Schlagwortarchiv für: Ausgabe 01/2024

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Hans Rusinek.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Als praxistheoretisch fundierter Berater und Forscher verstehe ich den Weg zu neuen Organisationsroutinen bzw. Praktiken als Gestaltung von drei zusammenhängenden Sets.

Da ist zum einen das Toolset, also der Zugriff auf Verhaltensarchitekturen. Mithilfe von Zielen und Anreizen wie bei der Methode OKR oder beim Einsatz digitaler Tools, wie zum Beispiel einer neuen Kollaborationssoftware, wird versucht, Menschen auf den Weg zur Veränderung zu lenken.

Da ist aber auch das Skillset, bei dem es beispielsweise um das Re- und Upskilling von Mitarbeitenden geht – ein massiv unterschätzter und kaum bespielter Bereich. Menschen sollen schließlich den Weg zur Veränderung auch beschreiten können.

Und da ist das Mindset, bei dem es darum geht, Zukunftsbilder, Narrative und Sehnsüchte anzubieten, die eine Belegschaft so mobilisieren, dass sie den Weg auch gehen will. Es ist vielleicht das beliebteste, aber eventuell auch das für sich allein genommen zahnloseste Set.

Wer nur auf eines der drei Sets blickt, überschätzt dieses zwangsläufig. Nur im Dreiklang entsteht Veränderung.

Literaturtipp

Hans Rusinek (2023):
„Work-Survive-Balance: Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist“, Verlag Herder

 

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode, ein Vorgehen oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Im vergangenen Jahr entschloss sich Shopify, alle wiederkehrenden Meetings aus den Kalendern zu löschen.

Das fand ich radikal. Ein Eingriff ins Toolset, eben in digitale Verhaltensarchitekturen, der wahnsinnig viel Freiraum schuf. 322.000 Stunden in Meetings, darunter viele, die eher organisationale Altlasten waren, verschwanden. Neue Regelmeetings können natürlich wieder eingestellt werden, aber die Beweislast, dass diese auch wirklich wichtig sind, wiegt schwer. Dies hat mich beeindruckt, weil ich Interrupted Work für einen zentralen Störfaktor in der Wissensarbeit halte.

Du bist Arbeitsforscher und beschäftigst dich unter anderem mit einer „enkeltauglichen Arbeitswelt“. Was wäre der erste Schritt, wenn Unternehmen sich mit einer nachhaltigen Arbeitswelt auseinandersetzen wollen?

Der erste Schritt wäre zu verstehen, dass die soziale Welt eben aus Praktiken besteht, aus tief verankerten Denk- und Verhaltensgewohnheiten, mit denen wir nun – wie auf Autopilot – unsere wirtschaftlichen Grundlagen gefährden. Das heißt, dass Unternehmen sich nicht allein auf vom Hier und Jetzt so ferne Narrative wie eine „Sustainability Vision 2050“ oder auf abstrakte Tools wie ESG-basierte Finanzinstrumente verlassen dürfen, sondern dass sie auf den unmittelbaren Arbeitsalltag schauen müssen: welche Verhaltensmuster hier repliziert werden, wie somit die Gegenwart in die Zukunft weitergeschrieben wird, welche Muster gebrochen werden müssen. Dies beginnt mit einer eingehenden Analyse des kulturellen Status quo und vor allem mit ganz praktischen Fragen: Was heißt Erfolg bei uns? Wo setzen wir uns Grenzen? Wer darf wie Zweifel äußern?

Du bist auch Design Thinker. Kann der Ansatz des Design Thinking vielleicht ebenfalls einen Beitrag leisten für eine nachhaltigere Zukunft?

Design Thinking ist eine Methode, die ich gerne verwende. Es sind dadurch Projekte entstanden, die zu meinen persönlichen Highlights gehören, wie zum Beispiel der „Child Growth Monitor“ der Welthungerhilfe. In meinem Buch „Work-Survive-Balance“ kommt die Methode trotzdem eher schlecht weg:

Allzu oft bauen sich Unternehmen mit der Design-Thinking-Methode eher Kreativitätsreservate.

