nicht im stillen Kämmerlein entwickelt werden, sondern im regelmäßigen Austausch mit den Menschen, um die es geht. Dabei müssen auch die sprachlichen und kulturellen Besonderheiten einer Organisation sowie von verschiedenen Standorten oder Teams innerhalb der Organisation berücksichtigt werden. Zudem gilt es, die neue Welt in Co-Creation mit den Mitarbeitenden zu gestalten. In unterschiedlichen Formaten hören die Change-Verantwortlichen ihnen zu und fördern Involvierung und Beteiligung.

Die vier zentralen Prinzipien werden bei allen Schritten einer Change Experience berücksichtigt (siehe Abbildung) – etwa, wenn es darum geht, das „Warum“ für den Wandel zu beschreiben, die genauen Auswirkungen der Veränderung und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfassen. Aber auch, wenn gemeinsam ein Zukunftsbild für das Unternehmen entwickelt werden soll. Ebenso gelten sie, wenn Organisation und Belegschaft auf einen Transformationsprozess eingestimmt oder die Mitarbeitenden mit Trainings auf neue Einsatzfelder vorbereitet werden.

Die große Herausforderung: eine stringente Umsetzung

Die große Herausforderung liegt dabei vor allem in der stringenten Umsetzung. So werden in der Praxis häufig wichtige Informationen zu spät übermittelt, es herrscht keine Transparenz über die Auswirkungen des Wandels, es gibt keine einheitliche Sprache und Steuerung des Projekts und/oder es wird kein attraktives Zukunftsbild gezeichnet.

Oftmals wird auch nicht bedacht, wie weit beispielsweise eine technologische Neuerung in das Unternehmen ausstrahlt. So leiden nicht nur die direkt betroffenen Mitarbeitenden unter den Auswirkungen. Auch ihre Kolleginnen und Kollegen verfolgen sehr genau, wie das Unternehmen damit umgeht, dass bestimmte Tätigkeiten in Zukunft automatisiert werden. Und: Auch Führungskräfte, die ihren Teams unbequeme Nachrichten überbringen müssen, tun sich schwer damit. Oder sie betrachten den Wandel gar als Ende ihrer eigenen Karriere und sollen ihn dennoch vorantreiben. Wichtig kann es daher sein, ihnen Sparringspartner zur Seite zu stellen.

Auch in die einheitliche und gleichzeitig personalisierte Kommunikation muss sehr viel mehr investiert werden, als den meisten Firmen bewusst ist. So reicht es nicht aus, eine Change Story einmalig vorzutragen. Um ein eindringliches Bild der Notwendigkeit, der Herausforderungen und der Chancen des Wandels zu vermitteln, ist eine Kampagne auf vielen unterschiedlichen Kanälen notwendig.

Wichtig sind klare Sprachregelungen für Führungskräfte ebenso wie das Nachhalten, dass die Botschaften auch tatsächlich wie gewünscht in der Belegschaft angekommen sind. Denn, so zeigen die Erfahrungen aus der Praxis: Häufig verstehen die Mitarbeitenden etwas anderes, als die Führungskraft vermitteln wollte. Dann hilft es nicht zu erklären: „Aber so habe ich das gar nicht gemeint.“ Im Sinne der Change Experience geht es darum, was bei den Mitarbeitenden angekommen ist und dann gegebenenfalls bei der Kommunikation entsprechend nachzubessern.

Timeline aus Sicht der Mitarbeitenden erstellen

Die vielleicht größte Herausforderung bei der Gestaltung einer stimmigen Change Experience jedoch lautet: In jedem Unternehmen gibt es unterschiedliche Interessen, die etwa von der Unternehmensleitung, der Fachabteilung, HR oder dem Betriebsrat vertreten werden. So will die Unternehmensleitung mittels der neuen Technologien die Abläufe möglichst schnell effizienter gestalten, der Leiter der Fachabteilung seinen Einfluss wahren und der Betriebsrat die Beschäftigten vor befürchteten Entlassungen schützen.

Wichtig ist es, die Aktivitäten dennoch so zu orchestrieren, dass bei den Mitarbeitenden ein stimmiges Bild entsteht und nicht etwa die Geschäftsführung mit einer Nachricht herausplatzt, die eine unvorbereitete Belegschaft verunsichert. Idealerweise wird die Timeline für den Change strikt aus Sicht der Mitarbeitenden geplant und mit allen Akteuren und Akteurinnen ein gemeinsamer Plan erstellt. Dafür sollten die entsprechenden Expertinnen und Experten direkt zu Beginn der Transformation involviert werden. Zudem sollte ein detailliertes Change-Konzept inklusive Kommunikations-, Trainings- und Resistenzmanagement-Plan für jede beschriebene Persona ausgearbeitet werden.

