Porträt von Michael von Roeder, 50Hertz

„Es gibt einen Zwang zur Veränderung“

Michael von Roeder ist ein echter Change Maker, der bei Veränderungen „hart am Wind segelt“. Mit der digitalen Transformation des Stromnetzbetreibers 50Hertz hat er als Chief Digital und Information Officer derzeit eine herausfordernde Aufgabe. Und dennoch sagt er, man müsse alles infrage stellen. Im Interview spricht der Transformationsgestalter über das Spannungsfeld, in dem er sich bewegt, über lange Genehmigungsverfahren und darüber, was er die vergangenen Jahre in Sachen Change persönlich gelernt hat.

Herr von Roeder, wir alle leben in dynamischen Zeiten. Es gibt um uns herum viele Veränderungen in scheinbar immer kürzeren Zyklen. Wie gehen Sie persönlich damit um? Was machen die vielen Veränderungen mit Ihnen?
Ja, auch ich persönlich bin von einigen Veränderungen betroffen. Doch ich muss sagen: Mir gibt Change Energie. Ich habe in meinem Leben viele verschiedene Dinge gemacht. Das kann man auch an meinem Lebenslauf sehen. Ich war selbstständig, als Freelancer tätig, in einem Start-up, in Corporates, in einer Unternehmensberatung – überall, wo man so arbeiten kann.

Die vielen Veränderungen, von denen Sie sprechen, betreffen aber nicht nur mich persönlich, sondern auch meine Mitarbeitenden. Ihnen möchte ich die notwendige Sicherheit geben, eine „Safe Base“, um sich auf die Veränderungen einlassen zu können. Dass das wichtig ist, habe ich allerdings erst vor anderthalb Jahren verstanden.

Wie kam das?
Ich habe im Urlaub das Buch „Care to dare“ gelesen. Der Titel meint sinngemäß: Sicherheit herstellen, um dann die Menschen herauszufordern – im positiven Sinne. Ich hatte es bis dahin immer anders gemacht: meistens nur „dare“. „Care“ war mir nicht so wichtig. Das hat allerdings sehr oft nicht funktioniert. Ich habe einen echten Erkenntnisprozess durchgemacht. Nämlich, dass die Menschen erst einmal eine sichere Basis brauchen, von der aus sie die Veränderungen mitgehen können.

Und das beherzigen Sie nun auch bei 50Hertz?
Ja, absolut. Wir sind gerade dabei, die Organisation umzubauen. Im Rahmen dessen habe ich mit meinem Management-Team beispielsweise ein Zielbild entwickelt für die nächsten drei Jahre. Mir war wichtig, dass sie wissen, wo ich hinwill – volle Transparenz. Und ich habe ihnen auch gesagt: „Was auch immer passiert und egal, welche Jobtitel ihr haben werdet, ihr werdet mein Management-Team bleiben.“

Warum haben Sie das gesagt?
Eine Führungskraft denkt bei einem großen Change immer auch darüber nach, inwieweit die Veränderung sie selbst betrifft – egal wie professionell sie agiert. Mit dieser Zusicherung von mir konnte ich dem einen Riegel vorschieben. Das Team muss nicht mehr darüber nachdenken, was die Veränderung für sie persönlich bedeutet.

Seit wann sind Sie in Ihrem Job?
Seit mehr als drei Jahren. Vorher war ich bei einem kleinen Unternehmen, 50 bis 60 Leute, sehr Purpose-getrieben, nah am Unternehmenszweck. Bei 50Hertz sind es über 1.400 Mitarbeitende, in der gesamten Elia Group 2.600 fest angestellte Beschäftigte. Die Branche ist aus guten Gründen risikoavers und lief lange im „Geradeausbetrieb“. Durch die neue Bundesregierung und durch den Ukraine-Krieg ist nun ein Höllendruck im System. Es gibt einen Zwang zur Veränderung. Das ist auch allen bewusst. Nur, wie weitgehend diese Veränderung sein wird, das ist noch nicht allen klar. Es gibt oft immer noch die Einstellung „Lasst uns nur so viel wie nötig verändern“.

Ich sage aber: Wir müssen alles infrage stellen.

Wir brauchen eine Vorstellung davon, wo wir hinwollen in den nächsten zehn Jahren. Dann können wir überlegen, wie wir dahinkommen. Das ist kein evolutionärer Ansatz, sondern man kommt vom Ziel und arbeitet sich dann von hinten nach vorne vor. Bei einem solchen Vorgehen muss man allerdings aufpassen, die Menschen nicht zu überfordern. Ich meine hier vor allem eine emotionale Überforderung.

