Mal ehrlich: Porträt von Sven Zeising, Betriebswirt und Organisationspsychologe, Leiter der Fachgruppe Change des Bundesverbands der Personalmanager: innen und aktuell „Head of People & Culture“ bei der Vorwerk Stiftung

Mal ehrlich: Die People-Funktion im Change

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Sven Zeising.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Change überschätzt! Richtig?

Tools sind Werkzeuge, die im Change eingesetzt werden, um zu analysieren, umzusetzen oder zu monitoren. Methoden sind Strategien oder Denkraster, die als Blaupause dienen, um Veränderungen zu strukturieren und die Komplexität zu managen. Ich nutze Tools gerne, da sie mein Denken strukturieren und Bewegung im Klientensystem erzeugen. Zum Beispiel ist es sinnvoll, zu Beginn eines Transformationsprozesses die Stakeholder-Landschaft zu analysieren, um Interventionen besser zu priorisieren.

Aber: „A fool with a tool is still a fool.“ Der beste Werkzeugkasten benötigt den passenden Kontext und einen kompetenten Impulsgeber, der flexibel agieren kann. Mit Methoden ist es ähnlich: Es gibt interessante Modelle, die helfen, die Nicht-Linearität von Transformationen zu verdeutlichen. Systemische Methoden ermöglichen es, Unternehmen als Systeme zu betrachten und Wechselwirkungen, Beharrungstendenzen und die Grenzen dieser Systeme zu verstehen.

Auch das SCARF-Modell liefert spannende Einblicke aus der Neurowissenschaft, um Entscheider und Entscheiderinnen für bestimmte Dynamiken in Restrukturierungsprojekten zu sensibilisieren. Es gibt viele Methoden, die den Rahmen für Change-Prozesse erleichtern. Einige wie Psychological Safety und viele New-Work-Modelle erleben gerade eine Renaissance.

Du sprichst immer wieder von „Energizing Humans“. Was braucht es, um Menschen in Organisationen zu energetisieren?

Zukunftsfähigkeit entsteht durch Energie, Engagement und Gestaltungswillen der Mitarbeitenden. Selbstführung, Resilienz und Gesundheit sind wichtige Faktoren, die von den Gestaltenden in Veränderungsprozessen gestärkt werden sollten.

Viel Change auf unterschiedlichen Ebenen zur gleichen Zeit kann Mensch und Organisation Energie bringen – oder auch nehmen. Ich sehe mich in meiner Rolle als „Perspektivenkellner“ in Anlehnung an Gunther Schmidt, der den Begriff des „Realitätenkellners“ geprägt hat.

Neben dem soziologischen Blick auf Organisationen spielt das psychologische Modell eine Rolle.

Es konzentriert sich auf Verhalten, Haltung und Identität. Ich bin als Berater, Begleiter oder in HR dann wirkungsvoll, wenn ich verschiedene Perspektiven im Blick habe und je nach Bedarf anbiete, um Dinge in Bewegung zu bringen.

Können Formate dabei helfen?

Ja, es gibt viele Formate, die hilfreich sein können. Einige sind heutzutage öffentlich im Netz verfügund nutzbar, wie etwa Liberating Structures, 9 Spaces oder Management 3.0. Diese Formate fokussieren sich auf strukturelle Impulse, andere blicken auf Teams und den Menschen und bieten zum Beispiel Achtsamkeitsübungen oder Modelle zur Stärkung von Teamresilienz. Oft ankopplungsfähig sind Formate rund um „Psychological Safety“ oder stärkenorientierte Formate.

Sollten Unternehmen bei Transformationen generell noch stärker auf die kollektive Intelligenz setzen?

Ich persönliche bin ein Freund von Co-Creation. Die Transformationsansätze hängen jedoch von Ziel und Kontext ab. Müssen Unternehmen in kurzer Zeit restrukturieren, ist ausgeprägte Partizipation aufgrund von Zeitknappheit oft eingeschränkt. In vielen anderen Fällen, wie der unternehmerischen Zukunftsgestaltung oder auch der Vorbereitung auf sich ändernde Marktdynamiken und Kundenbedürfnisse, kann die kollektive Intelligenz durch partizipative und co-kreative Ansätze enorm wertschöpfend genutzt werden.

Welche Methoden haben sich für dich hierbei bewährt?

Ich arbeite aktuell zusammen mit meinem Team in einem mittelständischen familiengeführten Konzern an dessen Zukunftsgestaltung mit Fokus auf organisationale und kulturelle Dimensionen. Dabei kombinieren wir Top-down- und Bottom-up-Ansätze und nutzen im Zeitverlauf immer mehr die kollektive Intelligenz der Mitarbeitenden. Themen wie Führung, Zusammenarbeit und Kultur werden in gemischten Workstreams bearbeitet. Insbesondere auf der Ebene von Change und Kommunikation bieten wir Dialogräume an, die mehr Beteiligung und Mitgestaltung ermöglichen. Die Rückmeldung auf diese neue Art ist sehr kraftvoll.

Welche Rolle spielt HR aus deiner Sicht, wenn es um die Gestaltung von Change geht?

Die People-Funktion spielt eine zentrale Rolle in der unternehmerischen Gestaltung und Begleitung von Zukunft. Einerseits muss unser „operativer Maschinenraum“ reibungslos funktionieren, andererseits müssen wir uns als strategischer Begleiter und Impulsgeber etablieren. Wir sollten die richtigen Fragen stellen dürfen, können und wollen.

Wie wäre es, wenn wir Change mit einem Fokus auf Menschen und Organisationen strukturieren und unsere Führungskräfte befähigen? Gleichzeitig sollten wir als Seismografen für die Kulturentwicklung agieren. Da Change ein ständiger Begleiter sein wird, sollten wir als HR jetzt die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um Wirkung zu erzielen.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode, ein Vorgehen oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Kürzlich habe ich mich mit der Organisational Network Analysis beschäftigt. Diese Methode visualisiert formale und informale Netzwerke in Unternehmen und kann bei der Erstellung einer Stakeholder-Map helfen, indem sie informelle Führungskräfte identifiziert, die den Change unterstützen können. Auch bin ich immer wieder positiv überrascht, welchen Mehrwert die Nutzung von Tools wie Miro, Trello und Slack in der Kommunikation, der Strukturierung und der Co-Kreation von Zukunft bietet.

Wer oder was inspiriert dich?

Mich inspirieren mutige Menschen, die versuchen, Unternehmen neu zu erfinden und besser aufzustellen. Ich folge „Thought Leadern“ auf LinkedIn, tausche mich mit ihnen aus, lese Artikel, Bücher und höre Podcasts. Dabei hinterfrage ich immer, wer echten Change vorantreibt und wer eher nur an der Oberfläche arbeitet. Mutige Organisationen, die neue Wege gehen, sollten wir als Change-Community unterstützen, damit Change nicht nur aus netten Plakaten besteht, sondern Substanz gewinnt.

Change ist kein Selbstzweck. Es geht um die Schaffung einer gemeinsamen Zukunft.

 

 

Autor

Sven Zeising
ist Betriebswirt und Organisationspsychologe, Leiter der Fachgruppe Change des Bundesverbands der Personalmanager:innen und aktuell „Head of People & Culture“ bei der Vorwerk Stiftung. Er lebt mit seiner Familie in Langenfeld bei Düsseldorf und gewinnt Energie durch Freunde, Sport und Bergerlebnisse.
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