Dort wird disruptives Arbeiten auf ein bis zwei Hackathons im Jahr eingehegt. Allzu oft führt die permanente Dringlichkeit der omnipräsenten Stoppuhr und ein recht oberflächliches Verständnis von Personas auch zu eher handzahmen Innovationen, die am Status quo nicht wirklich etwas ändern. Es kommt bei Design Thinking mit echtem Impact darauf an, in welche Praktiken dieser Ansatz eingebunden ist.

Und wird künstliche Intelligenz eher unterstützen oder uns behindern auf dem Weg zur nachhaltigeren Arbeitswelt?

Auch das ist eine Frage der Routinen, die wir um Technologien wie „Generative Machine Learning“ bauen: Für welche Art des Arbeitens wird uns nun mehr Raum gegeben? Eine Zeit lang feierten wir mit KI kreierte Bilder als neue Kunst, KI-basierte Gedichte als neue Poesie. Das weckte meinen Widerwillen: In einer sinnvollen Zukunft mit der KI geht es ja gerade nicht darum, uns diese Art des Arbeitens abzunehmen. Die KI soll uns von profanen, gleichförmigen Dingen entlasten, damit uns mehr Zeit für eine genuin menschliche Arbeit bleibt – all das, worin wir unsere Rolle in der Welt mit Verantwortung reflektieren. Ein mit ChatGPT kreierter Arbeitsvertrag, eine formale Absage-E-Mail oder das Zusammentragen der wichtigsten Argumente in einer Debatte, das scheint mir viel „abfeierungswürdiger“. Weil dann auf dieser Basis die menschliche Intelligenz mehr Raum bekommt und wir uns der Reflexions- und Verantwortungsarbeit widmen können, die jenseits eines kalten Kalkulierens liegt. Das ist zumindest die ethische und ökologische Chance, die in der KI liegt.

Welches Buch oder welchen Podcast kannst du empfehlen?

„Scaling People“ von der Stripe- und Google-Managerin Claire Hughes Johnson, „Vita Activa“ von Hannah Arendt und „Die Rettung der Arbeit“ von Lisa Herzog sind drei so unterschiedliche wie empfehlenswerte Bücher.

Welche Personen inspirieren dich in Bezug auf deine Arbeit?

Da gibt es zunächst Personen aus der Praxis, von denen ich in der Zusammenarbeit viel lerne, wie beispielsweise von Johannes Nöltner, dem als Organisationsentwickler bei Jobrad wertebasierte Kulturarbeit in einer hochdynamischen Umgebung gelingt. Dann gibt es Menschen aus der Forschung, deren Arbeit für eine bessere Arbeitswelt wegweisend sein sollte, wie die Professoren Antoinette Weibel und Thomas Beschorner hier in St. Gallen.

Und es gibt Menschen, die wie ich zwischen Wissenschaft und Praxis vermitteln, wie mein ehemaliger Kollege aus BCG-Zeiten Dominic Veken oder auch Judith Muster.

 

 

Autor

Hans Rusinek
forscht, berät und publiziert zum Wandel der Arbeitswelt. An der Universität St. Gallen forscht er zur Sinnfrage in der Arbeit und zu ihrer Rolle in modernen Organisationen. Er erfüllt zudem einen Lehrauftrag zu „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg.
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Fünf Fragen an Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender, RheinEnergie AG

Bislang hat sich im Change Management noch kein Konzept als ultimativ richtig erwiesen. Veränderungen in Organisationen verlaufen höchst unterschiedlich. Deshalb sind die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke der Verantwortlichen auch so verschieden. Uns interessiert die persönliche Perspektive von erfolgreichen Managern und Managerinnen. Diesmal stellt sich Andreas Feicht unseren fünf Satzeröffnungen.

Meine bislang größte/wichtigste Business Transformation war …

… die konsequente Digitalisierung eines Unternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge mit Verantwortung für mehrere Hunderttausend Menschen – die Stadtwerke Wuppertal habe ich fast zwölf Jahre geleitet. Maßstäbe entwickeln, die Menschen bereits aus dem täglichen Umgang mit großen Online-Versandhäusern und Medienangeboten kennen, diese adaptieren auf die Produkt- und Serviceangebote und Kundenschnittstellen eines Stadtwerks, bruchfreie digitalisierte Strecken schaffen: Das war eine spannende und fordernde Aufgabe.