In Ihrer Rolle müssen Sie also einen Balanceakt hinbekommen: Sicherheit geben und gleichzeitig die Menschen herausfordern und die Notwendigkeit der Veränderung klarmachen?
Absolut. Und am Ende muss man es auch vorleben. Meine Herausforderung ist es, die Verbindung herzustellen zwischen dem Heute und der Vision, die skizziert, wo es hingehen soll. Wir müssen nicht übermorgen alles anders machen. Aber wenn wir bis 2032 hundert Prozent erneuerbare Energien im 50Hertz-Netz haben und bis 2050 in Europa dekarbonisiert sein wollen, dann bedingt das einen gewissen Zeitablauf. Und wir sind derzeit hintendran.

Das Gute ist jedoch, dass die Veränderungen in exponentieller Geschwindigkeit passieren. Wenn wir zum Beispiel von drei Jahren Change sprechen, dann passiert in den ersten beiden Jahren gefühlt überhaupt nichts. Denn in erster Linie werden in dieser Zeit Grundlagen gelegt. Es wird am Mindset gearbeitet und Vertrauen aufgebaut. Erst dann fängt es an, sich zu beschleunigen.

„Think big, start small, scale fast.“

Das ist der Dreiklang, den wir hier anwenden. Früher habe ich zu viel „think big“ gemacht und zu wenig „start small“, vor allem aber zu wenig erklärt. Seit ich das verändert habe, funktioniert es besser.

50Hertz betreibt das Stromübertragungsnetz im Norden und Osten Deutschlands und baut es für die Energiewende nun aus. Warum ist der Ausbau notwendig?
Der Ausbau ist nötig, weil wir in Deutschland zukünftig erneuerbare Energien vor allem im Norden erzeugen werden – viel mehr, als dort gebraucht werden. Und im Süden wird weniger erzeugt, als dort nötig wäre. Das bedeutet, wir müssen die Energie von Norden nach Süden bringen. Es gibt derzeit drei große 50Hertz-Projekte, die dafür sorgen sollen, dass riesige Strommengen über Gleichstromverbindungen in den Süden Deutschlands transportiert werden.

Des Weiteren müssen wir innerhalb des 50Hertz-Netzgebietes ausbauen, weil immer mehr Windkraft- und Solaranlagen ans Netz angeschlossen werden. Beispielsweise konnten wir vor Kurzem endlich das erste Teilstück der sogenannten Uckermark- Leitung in Betrieb nehmen, die nach Berlin führt. 17 Jahre dauerte das Planungs- und Genehmigungsverfahren. Sie sehen: Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sind noch viel zu langsam. Dass das so nicht bleiben kann, ist von der Politik zum Glück erkannt. Die neue Regierung hat mit zwei Gesetzespaketen mittlerweile mehr Gesetzesänderungen im Energiesektor vorangebracht als alle Regierungen in den 30 Jahren davor.

Und was bedeutet der Ausbau für Ihre eigene IT-Landschaft?
Der Ausbau, aber vor allem das Ziel, hundert Prozent erneuerbare Energien durch unsere Netze laufen zu lassen, haben enorme Auswirkungen für einen Großteil unserer IT. Nehmen Sie als Beispiel die notwendige Digitalisierung der Genehmigungsverfahren.

Aber das ist nicht die Aufgabe von 50Hertz, oder? Da sind Sie abhängig von anderen.
Nur weil es nicht unsere unmittelbare Aufgabe ist, heißt das ja nicht, dass wir nicht mithelfen können. Heute braucht man bis zu drei voll beladene Transporter, um eine Leitung von den Behörden genehmigen zu lassen. Diese Transporter sind voll mit Antragsformularen und Dokumenten – aus Papier. Circa 36.000 Seiten. Und in den Behörden wird erst angefangen zu lesen, wenn der Antrag vollständig vorliegt. Das ist unfassbar.

Und übrigens: Digitalisierung heißt nicht, dass der Antrag einfach als PDF verschickt wird. Sondern die echte Digitalisierung würde beispielsweise bedeuten, dass gemeinsam – von Behörde und Antragsteller – an der Genehmigung gearbeitet wird. Das Dokument wird geteilt, zum Beispiel, wenn die Gliederung steht, und dann wird zusammen im iterativen, agilen Prozess der Antrag vorangebracht. So stelle ich mir das zumindest vor.

Bis es so weit ist, gibt es natürlich einige Hürden zu überwinden. Wir haben große Veränderungen vor uns – und wir müssen schnell sein. In Bezug auf die IT-Landschaft müssen wir uns fragen, wie wir die Systeme so gestalten können, dass sie unter Einhaltung aller Sicherheitsrichtlinien eine solche Kollaboration erlauben.

Die Auswirkungen auf unsere IT-Landschaft betreffen aber selbstverständlich nicht nur den Bereich Genehmigung, sondern auch das Planen und Bauen. Beispielsweise ist eine Leitung eine mehrere Hundert Kilometer lange Baustelle, an der wir an zahlreichen Stellen gleichzeitig tätig sind und durch Tausende von Grundstücken müssen. Sie können sich vorstellen, dass man diesbezüglich einiges mit digitalen Technologien machen kann.

