Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir Hans Rusinek.
Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?
Als praxistheoretisch fundierter Berater und Forscher verstehe ich den Weg zu neuen Organisationsroutinen bzw. Praktiken als Gestaltung von drei zusammenhängenden Sets.
Da ist zum einen das Toolset, also der Zugriff auf Verhaltensarchitekturen. Mithilfe von Zielen und Anreizen wie bei der Methode OKR oder beim Einsatz digitaler Tools, wie zum Beispiel einer neuen Kollaborationssoftware, wird versucht, Menschen auf den Weg zur Veränderung zu lenken.
Da ist aber auch das Skillset, bei dem es beispielsweise um das Re- und Upskilling von Mitarbeitenden geht – ein massiv unterschätzter und kaum bespielter Bereich. Menschen sollen schließlich den Weg zur Veränderung auch beschreiten können.
Und da ist das Mindset, bei dem es darum geht, Zukunftsbilder, Narrative und Sehnsüchte anzubieten, die eine Belegschaft so mobilisieren, dass sie den Weg auch gehen will. Es ist vielleicht das beliebteste, aber eventuell auch das für sich allein genommen zahnloseste Set.
Wer nur auf eines der drei Sets blickt, überschätzt dieses zwangsläufig. Nur im Dreiklang entsteht Veränderung.
Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode, ein Vorgehen oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Change und Transformation kennen. Wann hattest du diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?
Im vergangenen Jahr entschloss sich Shopify, alle wiederkehrenden Meetings aus den Kalendern zu löschen.
Das fand ich radikal. Ein Eingriff ins Toolset, eben in digitale Verhaltensarchitekturen, der wahnsinnig viel Freiraum schuf. 322.000 Stunden in Meetings, darunter viele, die eher organisationale Altlasten waren, verschwanden. Neue Regelmeetings können natürlich wieder eingestellt werden, aber die Beweislast, dass diese auch wirklich wichtig sind, wiegt schwer. Dies hat mich beeindruckt, weil ich Interrupted Work für einen zentralen Störfaktor in der Wissensarbeit halte.
Du bist Arbeitsforscher und beschäftigst dich unter anderem mit einer „enkeltauglichen Arbeitswelt“. Was wäre der erste Schritt, wenn Unternehmen sich mit einer nachhaltigen Arbeitswelt auseinandersetzen wollen?
Der erste Schritt wäre zu verstehen, dass die soziale Welt eben aus Praktiken besteht, aus tief verankerten Denk- und Verhaltensgewohnheiten, mit denen wir nun – wie auf Autopilot – unsere wirtschaftlichen Grundlagen gefährden. Das heißt, dass Unternehmen sich nicht allein auf vom Hier und Jetzt so ferne Narrative wie eine „Sustainability Vision 2050“ oder auf abstrakte Tools wie ESG-basierte Finanzinstrumente verlassen dürfen, sondern dass sie auf den unmittelbaren Arbeitsalltag schauen müssen: welche Verhaltensmuster hier repliziert werden, wie somit die Gegenwart in die Zukunft weitergeschrieben wird, welche Muster gebrochen werden müssen. Dies beginnt mit einer eingehenden Analyse des kulturellen Status quo und vor allem mit ganz praktischen Fragen: Was heißt Erfolg bei uns? Wo setzen wir uns Grenzen? Wer darf wie Zweifel äußern?
Du bist auch Design Thinker. Kann der Ansatz des Design Thinking vielleicht ebenfalls einen Beitrag leisten für eine nachhaltigere Zukunft?
Design Thinking ist eine Methode, die ich gerne verwende. Es sind dadurch Projekte entstanden, die zu meinen persönlichen Highlights gehören, wie zum Beispiel der „Child Growth Monitor“ der Welthungerhilfe. In meinem Buch „Work-Survive-Balance“ kommt die Methode trotzdem eher schlecht weg:
Allzu oft bauen sich Unternehmen mit der Design-Thinking-Methode eher Kreativitätsreservate.
Dort wird disruptives Arbeiten auf ein bis zwei Hackathons im Jahr eingehegt. Allzu oft führt die permanente Dringlichkeit der omnipräsenten Stoppuhr und ein recht oberflächliches Verständnis von Personas auch zu eher handzahmen Innovationen, die am Status quo nicht wirklich etwas ändern. Es kommt bei Design Thinking mit echtem Impact darauf an, in welche Praktiken dieser Ansatz eingebunden ist.
Und wird künstliche Intelligenz eher unterstützen oder uns behindern auf dem Weg zur nachhaltigeren Arbeitswelt?
Auch das ist eine Frage der Routinen, die wir um Technologien wie „Generative Machine Learning“ bauen: Für welche Art des Arbeitens wird uns nun mehr Raum gegeben? Eine Zeit lang feierten wir mit KI kreierte Bilder als neue Kunst, KI-basierte Gedichte als neue Poesie. Das weckte meinen Widerwillen: In einer sinnvollen Zukunft mit der KI geht es ja gerade nicht darum, uns diese Art des Arbeitens abzunehmen. Die KI soll uns von profanen, gleichförmigen Dingen entlasten, damit uns mehr Zeit für eine genuin menschliche Arbeit bleibt – all das, worin wir unsere Rolle in der Welt mit Verantwortung reflektieren. Ein mit ChatGPT kreierter Arbeitsvertrag, eine formale Absage-E-Mail oder das Zusammentragen der wichtigsten Argumente in einer Debatte, das scheint mir viel „abfeierungswürdiger“. Weil dann auf dieser Basis die menschliche Intelligenz mehr Raum bekommt und wir uns der Reflexions- und Verantwortungsarbeit widmen können, die jenseits eines kalten Kalkulierens liegt. Das ist zumindest die ethische und ökologische Chance, die in der KI liegt.
Welches Buch oder welchen Podcast kannst du empfehlen?
„Scaling People“ von der Stripe- und Google-Managerin Claire Hughes Johnson, „Vita Activa“ von Hannah Arendt und „Die Rettung der Arbeit“ von Lisa Herzog sind drei so unterschiedliche wie empfehlenswerte Bücher.
Welche Personen inspirieren dich in Bezug auf deine Arbeit?
Da gibt es zunächst Personen aus der Praxis, von denen ich in der Zusammenarbeit viel lerne, wie beispielsweise von Johannes Nöltner, dem als Organisationsentwickler bei Jobrad wertebasierte Kulturarbeit in einer hochdynamischen Umgebung gelingt. Dann gibt es Menschen aus der Forschung, deren Arbeit für eine bessere Arbeitswelt wegweisend sein sollte, wie die Professoren Antoinette Weibel und Thomas Beschorner hier in St. Gallen.
Und es gibt Menschen, die wie ich zwischen Wissenschaft und Praxis vermitteln, wie mein ehemaliger Kollege aus BCG-Zeiten Dominic Veken oder auch Judith Muster.
Autor
Hans Rusinek
forscht, berät und publiziert zum Wandel der Arbeitswelt. An der Universität St. Gallen forscht er zur Sinnfrage in der Arbeit und zu ihrer Rolle in modernen Organisationen. Er erfüllt zudem einen Lehrauftrag zu „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg.
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