Viele achten nur auf die internen Digitalisierungsprozesse und denken zu sehr in Sparten.

Das reicht nicht: Kunden erwarten schnell und sicher einen Hausanschluss für Energie – keine wochenlangen Formularschlachten und vier verschiedene Anlaufpunkte. Deswegen ist der Ausgangspunkt für die Gestaltung solcher Prozesse die Kundenperspektive.

Veränderungen von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung im Wesentlichen geprägt durch …

… Phasen und Wellen, auf die man gut vorbereitet sein muss:

  • Zunächst besteht vielleicht mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit;
  • dann kommt es zu Ablehnung und Ungläubigkeit, wenn man erfährt, dass wirklich etwas passiert;
  • anschließend werden Protest und alternative Ideen bzw. Vorschläge geäußert;
  • danach gibt es eine allmähliche Aufgabe des Widerstands;
  • und schließlich ein Einlenken in Akzeptanz und Mitarbeit.

Das muss gut und professionell begleitet werden.

Insbesondere der Ablehnungs- und Debattenphase sollte man Raum lassen.

Andererseits sollte man sie steuern und moderiert dafür sorgen, dass die Betroffenen möglichst rasch in die Einsichts- und Unterstützungsphase kommen. Wichtig: Es kann „verschobene“ Phasen geben, etwa wenn man Führungskräfte früher und stärker einbindet als die Belegschaft.

Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren von Change Management sind für mich …

  1. Klarheit über die Ziele;
  2. umfassende Kommunikation über den Nutzen für das Unternehmen, aber auch die Betroffenen;
  3. zügiges professionelles Handeln und persönlicher Einsatz.

Nicht alles gelingt. Was ich bei Veränderungen in meiner Verantwortung künftig anders machen werde oder was ich durch Lernen aus früheren Fehlern heute bereits anders mache, ist …

… vor dem Einleiten eines Change-Prozesses zuhören, möglichst viele Beteiligte zu Wort kommen lassen, dann erst ein klares Zielbild von dem entwickeln, was man verändern will, den Weg sauber abstecken. Kritik zulassen und aufnehmen, wenn sie dem Ziel dient. Aber es ist auch wichtig, deutlich zu machen, dass man es ernst meint.

Mein persönlicher Tipp an eine Führungskraft, die Verantwortung für ein Veränderungsprojekt übernimmt, lautet:

Von Anfang an Klarheit darüber herstellen, was man vorhat, warum man es vorhat und wie man es tun wird. Dazu gehört auch: unangenehme Wahrheiten von Anfang an aussprechen; Sachlichkeit und das Ziel des Ganzen zum obersten Prinzip machen; klarstellen, dass es immer ums Unternehmen geht, das Projekt bzw. die Veränderung ist nur Mittel zur Verbesserung.

 

 

Autor

Andreas Feicht
ist seit 2022 Vorsitzender der RheinEnergie AG Köln sowie der GEW Köln AG. Von 2019 bis 2022 arbeitete er als Staatssekretär für Energiepolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Davor war Andreas Feicht zwölf Jahre lang Vorsitzender der WSW Energie & Wasser AG sowie Vorsitzender der Geschäftsführung WSW Wuppertaler Stadtwerke GmbH und der WSW mobil GmbH.
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Ihnen hat das Format „5 Fragen an…“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „5 Fragen an Martina Niemann, DB Cargo“

Mehr denn je gehört das Thema „Mentale Gesundheit“ auf jede Organisationsagenda. Und es sollte alle im Unternehmen angehen. Schließlich hat Mental Health nicht nur Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden, sondern auch auf den Unternehmenserfolg. Nora Dietrich skizziert in fünf Schritten einen Weg zur gesunden Organisation.

Das Thema „Mentale Gesundheit“ ist endlich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Und damit auch die Frage: Sollten Organisationen einen Teil der Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen?

Blickt man auf die Megatrends, lässt sich diese Frage nur mit „Ja“ beantworten. Denn die Megatrends „Gesundheit“ und „New Work“ prägen unsere Lebens- und Arbeitswelten der Zukunft und fordern an ihrer Schnittstelle vor allem eines: Corporate Health. In Zeiten des Fachkräftemangels und einer Generation, die ein gesundes Arbeiten einfordert, wird ein Arbeitsumfeld, das Mental Health fördert, nicht nur zum Leistungshebel, sondern auch zum Talentmagnet.