Auch mit der erforderlichen umfangreichen Planung lässt sich der Wandel jedoch nicht komplett kontrollieren und vorherbestimmen. Es ist ein Prozess, bei dem immer wieder nachjustiert werden muss.

Ein Prozess, bei dem sich Schritte überlagern oder noch einmal wiederholt werden müssen. Wird in Umfragen deutlich, dass die Change Story nicht wie geplant wirkt, muss sie verbessert oder vielleicht im Laufe des Projekts weitererzählt werden. Stockt der Wandel in bestimmten Bereichen, muss auch hier überprüft werden, woran es liegt und wie sich die gewählten Maßnahmen noch besser auf die Bedürfnisse und die Erlebniswelt der betreffenden Mitarbeitenden abstimmen lassen.

 

 

Autorinnen

Dr. Katharina Luh
ist Partnerin für Change Experience, Communication, Culture Evolution und Learning in den EY People Advisory Services am Standort Frankfurt. Sie leitet das deutsche Beraterteam sowie die EMEIA Community of Practice zu den genannten Themenfeldern.
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Alessa Münch
ist Senior Managerin im Change & Learning Team der EY People Advisory Services. Ihr Fokus ist die Begleitung globaler Transformationen und Transaktionen, in denen sie die Unterstützung und Befähigung der betroffenen Mitarbeitenden in den Vordergrund stellt.
»Alessa bei LinkedIn

Saskia Backhaus
ist Senior Managerin Change Communication and People Engagement bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Zuvor leitete die Kulturwissenschaftlerin das Employer Branding und Change Management bei METRO Digital, der IT-Tochter der METRO AG.
»Saskia bei LinkedIn

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir die Transformations- und Organisationsberaterin Andrea Kahlenberg: „Tools und Methoden im Change: Raum für Dialoge“.

Bei Bayer spielt People Analytics eine immer größere Rolle. Auch mithilfe des Programms „Data2Insights“ wird das Thema im Konzern vorangetrieben. Sebastian Kolberg, der „Data2Insights“ mitverantwortet, spricht im Interview über den Nutzen des datenbasierten Arbeitens und wie man es Führungskräften und Mitarbeitenden näherbringt.

Herr Kolberg, Sie tragen bei Bayer Mitverantwortung für das Programm „HR Data2Insights“. Was ist das genau?

Wir beschäftigen uns bei „Data2Insights“ generell mit der Frage, wie wir Daten nutzen können, um Führungskräften die Entscheidungsfindung zu erleichtern und schließlich zu besseren, fundierteren Entscheidungen zu gelangen. Letztlich wollen wir einen handfesten Mehrwert für das Unternehmen schaffen. Im Hintergrund befassen wir uns zudem mit weiteren Fragen: Wie können wir unsere HR-Prozesse mit Analytics effektiv unterstützen? Wie können wir den Wert von besseren Entscheidungen mit KPIs messen und welche Daten helfen Entscheidungsträgern dabei, passgenaue und möglichst inklusive Personalentscheidungen zu treffen? Und wie können wir die Kultur für ein stärker datenbasiertes Arbeiten schaffen?

Inwieweit ist People Analytics Ihrer Meinung nach ein wichtiger Hebel im Rahmen der digitalen Transformation bei Bayer? 

Bei der Planung und Steuerung des operativen Geschäfts sind datengestützte Entscheidungen die Regel. Wir bei Bayer sind davon überzeugt, dass es für den Erfolg der laufenden Transformation des Konzerns entscheidend auf die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ankommt. Indem wir nun auch datenbasierte Personalentscheidungen ermöglichen, treiben wir nicht nur die digitale Transformation von Bayer voran, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zur zukunftsorientierten Neuausrichtung des Unternehmens.

Wer ist die Zielgruppe Ihres Handelns – nur HR oder auch das Business?

Das lässt sich nicht voneinander trennen. Unser Business wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir die besten Talente finden, sie gemäß ihren Fähigkeiten einsetzen und sie dabei unterstützen, bei uns ihr volles Potenzial zu entfalten. HR spielt dabei als strategischer Partner des Business eine entscheidende Rolle. Daneben verbessern unsere Daten auch die strategische Personalarbeit im Sinne unserer Konzernziele. Als Beispiel nenne ich einmal „Inclusion & Diversity“: Wir wollen bei Bayer bis spätestens 2030 Geschlechterparität im Management erreichen. Mit unseren HR-Cockpits sehen wir in Echtzeit, wo wir bei diesem Ziel gerade stehen und wo wir eventuell nachsteuern müssen. Wir analysieren zudem, ob unsere Beschäftigten unabhängig von ihrem Geschlecht gleich bezahlt werden – auch damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu Fairness und Gleichberechtigung im Unternehmen.