Sie haben von Kollaboration im Rahmen der Genehmigungsverfahren gesprochen. Aber Digitalisierung heißt nicht zwingend kollaborativ zu arbeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kritik an einem solchen Vorgehen groß ist, weil die Rollen vermischt werden. Die Behörde hat eine andere Aufgabe und Verantwortung als 50Hertz.
Digitalisierung ist meiner Meinung nach in erster Linie keine Frage der Technologie, sondern es geht vor allem um die Art der Arbeit. Es gilt, in integrierten Teams agil zu arbeiten. Und wo steht geschrieben, dass das an Unternehmensgrenzen Halt machen muss? Es ist natürlich schwierig. Aber nur, weil es schwierig ist, heißt es nicht, dass wir es nicht angehen sollten. Unsere Gesellschaft muss lernen – bei Einhaltung der notwendigen Governance-Vorschriften – diese Grenzen zu überwinden. Das heißt nicht, auf die jeweiligen Verantwortlichkeiten zu verzichten.

Wir müssen darüber reden. Aber gemeinsam und nicht jeder in seinem stillen Kämmerlein.

Zwischen „Leitz-Ordner hin- und hertragen“ und kollaborativ digital zusammenarbeiten liegen einige Schritte. Es ist die Frage, ob wir es uns noch leisten können, Zwischenschritte zu gehen. Ich weiß es nicht. Vielleicht müssen wir sie uns sogar leisten. Ich möchte aber mal in Erinnerung rufen, dass Tesla innerhalb von zwei Jahren eine Fabrik in Grünheide bauen konnte. Das war nur möglich, weil mit den Behörden kollaborativ gearbeitet wurde. Es geht also durchaus. Mir ist vor allem wichtig, dass nicht gegeneinander gearbeitet wird und jeder nur auf seine eigene Verantwortlichkeit schaut und diese abgrenzt von dem Bereich des anderen. Dieses Pingpong erzeugt die Friktion, die uns langsam macht.

Die Zusammenarbeit in Ihrem eigenen Unternehmen, beispielsweise zwischen IT und Business, muss sich allerdings auch verändern.
Ja, und zwar dramatisch. Ich glaube, dass die Verantwortung für die Digitalisierung des Business auch im Business liegen muss. Der Weg dorthin geht über eine Dezentralisierung der IT. Die Kern- IT schafft eine digitale Plattform, auf der dezentrale im Fachbereich verortete Produkt-Teams Software bauen können. Die Software-Entwickler kommen zwar aus meinem Bereich, sie verbringen jedoch 80 bis 90 Prozent ihrer Zeit als Mitglied in einem Produkt-Team, das vom Business geführt wird.

Hintergrund ist vor allem, dass wir IT-Kompetenz und beispielsweise die Fähigkeit, mit Daten umzugehen, im Business aufbauen müssen. Nur dann ist es möglich, den Fachbereich zu transformieren, sonst denkt der Fachbereich nur in Software-Paketen, die ihnen die IT liefern soll.

Wir arbeiten „Business-led“, also vom Business geführt. Das zweite große Thema, um den Wandel voranzutreiben, nennt sich „Citizen Development“. Das Business wird befähigt, auch ohne IT-Entwickler selbst softwarebasierte Anwendungen zu erstellen. Mit den heutigen Technologien ist es möglich, vollkommenes Chaos entsteht. Damit sind dann hochagile Iterationen möglich, ohne ständig bei der IT ein neues Projekt aufsetzen zu müssen.

Die IT hat dann keine Dienstleister-Funktion mehr?
Doch. Wir stellen die Plattform zur Verfügung und die betreiben wir auch. Und natürlich kommen die Rechenzentren, die Wide- und Local-Area-Netzwerke weiterhin von uns. Auch wer wo was macht, werden wir weiter koordinieren. Wir wollen keine Doppelarbeit.

Diese Produkt-Teams mit ITlern, von denen Sie gesprochen haben, sind bei Ihnen aber noch nicht weit verbreitet. Sie haben ja auch gesagt, dass 50Hertz ein eher klassisches Unternehmen ist. Wie gelingt die Implementierung dennoch?
Wir sind am Anfang. Sie brauchen zu Beginn auf der Business-Seite einen Verbündeten, der bereit ist, die Veränderung zu wagen. Den hatte ich. Er hatte sogar die Idee dazu. Er war damals Abteilungsleiter und ist jetzt Bereichsleiter. Ich fand seine Idee spannend und bin damit auf seinen Chef, meinen Geschäftsführungskollegen Dirk Biermann, zugegangen, der für Märkte und Systembetrieb zuständig ist. Es war natürlich wichtig, dass wir ihn ebenfalls dafür gewinnen, ein gemischtes Produkt-Team aufzusetzen, das auf Basis einer Plattform arbeitet, mit der das Stromnetz gesteuert wird. Das war vor etwa zweieinhalb Jahren.