1. Gefragt: Den Puls nehmen

Bevor Einzelmaßnahmen entwickelt werden, geht es darum, das Unsichtbare sichtbar zu machen: Wie belastet sind die Mitarbeitenden derzeit? Fühlen sie sich in ihrer Gesundheit und Work-Life-Balance unterstützt? Welche Stressoren belasten sie besonders? Fragen wie diese zielen auf die Verhaltensprävention.

Anonyme Umfragen unter den Mitarbeitenden zeigen nicht nur Bedürfnisse auf, sondern werfen meist auch ein erstes Licht auf die zugrunde liegenden Kulturfaktoren, die die Gesundheit fördern oder beeinträchtigen.

Fragen bedeutet jedoch, den eigenen Anteil ehrlich zu reflektieren: Wo tragen wir als Unternehmen zur Belastung bei? Wo profitieren wir von ungesunden Verhaltensweisen, weil sie zum Beispiel zu einem höheren Output führen? Welche Strukturen beeinträchtigen die Gesundheit? Bei diesen Themen geht es um die Verhältnisprävention.

Ein guter Start für eine ehrliche Status-quo-Erhebung ist die „Gefährdungsbeurteilung Psyche“. Nach § 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind Unternehmen dazu verpflichtet, eine umfassende Analyse durchzuführen, die sowohl die Stärken als auch die Entwicklungspotenziale bezüglich der mentalen Gesundheit aufzeigen und anhand derer das Unternehmen messbar wird.

2. Gefunden: Inventur machen

Auch wenn mentale Gesundheit für viele ein relativ neues Thema ist, haben die meisten Organisationen bereits erste Initiativen, Trainings oder ein „Employee Assistance Program“ (EAP) im Repertoire. Doch oft fehlt es den Mitarbeitenden an Wissen darüber.

Im zweiten Schritt stellt sich deshalb die Frage: Was bietet ein Unternehmen bereits an? Und was (noch) nicht? Eine Gesundheitslandkarte mit allen bestehenden Formaten und Ressourcen hilft nicht nur dabei, diese erneut transparent an die Teams zu kommunizieren, sondern zeigt auch auf, welche Lücken es basierend auf den Bedürfnissen künftig zu schließen gilt.

Somit wird die perfekte Basis geschaffen, um sich der Vision zu widmen. Hierzu müssen sich insbesondere die Entscheidungsträger mithilfe von HR vor allem folgende Fragen stellen: Was bedeutet Gesundheit für uns? Wie sieht eine „gesunde Organisation“ aus? Und wie messen wir unseren Fortschritt?

3. Gestaltet: Kräfte mobilisieren

Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Do-it-yourself-Projekt.

Und noch weniger eine reine HR-Angelegenheit. Es ist ein Thema, das uns alle bewegt. Um den Sprung in eine gesunde Organisation zu schaffen, braucht es ein diverses Team, das dieses Thema über alle Hierarchiestufen hinweg vorantreibt.

Mitarbeitende: Oft gibt es hoch engagierte Mitarbeitende, die sich als Ersthelfer:innen ausbilden lassen, „Mental Health Awareness Days“ mitorganisieren oder als Sprachrohr für die Teams fungieren. Hier gilt es, zuzuhören und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Führungskräfte: Um „mental gesund“ führen zu können, braucht es einen „Werkzeugkoffer“ für die Führungskräfte, der ihnen beispielsweise hilft, Antworten auf folgende Fragen zu finden:

  • Woran erkenne ich Belastungen im Team?
  • Wie führe ich fürsorgliche Gespräche?
  • Auf welche Ressourcen kann ich verweisen?
  • Und wo liegen die Grenzen meiner Rolle?

Es ist wichtig, genau diese Grauzonen zu kennen und konkrete Skills an die Hand zu bekommen, um nicht aus Angst, das Falsche zu sagen, gar nichts zu sagen.