Wie bringen Sie Ihren Zielgruppen People Analytics und datenbasierte Entscheidungen näher? Wie gehen Sie vor?

„Neben dezidierten Schulungen zu den Themen Visualisierung von Daten und Storytelling mit Daten bieten wir auch virtuelle Lernpfade an.“

Zum Beispiel: „Data-Driven Decision Making for Business Professionals“. Eine besondere Rolle spielt hier unsere „Data2Insights Champions Community“, in der sich Freiwillige aus dem ganzen Konzern zusammengefunden haben, um sich intensiv schulen zu lassen und ihr Wissen anhand von sehr konkreten Use Cases aus der täglichen Praxis weiterzugeben. Auch unser internes Enterprise Social Network „Yammer“ spielt für Wissensaustausch und Vernetzung eine wesentliche Rolle.

Gibt es Pilotgruppen oder Bereiche, mit denen Sie bestimmte Anwendungen testen?

„Wir binden unsere Zielgruppen grundsätzlich von Anfang an mit ein.“

Was ist das konkrete Business-Problem? Wie können Daten und Insights dabei helfen, bessere Entscheidungen und Lösungen zu erzielen? Wir orientieren uns in der Entwicklung also an ganz konkreten Fragestellungen aus der Praxis. Wie unsere gesamte HR-Dateninfrastruktur sind auch unsere Dashboards und Cockpits grundsätzlich global. Bei ihrer Einführung und Weiterentwicklung werden wir von einer internationalen und sehr divers strukturierten User Community unterstützt.

Haben Sie im Rahmen des Programms konkrete Ziele? Müssen Sie konkrete KPIs erfüllen?

Wir wollen mit unseren Tools einen konkreten Nutzen stiften. Neben besseren Entscheidungen geht es uns dabei auch um eine gute „Employee Experience“, also das Gefühl der Beschäftigten, in einem modernen Unternehmen mit zeitgemäßen digitalen Prozessen zu arbeiten. Gerade im Hinblick auf die Etablierung einer „digitalen Unternehmenskultur“ leisten wir mit unseren Lösungen, die als echte Hilfe und Arbeitserleichterung wahrgenommen werden, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. In der Einführungsphase geht es uns vor allem darum, dass die Anwender die Tools regelmäßig nutzen, gern mit ihnen arbeiten und ihren Mehrwert erkennen. Wir messen derzeit daher hauptsächlich die Nutzungshäufigkeit und – mit einem begleitenden Kurz-Survey – die Bereitschaft der Anwender, das Tool im Kollegenkreis zu empfehlen. Später wollen wir das KPI-Set weiter verfeinern.

Data2Insights-Erläuterung

Themen rund um Daten und Data Analytics sind sicherlich für viele nicht einfach. Nicht wenige haben Berührungsängste. Wie berücksichtigen Sie das? Haben Sie dafür spezielle Methoden?

Unsere Erfahrung ist: Einfach machen, bei den Anwendern Aha-Momente erzeugen und den Nutzen unserer Tools anhand von konkreten Beispielen erläutern. Das hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen. Berührungsängste gibt es gelegentlich. Sie lassen sich aber überwinden, wenn man sie ernst nimmt.

Welche Methoden, Formate und/oder Tools setzen Sie ansonsten ein, um „ein neues Arbeiten“ erlebbar zu machen und Vorbehalte abzubauen?

„Wichtig sind zunächst Transparenz und die Möglichkeit, über die eigenen Erfahrungen mit den neuen Tools offen sprechen zu können.“

Dafür haben wir mehrere Kanäle geschaffen. Entwickelt und eingeführt wurden die HR-Cockpits in einem agilen Projekt-Setup mit allem, was dazugehört, etwa Sprints und Kanban Boards. Wichtig waren uns auch die Anwendung von Design-Thinking-Prinzipien und begleitende Nutzer-Interviews. Am Anfang haben wir die Nutzung der Tools ausgewertet, indem wir bei Testnutzern die Augenbewegungen über den Bildschirm verfolgt haben. Auf Vorbehalte sind die Neuerungen eigentlich nicht gestoßen – im Gegenteil. Viele Manager und Managerinnen
haben uns schon vor ihrer Einführung auf die Tools angesprochen und sich als Test-User angeboten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher.

 

changement! Heft 02/2022

 

Autor

Sebastian Kolberg
ist seit 2011 bei der Bayer AG beschäftigt. Nach seiner Aufgabe als Global Head of Learning & Training hat er 2018 und 2019 als globaler Change Management Lead das Thema „Advancing Digital Transformation and Culture“ verantwortet. Seit Anfang 2020 leitet er im Bereich „Talent & Transformation“ funktionsübergreifende Projekte zur Einführung neuer Technologien wie künstliche Intelligenz in der Personalauswahl und die Anwendung von DataScience und People Analytics im HR-Bereich.
»Sebastian bei Linkedin

 

Mal ehrlich, Katharina Krentz!

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Praktikern und Expertinnen auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Katharina Krentz. Sie gilt in Deutschland als eine der Pionierinnen, wenn es um Working Out Loud geht.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Nein. Ich erlebe nur häufig, dass wir uns nicht genügend damit beschäftigen und nicht ausreichend Zeit nehmen. Zeit, um Methoden und Tools richtig einzusetzen; zu beobachten, wie sie angenommen werden; sie zu adaptieren, damit sie uns dienen und unterstützen; und um ausreichend zu reflektieren, was sie final bewirken. Mir fällt dazu immer ein: Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis am größten.

Hier gilt es, aufmerksam zu sein und die Tools sowie Methoden einzusetzen, die wirklich helfen und Veränderung bewirken – und nicht die, die gerade angesagt sind. Gesunder Menschenverstand, die Fähigkeit wirklich zuzuhören und zu beobachten sind hierfür die Grundvoraussetzungen.

Sie sind bei Bosch im Corporate HR Transformation Team. Was genau soll transformiert werden?

Ja, bin ich. Es ist ein großer Zentralbereich, der Bosch bei der Transformation in eine „AIoT-Company“ unterstützen soll. AIoT steht für Artificial Intelligence bzw. Internet of Things. Wir wandeln uns immer mehr von einem Fertigungsunternehmen zu einem Software- und Dienstleistungsanbieter. Für ein Unternehmen mit dieser Historie und in der Größe ist das kein leichtes und schnelles Unterfangen.

Auf welche Methode, auf welchen Ansatz greifen Sie im Team immer wieder zurück?

Die eine Methode gibt es nicht, ehrlich gesagt. Wir setzen ganz unterschiedliche Methoden und Tools ein, je nach Bedarf. Wichtig ist, dass sie alle ein positives Menschenbild bedingen und unsere Werte sowie die Grundsätze für Zusammenarbeit, Führung und Lernen unterstützen. Ich bin Teil des „Smart Work Teams“. Wir arbeiten zum Beispiel komplett virtuell im weltweiten Netzwerkverbund, und das zumeist agil und community-basiert nach den Working Out Loud-Prinzipien.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Organisationsentwicklung kennen. Wann hatten Sie diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Das letzte Mal in meiner persönlichen Weiterbildung bei der Metaplan-Akademie zur Organisationsentwicklerin im Programm „Organize Awesome“. Die drei Seiten der Organisation (Schauseite, formale und informale Seite) werden bei der Qualifizierung genauer beleuchtet.

Damit wurden für mich Entscheidungen, Prozesse, Strategien und Vorgehensweisen seitens der Entscheidungsträger sowie die offizielle Kommunikation besser zuordenbar und damit verständlich. Das hat mir einige Aha-Erlebnisse beschert in Bezug darauf, wie unser Unternehmen funktioniert, wie es agiert und worauf es bei meiner Arbeit zu achten gilt.

Und bei der Anwendung welcher Methode waren Sie zuletzt ganz besonders wirksam?

Nach wie vor kann ich mit allen Methoden rund um Vernetzung sowie netzwerk- oder community-basierter Zusammenarbeit und Führung am besten wirken. Hier steckt einfach mein Herzblut drin und ich bin überzeugt, dass wir hier noch große Veränderungen bewirken können. Selbstwirksam bin ich immer, wenn ich von etwas überzeugt bin, es selbst erlebt habe und es Freude macht.

Noch Lust auf Working Out Loud?

Unbedingt. Für mich ist es in Sachen individuelles Enabling mit Bezug zu den genannten Themen die wirksamste Methode. Jetzt kommt neu Working Out Loud für Teams dazu, ebenfalls sehr spannend und wirksam. Im Gegensatz zur gängigen Circle-Methode fokussiert WOL4Teams dabei auf im Tagesgeschäft zusammenarbeitende Teams, deren Teambuilding und Performance. Sie basiert auf der Google-Studie Aristotle, die bisher noch nicht wirksam in die Praxis übersetzt werden konnte. „WOL4Teams“ hingegen funktioniert ähnlich selbstorganisiert und einfach wie die Circle-Methode und ist damit eine tolle Anleitung zur Selbsthilfe für Teams, die sich in Teambuilding und Performance verbessern wollen.