Senior Leadership: Kein Team kann unrealistische Workloads „wegmeditieren“. Es braucht ein klares Commitment von oben, „Gesundheit“ kulturell, strukturell und strategisch zu denken. Es lohnt sich zum Beispiel, das Thema in der nächsten „CEO Town Hall“ zu diskutieren, KPIs auf „herausfordernde Machbarkeit“ zu überprüfen oder Führungskräfte künftig auch auf Basis der jeweiligen Teamgesundheit zu evaluieren („Wie trägst du zu einer Wellbeing-Kultur bei?“). Das Thema „Mentale Gesundheit“ macht eine kontinuierliche Organisationsentwicklung notwendig, die von oben getragen werden muss.

4. Geteilt: Zur Menschlichkeit einladen

Laut einer Studie von Mind Share Partners fühlen sich nur knapp 40 Prozent aller Mitarbeitenden sicher, über ihre mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zu sprechen. Um mit dem Stigma zu brechen, braucht es nahbare Geschichten. Wenn Mitarbeitende sehen, dass auch Führungskräfte und Manager:innen Stress erleben oder Unterstützung brauchen, ebnet das den Weg für eine echte Vertrauenskultur. Denn es ist Verletzlichkeit, die dazu einlädt, Verletzlichkeit zu zeigen. Dazu gehört auch, sich regelmäßig zu erkundigen, wie es den Teammitgliedern wirklich geht, ein offenes Ohr zu haben und gemeinsam nach Lösungsräumen zu suchen.

5. Gelebt: Vorbild sein

Veränderung braucht Vorbilder. Wenn Führungskräfte spät abends oder aus dem Urlaub heraus E-Mails schicken, ist es egal, wie oft im Unternehmen über Grenzen und gesunde Arbeitsmodelle gesprochen wird. Nur wenn Führungskräfte selbst gesunde Arbeitsweisen vorleben, wird das Team es gleichtun.

Laut einer aktuellen Deloitte-Studie nehmen erst 30 Prozent aller Führungskräfte eine Vorbildrolle für gesundes Arbeiten ein. Ob regelmäßige Pausen, der pünktliche Feierabend oder das 1-zu-1-Telefongespräch während eines Spaziergangs: Gesundheit kann viele Gesichter haben, wichtig ist nur, dass wir sie bewusst in unseren Alltag integrieren.

Menschen zeigen ein neues Verhalten in der Regel nicht, weil die Führungskraft etwas sagt, sondern sie schauen vor allem danach, was andere tun – zum Beispiel Führungskräfte.

Das Thema „Mentale Gesundheit“ erfordert nicht sofort große Budgets, aber es erfordert den Mut, menschlich zu sein.

 

 

 

Autor

Nora Dietrich
ist psychologische Psychotherapeutin und Expertin für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz. Als Beraterin begleitet sie Teams bei der Frage, was sie brauchen, um die bestmögliche Arbeit zu machen und trotzdem gesund zu bleiben. Als Speakerin inspiriert sie Organisationen, mentale Gesundheit als Hebel für die Zukunft zu verstehen und die Arbeitswelt durch mehr Menschlichkeit zu verändern (www.noradietrich.com).
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Mit Kopf und Herz dabei

Mit #EsBeginntBeiMir hat Continental seine erste interne Employer- Branding-Kampagne gestartet. Ziel ist es, die Mitarbeiterbindung zu stärken, indem unter anderem die Arbeitgebermarke auch nach innen erlebbar und deutlich wird, was Continental von anderen Arbeitgebern unterscheidet. Klar ist: Beschäftigte, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, sind in der Regel besonders zufrieden und loyal – und sie sind wichtige Markenbotschafter.

Lange Zeit war Employer Branding ein Thema, das vor allem nach außen gedacht wurde: Unternehmen investierten in den Aufbau einer starken Arbeitgebermarke, um die besten Talente am Markt für sich zu begeistern.

Doch in den vergangenen Jahren ist viel passiert: Der sich verschärfende Fachkräftemangel, die Corona-Pandemie mitsamt ihren Auswirkungen auf unser Verständnis von Arbeit sowie die steigende Wechselbereitschaft deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben den Fokus im Personalmarketing erweitert und eine neue wichtige Zielgruppe in den Blickwinkel gerückt: die eigenen Beschäftigten. In Zeiten nie da gewesener Umbrüche der Arbeitswelt, in der Sicherheit und Stabilität längst nicht immer gegeben sind, gilt:

Der pünktliche Gehaltscheck reicht nicht mehr aus, um Menschen an ihren Arbeitgeber zu binden.