Welche Methode nutzen Sie in Workshops gerne als Warm-up?

Die Kennenlernübung 10 Fakten über mich und die damit einhergehende Vernetzung über Gemeinsamkeiten nutze ich gerne. Noch schneller kann man kaum Verbundenheit erzeugen und es funktioniert on- wie offline mit ganz diversen Zielgruppen. Sie macht zudem Spaß und es ist immens wichtig, in einen Workshop mit guter und zugewandter, offener Stimmung zu starten, damit Lernen möglich und Kreativität unterstützt wird

Was ist das ultimative Buch oder Blog, wenn es um Methoden und Tools im Change geht?

Das wüsste ich tatsächlich auch gerne. Es existieren einfach zu viele wirklich bereichernde Bücher und Blogs. Es gibt auf der Seite projektmanager.com unter der Rubrik „Bücher“ eine tolle Zusammenstellung von Büchern rund um Change Management, die ich sehr empfehlen kann.

 

changement! Heft 02/2022

 

Autorin

Katharina Krentz
begleitet mit ihrem Label „Connecting Humans“ New Work-Themen rund um Vernetzung. Katharina Krentz ist zertifizierter Working Out Loud (WOL)-Coach. Hauptberuflich unterstützt sie als Fachreferentin im Bereich HR der Robert Bosch GmbH die Digitale Transformation des Unternehmens.
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Ihnen hat das Format „Tools und Methoden im Change“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „Mal ehrlich: Tools & Methoden im Change?“.

Ein Navigationssystem für die kreative Problemlösung

Prozesse der kreativen Problemlösung in Gruppen sind nicht immer produktiv und schon gar nicht effizient. Oft enden gemeinsame Kreativ-Sessions darin, dass man sich vertagt und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ein Treffen vereinbart. Abhilfe kann hier ein Prozessmodell der systematischen Kreativität und der kreativen Problemlösung schaffen: Systematic Creative Thinking.

Systematic Creative Thinking (SCT) ist eine Art Navigationssystem sowohl für Einzelpersonen als auch besonders für Gruppen im Rahmen von Prozessen der kreativen Problemlösung und des innovativen Denkens. Situationen, die eine kreative Problemlösung erfordern, zeichnen sich dadurch aus, dass wir nicht wissen, wie eine Lösung zu einem Problem aussieht und/oder die bestehenden Ansätze nicht weiterhelfen.  Das heißt, wir benötigen neue Ideen, um unser Problem zu lösen.

Als Problem wird dabei jede Situation bezeichnet, in der es eine wahrgenommene Lücke zwischen dem „Hier und Jetzt“ und der Situation gibt, die wir gerne haben möchten. Das sind sehr oft Situationen, für die Innovation relevant ist. Es kann sich aber auch um andere Kontexte handeln.

Beispiele sind:

  • Es soll eine neue Werbekampagne für ein Produkt entstehen.
  • Die Führungskraft möchte im Team ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft trotz Homeoffice und Corona schaffen.
  • Das Management will den Einkaufsprozess der Organisation beschleunigen.
  • Der Abrieb beim Bremsen des Zuges soll verringert werden.
  • Die Anzahl der möglichen Ladezyklen einer Batterie soll erhöhen werden.

Alle Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht die eine offensichtliche, bekannte und funktionierende Lösung gibt. Stattdessen ist die Lösung des Problems noch unbekannt, oder aber eine den An sprüchen genügende Lösung noch nicht gefunden.

Eine Lösung überlegen und ausprobieren

In all den oben genannten Beispielen müssen wir kreativ sein, das heißt, uns eine neue Lösung überlegen und diese ausprobieren. Kreativprozesse sind von Natur aus nicht besonders effizient.

Der Grund ist, dass die funktionierende Lösung im Vorhinein nicht bekannt ist, auch wenn diese dann im Nachhinein oft „total logisch“ erscheint. Wir müssen also viele Richtungen erkunden und den Großteil dieser Erkundungen wieder abbrechen, bis wir eine Route gefunden haben, die im wahrsten Sinne des Wortes „gangbar“ ist. Besonders in Gruppen ist dieser Prozess nicht nur nicht effizient, sondern auch oft unproduktiv. Die beteiligten Menschen haben häufig implizite Vorstellungen davon, was die Gruppe als Nächstes machen sollte und es gibt meist kein gemeinsames explizites Vorgehen.

Genau hier setzen Prozessmodelle der kreativen Problemlösung im Allgemeinen und SCT im Speziellen an.

„Systematic Creative Thinking“ ist dabei eine Vereinigung von zwei bekannten und erforschten Modellen der systematischen kreativen Problemlösung. Es ist aus einem Bedarf in der Praxis heraus entstanden.

Zwei Prozessmodelle als Grundlage

Welche beiden Modelle haben wir zusammengefasst und warum?

Zum einen das relativ bekannte Design Thinking. Es kommt, wie der Name bereits andeutet, aus der Design-Branche und hat seine wissenschaftliche Heimat in der D-School der amerikanischen Stanford-Universität. Bekannt wurde Design Thinking durch die amerikanische Design-Firma IDEO, die das Design Thinking in dieser Form formalisiert und „beworben“ hat.

Beim Design Thinking stehen der Nutzer und dessen Bedürfnisse im Vordergrund.

Sie bilden den Ausgangspunkt aller Überlegungen. Der gesamte Prozess orientiert sich daran, Innovationen zu schaffen, die diese Nutzerbedürfnisse wirklich adressieren. Das „Problem“ von Design Thinking für die Praxis ist, dass es in vielen Unternehmen häufig Situationen gibt, in denen die Nutzerbedürfnisse nicht an vorderster Stelle stehen oder einfach nicht relevant sind für die Fragestellung, die wir kreativ lösen müssen. Wer beispielsweise den Abrieb von Bremsen verringern will, hat vermutlich nicht unbedingt den Fokus auf Bedürfnisse von Nutzern.

Das zweite Prozessmodell ist das außerhalb der Forschung relativ unbekannte Creative Problem Solving (CPS). CPS hat seine Anfänge in den 1950er-Jahren in Buffalo (USA). Initiator war Alex Osborn, der zu dieser Zeit das heute weltweit bekannte Vorgehen des Brainstormings entwickelte. Grundlage dafür waren seine Erfahrungen mit unproduktiven Besprechungen in der Werbeagentur BBDO. Nach einer Analyse mehrerer Tonbandmitschnitte dieser Besprechungen schlug er ein Vorgehen vor, das er Brainstorming nannte, bei dem die Entwicklung von Ideen von der Bewertung der Ideen getrennt wurde und bestimmten Regeln folgte.

Aufbauend auf dem Vorgehen des Brainstormings, das sich lediglich um die Entwicklung von Ideen kümmerte, formulierte Alex Osborn zusammen mit Sidney Parnes die erste Version des Creative-Problem-Solving-Modells, das den gesamten Prozess der kreativen Problemlösung beschreibt und damit auch die Schritte, die vor und nach der Ideenentwicklung geschehen.

Systematic Creative Thinking auf einen Blick

CPS ist kontinuierlich weiterentwickelt worden und lässt sich im Gegensatz zum Design Thinking für alle Arten von Fragestellungen anwenden, die Kreativität benötigen. Allerdings ist es besonders für Menschen, die damit zum ersten Mal in Berührung kommen, nicht ganz leicht, da es relativ komplex ist. So gibt es zum Beispiel keine erkennbare Abfolge von Schritten. Dies ist zwar nahe an der Realität, wie Kreativprozesse in Gruppen oft ablaufen. Dennoch ist es für die meisten Menschen sehr hilfreich, wenn es eine Empfehlung für eine Reihenfolge bezüglich des Vorgehens gibt, wie zum Beispiel im Design Thinking.

In der Praxis haben wir daher immer öfter eine Mischung dieser beiden Prozesse genutzt und mit SCT ein integriertes Modell geschaffen, das sich stärker an den Kundenwünschen orientiert.

SCT zeichnet sich durch drei zentrale Elemente aus:

  1. Die Trennung des divergierenden und des konvergierenden Denkens
  2. Ein Prozessmodell als Strukturangebot
  3. Möglicher Einsatz sogenannter „Denkwerkzeuge“ entlang des Prozesses

 

Divergierendes und konvergierendes Denken trennen

In der Abbildung lässt sich erkennen, dass jeder Schritt im Prozess durch sich öffnende und schließende Pfeile umrahmt wird. Diese sich öffnenden und schließenden Pfeile symbolisieren zwei grundlegende Denkphasen im systematischen kreativen Denken: das divergierende Denken und das konvergierende Denken.

Divergierendes Denken bedeutet eine breite Suche nach vielen unterschiedlichen und neuen Alternativen. Alternativen können dabei beispielsweise Ideen, Informationen, Problemformulierungen oder Handlungsschritte sein.

Konvergierendes Denken beschreibt eine fokussierte, positive und bejahende Evaluation der Alternativen.

Die konsequente Trennung dieser beiden Phasen stellt das Grundprinzip des systematischen kreativen Denkens dar, ohne das Kreativprozesse und Denkwerkzeuge wertlos sind. Daher zeigt die Abbildung von SCT in jedem der Schritte die beiden Phasen des Denkens, die immer getrennt voneinander durchgeführt werden sollten.