Arbeitgebermarke stärken, glaubwürdig sein

Viele dieser Themen betreffen auch Continental. Dies zeigt sich beispielsweise in den Ergebnissen unserer regelmäßigen internen Befragung sowie durch weitere Daten rund um Fluktuation und Retention.

Die Erkenntnisse daraus haben wir zum Anlass genommen, das interne Employer Branding stärker ins Zentrum unserer Aktivitäten zu rücken.

Denn auch wenn eine starke Employer Brand allein kein Garant dafür ist, Menschen langfristig erfolgreich an ein Unternehmen zu binden, merken wir: Beschäftigte, die sich mit Continental identifizieren, sind in der Regel besonders zufrieden und loyal – und tragen dies im Idealfall sogar als Markenbotschafterinnen und Markenbotschafter nach außen. Diese Bindung wollen wir fördern, indem wir unsere Arbeitgebermarke nach innen stärken, erlebbar machen und glaubwürdig zeigen, was uns als Arbeitgeber ausmacht.

Emotionales „Warum“ statt nüchterne Fakten

Das Gefühl von Bindung und Zugehörigkeit baut sich unserer Erfahrung nach nicht über die Vermittlung harter Fakten auf, sondern vielmehr über das emotionale „Warum“ – über das Herausstellen der Motivation, unter allen möglichen Arbeitgebern ausgerechnet Continental zu wählen.

Mit #EsBeginntBeiMir haben wir Anfang 2022 unsere erste interne Employer-Branding-Kampagne gestartet, die bis heute erfolgreich Bestand hat. Das Rad neu erfinden mussten wir dafür nicht, da es bereits an mehreren Stellen im Unternehmen einzelne Maßnahmen gab. Was fehlte, war das gemeinsame Dach, der emotionale rote Faden. Schon im Vorfeld der Konzeption und der damit verbundenen strategischen Überlegungen stand daher fest: Mit unserer internen Employer Brand wollen wir die Köpfe erreichen und die Herzen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berühren. Das „Wir-Gefühl“, das über die Jahre der Pandemie durch die räumliche Distanz in den Hintergrund gerückt war, sollte wieder gestärkt werden.

Überblick

Die Pfeiler des internen Employer Brandings bei Continental

Continental online erleben
Mit dem Advocacy-Programm verbessern wir die Reichweite als Arbeitgeber und nutzen engagierte Beschäftigte als Multiplikatoren in den sozialen Netzwerken. Dabei werden sie unterstützt mit Posting-Vorlagen oder Schulungen, zum Beispiel für LinkedIn.

Continental-Geschichten und Inspirationen erleben
Wir teilen regelmäßig Erfahrungsberichte unserer Beschäftigten. Indem wir zum Beispiel über Diversity-Aspekte oder individuelle Karrierewege berichten, zeigen wir mit diesen Geschichten bewusst auch die persönlichen und menschlichen Seiten der Arbeit bei Continental.

Continental beratend und richtungsweisend erleben
#EsBeginntBeiMir – das gilt auch für die eigene Karriere. Mit dem Karriere Campus haben wir ein Online-Event-Format mit Workshops und Talks zu den Themen Job und Karriere konzipiert. Gestreamt aus dem Inhouse-TV-Studio, mit externen und internen Gästen und eigens gestalteter virtueller Event-Plattform, die Möglichkeiten zum Netzwerken bietet. Bei Interesse können auch Einzeltermine zur Karriereplanung und -Beratung mit HR-Expertinnen und -Experten gebucht werden.

Continental hörbar erleben
Im Corporate Podcast „Flurfunk“ erzählen wir jeden Monat neue Geschichten aus der Arbeitswelt von Continental. Gestartet als
internes Format, ist der Podcast inzwischen auch extern auf allen bekannten Streaming-Plattformen zu hören.