Das Prozessmodell: von der Vision zum Plan

Einzelne Menschen folgen diesem Prozess oft auf natürliche Weise. Besonders für Gruppen ist es jedoch hilfreich, ein gemeinsames Bewusstsein dafür zu haben, in welchem Prozessschritt sie sich befinden. Und ob sie gerade divergieren oder konvergieren.

1. Vision formulieren
Hier geht es darum, ein lohnenswertes Ziel oder eine Herausforderung zu identifizieren, die dann kreativ bearbeitet werden soll. Oft gibt es  bereits ein Ziel oder ein Problem, das vorliegt. In diesem Fall beginnt man direkt mit dem Schritt „Situation einschätzen“.

2. Situation erkunden
Hier geht darum, so viele Daten und Fakten wie möglich zu einem Thema zu sammeln, um ein besseres Verständnis für die Situation zu erlangen. Sobald das generelle Thema vorliegt, beginnen wir mit diesem Schritt.

2 a. Nutzer beobachten
Für den Fall, dass es sich um ein nutzerzentriertes Problem handelt, gibt es als Zwischenschritt oder Unteraspekt von „Situation erkunden“ die „Nutzerbeobachtung“, wie es besonders im Design Thinking praktiziert wird.

3. Herausforderungen formulieren
Ziel dieses Schrittes ist es, die Kernfragen für die Ideenfindung zu formulieren und damit die Stoßrichtungen für Innovation abzuleiten. Dabei werden die relevantesten Punkte aus dem zweiten Schritt als Grundlage genommen, um daraus zentrale Fragestellungen abzuleiten. Hier ist im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht nur analytisches Denken gefragt, sondern auch sehr viel Kreativität, um das Problem so zu formulieren und zu greifen, dass neue Lösungen überhaupt erst denkbar werden. Die Kernfragen werden dann meist in Form von offenen Fragestellungen formuliert. Zum Beispiel: „Wie könnten wir virtuell die Möglichkeit von spontanen Absprachen ermöglichen?“

4. Ideen erkunden
In diesem Schritt geht es darum, viele Ideen in Bezug auf definierte Kernfragen zu entwickeln. Dieser Schritt ist das, was die meisten Menschen mit Kreativität und Kreativitätstechniken assoziieren. Wie deutlich wird, gibt es allerdings Schritte, die davor und danach stattfinden (sollten).

5. Lösungen formulieren
Aus ersten Ideen müssen nun konkretere Lösungen werden. Es geht also darum, diese konkret werden zu lassen. Beim Ausarbeiten der Ideen zeigt sich dann oft, dass die ursprüngliche Idee etwas modifiziert werden muss, um umsetzbar zu werden. Dabei konzentrieren wir uns auf diejenigen Ideen aus Schritt vier, die das größte Potenzial haben.

6. Akzeptanz erkunden
Hier geht es darum, sowohl interne als auch externe Akzeptanz zu erkunden. Es werden zum einen (organisations-)interne Stakeholder und Entscheider betrachtet. Zum anderen schaut man gegebenenfalls nach außen, und zwar auf die Nutzer einer Lösung, um zu prüfen, ob die Lösung deren Bedürfnisse und Wünsche wirklich adressiert.

7. Plan formulieren
An dieser Stelle werden spezifische nächste Schritte festgehalten in Bezug darauf, was nun getan werden muss, um eine Lösung wirklich Realität werden zu lassen. Dazu wird ein kurzfristiger Handlungsplan erstellt: Wer hat was bis wann zu erledigen?

Längerfristige Aktionen können in einer Art Backlog landen, um dann bei Bedarf entsprechend priorisiert zu werden.

Einsatz von Denkwerkzeugen

In jedem dieser Schritte kann man sich bei Bedarf einzelner Denkwerkzeuge bedienen, die es erleichtern, die Ziele eines jeden Schrittes zu erreichen. Das können im vierten Schritt zum Beispiel verschiedene Werkzeuge zur Ideenfindung sein, wie „Erzwungene Verbindungen“ oder „SCAMPER“. Diese Werkzeuge sind optional, können jedoch das Navigieren durch den Prozess erleichtern und den Output steigern. Für jeden Schritt im Modell bieten sich unterschiedliche Werkzeuge an.

SCT orientiert sich an der natürlichen Art und Weise wie die meisten Menschen kreativ Probleme lösen. Seine besondere Stärke liegt darin, dass es implizite Annahmen explizit und damit für eine Gruppe greifbar und besprechbar macht. Dadurch können sich die Beteiligten immer wieder einmal auf die Meta-Ebene begeben, um zu reflektieren, welcher Schritt als Nächstes sinnvoll wäre.