Continental authentisch erleben
Continental hat in Deutschland ein Netzwerk aus 200 Botschafterinnen und Botschaftern aus unterschiedlichen Unternehmens- und Fachbereichen. Diese „Ambassador Community“ versorgen wir regelmäßig mit Informationen und vernetzen sie untereinander mittels diverser Formate (unter anderem gibt es jährliche Conventions, Netzwerktreffen, Trainings, Community Management, Willkommenspakete, Onboarding, Vorlagen).

Continental emotional erleben
Mit dem Kampagnenfilm* und einer dazugehörigen Foto- und Video-Challenge wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Multiplikatoren eingebunden. Die eingereichten und selbst gedrehten kreativen Botschaften von Beschäftigten in Form von Bildern, Videos und Briefen haben gezeigt, dass die emotionale Ansprache funktioniert. Sie wurden mit Merchandising-Paketen und einem Team-Event als Hauptpreis belohnt.


*Unter anderem kann der Kampagnenfilm bei YouTube angeschaut werden.

 

Screenshot Continental-Podcast "Flurfunk"

Im Podcast „Flurfunk“ werden Geschichten aus der Arbeitswelt von Continental erzählt.

Dezentraler Ansatz und zweigleisige Kampagne

Continental, das sind in Deutschland rund 45.000 Beschäftigte an über 50 Standorten mit ganz unterschiedlichen Jobprofilen – von der Produktion bis hin zur Verwaltung. Wichtig bei der Konzeption der Kampagne war uns daher, den Beitrag des einzelnen Mitarbeiters und der einzelnen Mitarbeiterin in den Mittelpunkt zu rücken. Um nicht Gefahr zu laufen, an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbeizukommunizieren, haben wir frühzeitig nicht nur das HR-Management bis hin zum Vorstand involviert, sondern auch die HR- bzw. Kommunikations-Community der deutschen Standorte. Denn diese Kolleginnen und Kollegen „an der Basis“ kennen die lokalen und operativen Herausforderungen am besten.

Dieser weitgehend dezentrale Ansatz entspricht auch unserem Verständnis:

Employer Branding ist keine alleinige Aufgabe der Marketingabteilung , sondern wird erst durch die Umsetzung vor Ort zum Leben erweckt.

Daher sind wir mit der Kampagne zweigleisig gefahren: mit der deutschlandweiten Kommunikation durch die deutschen HR-Kommunikatoren und der lokalen Ansprache an den Standorten.

Damit dies trotz vergleichsweiser geringer Kapazitäten möglich war, haben alle Kommunikatoren von uns eine Art Toolbox an die Hand bekommen. Darin waren enthalten: gebrauchsfertige Materialien, Vorlagen und Checklisten, die sie ohne weitere Abstimmung nutzen und für ihre jeweiligen Bedürfnisse adaptieren konnten (zum Beispiel Plakate, Sticker, Teams-Profilbild-Rahmen und -Background und vieles mehr). Über eine Teams-Community haben wir regelmäßig über Updates informiert und Best Practices aus den Standorten geteilt.

Einbinden der Beschäftigten in die Kampagne

Den kommunikativen Rahmen bildet das Kampagnendach „#EsBeginntBeiMir – Das Ergebnis sind WIR“. Ein Slogan, der neben Wir-Gefühl auch für Ambition, Eigeninitiative und Veränderung steht und sich durch alle Aktivitäten zieht. Zwei davon liegen mir besonders am Herzen, zumal wir damit erfolgreich neue Wege gegangen sind:

  • Der Film #EsBeginntBeiMir „Alltag plus Poesie“ bildete den emotionalen Auftakt der Kampagne. In 1:09 Minuten zeigen wir mit Wortakrobatik im Poetry-Slam-Stil und authentischen Bildern unserer Beschäftigten, was uns bei Continental verbindet – unabhängig davon, ob jemand in der Werkshalle Komponenten für die Mobilität der Zukunft produziert, Software entwickelt oder im Meetingraum am nächsten Marketingkonzept feilt. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Veröffentlichung in die Kampagne einzubinden, haben wir einen Foto- bzw. Videowettbewerb angeschlossen und dazu aufgerufen, uns zu zeigen, wofür sie jeden Tag ihr Bestes geben.
  • Mit dem Continental Karriere Campus haben wir ein halbtägiges, interaktives Online-Event konzipiert mit Workshops und Talks zu den Themen Job und Karriere. Rund 3.000 Beschäftigte waren live dabei oder haben die Aufzeichnung im Intranet angeschaut. Dabei sind rund 60 Fragen eingegangen, die uns ein gutes Stimmungsbild darüber vermittelt haben, was die Menschen im Unternehmen bewegt.

Authentizität vor Hochglanz

Was sind unsere Erfahrungen nach zwei Jahren internem Employer Branding? Für die Beantwortung dieser Frage könnte ich die Auswertung Hunderter KPIs heranziehen, die wir während der gesamten Kampagnenlaufzeit getrackt haben. In Summe können wir repräsentative Aussagen treffen, doch zugleich müssen wir uns eingestehen, dass ein direkter Rückschluss einzelner Maßnahmen auf unser Gesamtziel trotz einer Vielzahl von qualitativen und quantitativen Auswertungen schwierig ist.

Am Ende geht es auch nicht darum, wie häufig ein Video geklickt wurde oder wie viele Menschen wir mit einem Event erreicht haben. Viel bedeutender ist die emotionale Wirkung, die wir mit unseren Aktivitäten erzielen: Haben wir die Kolleginnen und Kollegen motiviert, inspiriert? Haben wir ihre Bindung an Continental als Arbeitgeber stärken können? Diese übergeordneten Fragen können wir mit einem klaren „Ja“ beantworten.

Was die Evaluation unserer Kampagnenaktivitäten auch gezeigt hat: Inhalte mit direktem und erkennbarem
Mehrwert für die Beschäftigten haben den größten Zuspruch erhalten – zum Beispiel der Karriere Campus. Für die Weiterentwicklung unserer internen Employer Brand wollen wir daher den Ideen und dem Input aus dem Kreis der Beschäftigten noch mehr Raum geben. Lediglich 20 Prozent der Inhalte sollen sich um die Themen drehen, die wir als Arbeitgeber platzieren möchten, während 80 Prozent auf das einzahlen, was die Kolleginnen und Kollegen darüber hinaus interessiert: Wie kann ich mich weiterentwickeln? Wie gestalte ich meinen persönlichen Karriereweg und wie unterstützt mich Continental dabei? Dabei adressieren wir auch vermeintlich „heiße Eisen“: Fragen wie „Ist mein Arbeitsplatz zukunftssicher?“ oder „Erwartet mich nach der Elternzeit der Karriereknick?“ stehen sowieso im Raum – warum sie nicht proaktiv für die HR-Kommunikation nutzen?

Maßnahmen entlang der gesamten Employee Journey

Dabei bleiben wir unserem Ansatz treu, solche Themen im Rahmen von Erfahrungsberichten aufzugreifen und Kolleginnen und Kollegen selbst zu Wort kommen zu lassen – so bleiben wir konkret und glaubwürdig. Bei der Entwicklung neuer Formate und Inhalte setzen wir daher ganz bewusst auf Authentizität bzw. Echtheit statt auf Hochglanzinhalte.

Mit diesen und weiteren Erkenntnissen im Gepäck geht die Reise weiter.

Internes Employer Branding ist kein „Quick Win“.

Die Herausforderung liegt darin, konstant am Ball zu bleiben, ein kommunikatives Grundrauschen zu erzeugen und die wichtigsten Botschaften auch mehrfach zu senden, ohne dabei zu langweilen. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unserer internen Employer Brand fortwährend zu begleiten, werden wir unsere Maßnahmen im nächsten Schritt noch zielgerichteter entlang der gesamten „Employee Journey“ ausrichten: von der Einstellung bzw. dem Onboarding bis hin zum Alumni-Programm für Ehemalige.

 

 

 

Autorin

Mina Fetaj
ist seit 2016 bei Continental tätig. Angefangen hat sie im Online-Marketing, später war sie unter anderem in der internen Mitarbeiterkommunikation für die globale Geschäftseinheit Reifen tätig. In ihrer derzeitigen Position als Head of Internal HR Communications Germany widmet sie sich der internen Wahrnehmung der Arbeitgebermarke und der internen Kommunikation.
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