Das Modell lässt sich sowohl in einem einzelnen Durchgang im Rahmen eines Workshops einsetzen als auch verteilt in kleinen Häppchen über einen längeren Zeitraum.

Der Zweck des Modells besteht immer darin, Einzelnen und besonders Gruppen Orientierung in einem kreativen Prozess zu bieten und den Prozess dadurch effektiver zu gestalten.

 

changement! Heft 02/2022

 

Autor

Florian Rustler
ist Mitgründer der creaffective GmbH. Er begleitet seine Kunden dabei, wirkungsvolle Zusammenarbeit in der Organisation zu gestalten. Er ist Autor von fünf Büchern zu den Themen systematische Kreativität, Innovation und agile Organisation. Literaturtipp: Florian Rustler (2020): „Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation. Das kleine Handbuch der Innovationsmethoden“, 10. Auflage, Midas Management Verlag AG. Das Buch enthält fasst 60 Denkwerkzeuge und ist neben Deutsch auch auf Englisch und Chinesisch erschienen.
»Florian bei Linkedin

Wenn man als Berater arbeitet, lernt man schnell, dass Tools und Methoden unglaublich wichtig sind. Jede Beraterin und jeder Berater muss einige Werkzeuge griffbereit im Köcher haben, wenn er oder sie auf die Kunden losgeht. Und die Kunden mögen sie auch, die Analyse-Instrumente, Kreativmethoden und Bewertungstools. All das und noch viel mehr verstehe ich unter „Tools und Methoden“, „Werkzeuge, mit denen beispielsweise Themen und Probleme visualisiert und/oder strukturiert werden, um auf dieser Basis bessere Entscheidungen gut treffen oder Probleme gut bearbeiten zu können.

Die Begeisterung von allen Seiten für diese Werkzeuge ist nachvollziehbar. Beratungen punkten damit, dass sie eine Reduzierung von Komplexität anbieten können. Sie ordnen mit Tools schwierige Fragestellungen und liefern einfache Antworten. Sie sind auch leicht anzuwenden. Und einfache Antworten bei leichter Anwendung – wer will das nicht?

Trotz aller Risiken und berechtigter Kritik: Unterm Strich bieten Tools und Methoden bei vielen Fragestellungen einen echten Mehrwert. Besonders beliebt ist ja bei Beratungen die 4-Felder-Matrix – und das in verschiedenen Variationen. Sie lässt sich auch schnell erstellen. Meist braucht es nur eine Fragestellung sowie eine X- und eine Y-Achse. Dann kann es losgehen mit der Eingruppierung in eines von vier Feldern.

Zum ersten Mal ist die 4-Felder-Matrix in Form der BCG-Matrix populär geworden. Die BCG-Matrix ist ein Instrument, um anhand der Dimensionen Marktanteil und Marktwachstum Produkte oder Geschäftseinheiten zu bewerten und miteinander zu vergleichen.

Eine andere 4-Felder-Matrix ist auch die Eisenhower-Matrix, die man für das Aufgabenmanagement einsetzen kann. Hier werden Anforderungen bzw. Aufgaben anhand der Dimensionen Dringlichkeit und Wichtigkeit geordnet.

Besonders mag ich die sogenannte „How-Wow-Now-Matrix“, ein Kreativitäts-Tool, um Ideen anhand der Kriterien „Wirksamkeit“ und „Machbarkeit“ zu bewerten. Was „wow“ ist, sollte man ganz besonders ins Visier nehmen.

Die bekannteste 4-Felder-Matrix ist allerdings sicherlich die SWOT-Analyse. Sie ist universell einsetzbar. Produktideen, Geschäftsfelder, Teams, Organisationen – so ziemlich alles kann mit Hilfe der vier Felder „Stärken“, „Schwächen“, „Chancen“ und „Risiken“ analysiert werden.

All diese Tools ermöglichen durch ihre Visualisierung und Strukturierung einen klareren Blick und erleichtern (strategische) Entscheidungen. Doch vor allem liegt ihre Kraft darin, dass sie den Austausch fördern. Denn Methoden wie eine SWOT- oder eine How-Wow-Now-Matrix können im Rahmen von Workshops von mehreren Teilnehmenden gemeinsam befüllt werden. So werden unterschiedlichen Perspektiven eingebracht.

Damit sind solche Tools mehr als nur Analyse- und/oder Strukturierungswerkzeuge. Sie schaffen vielmehr Transparenz, fördern Vernetzung und Partizipation. [JCW]