Hat der 50Hertz-CE O, Stefan Kapferer, das Vorhaben unterstützt?
Ja. Wir haben ein ähnliches Wertegerüst und ergänzen uns hinsichtlich der Skills, die für eine Transformation nötig sind, sehr gut. Er kommt eher aus der Politik, kann ein Thema gut vermitteln und politisch verankern. Ich komme aus dem Technologiesektor und bringe Fähigkeiten zur Digitalisierung und rund um neue Arbeitsweisen mit.

Es gab dennoch Widerstände im Unternehmen gegen das Vorhaben. Ein dickes Fell war durchaus nötig. Und ich war stets bereit, dieses Projekt zu schützen und habe immer wieder betont, dass alle, die etwas dagegen haben, sich an mich wenden sollen. Es ist keiner gekommen.

Wenn sie gekommen wären, hätte 50Hertz auch eine sehr reife Unternehmenskultur.
Natürlich passiert auch viel hinter den Kulissen. Dann gilt es, Kurs zu halten. Auf die Frage, wie man das neue Arbeiten implementieren kann, antworte ich deshalb: Es ist von immenser Bedeutung, dass man ein Beispiel, ein Projekt durchzieht. Erzählen ist gut, zeigen ist besser.

Es braucht ein Erfolgsbeispiel. Das Team durfte auch machen, was es wollte – mit der expliziten Erlaubnis und Unterstützung von mir. Was herausgekommen ist, ist ein Team von etwa 50 Leuten mit einer starken Identität. Nun sind wir im dritten Jahr und mittlerweile kommen sogar Menschen außerhalb unseres Unternehmens zu uns, um sich diese digitale Plattform zur Steuerung des Stromnetzes anzuschauen. Mitarbeitende reden darüber auf Konferenzen. Und das ist gut so. Es ist wichtig, den Leuten zuzutrauen, dass sie das Richtige tun. Sie brauchen ein klares Zielbild und müssen befähigt werden, sodass sie in der Lage sind, den Weg dorthin zu gehen – ruhig auch mal im Zickzack.

Haben die zweieinhalb Jahre Arbeit des Produkt- Teams den Mehrwert gebracht, den Sie sich für das Unternehmen erhofft haben?
Ja. Wir sehen, dass die Fähigkeiten, die dieses Team erarbeitet hat, auch in einem völlig anderen Geschäftsbereich Anwendung finden können, nicht nur in der Systemführung, sondern ebenfalls im Offshore-Bereich. Damit haben wir nun zu 80 Prozent ein „Re-use“ der Software und wir haben die Geschwindigkeit erhöht. In Belgien und Schweden sieht man ebenfalls, dass man die Software verwenden kann. Das heißt, die andere, neue Art zu arbeiten verbreitet sich – ohne Zwang. Es reichen Transparenz und Freiwilligkeit.

Aber auch die Führungskräfte, die im zweiten Durchgang bereit sind, das Neue zu übernehmen, brauchen ein offenes Mindset.
Ja, absolut. Wir nehmen zunächst die „Low hanging fruits“ und gewinnen die Führungskräfte, die offen sind. Ich habe vorhin gesagt, dass das erste Produkt-Team machen konnte, was es wollte. Auf Dauer geht das natürlich nicht im Unternehmen. Wir entwickeln nun ein „Product Operating Model“ mit dem Ziel, die neue Zusammenarbeit in allen Bereichen des Unternehmens zu etablieren. In zwei Pilotbereichen haben wir damit angefangen. In Deutschland macht zum einen das erwähnte Team die Software zur Systemführung für das ganze Unternehmen. Und zum anderen gibt es ein weiteres Team in Belgien, das auf dieselbe Weise zu Customer Centricity arbeitet. Anhand dieser beiden Teams werden jetzt beispielsweise Fragen zu Budgetierung und Personal bearbeitet, die vorher beim Prototypen noch unbeantwortet geblieben sind.

Wo stehen Sie in Bezug auf den kulturellen Wandel bei 50Hertz insgesamt? Wie groß ist der Anteil, der cross-funktional, agil, weitgehend selbstorganisiert und mit einem offenen Mindset arbeitet?
In dem erwähnten Bereich sind wir sehr weit, bei etwa 80 Prozent. Da fehlen noch die Support-Bereiche HR, Finance, Einkauf. Das sind die nächsten, die dran sind. Aber auch erst einmal nur in Bezug auf den Bereich des Pilot-Teams. Man kann nicht den gesamten Einkauf oder die gesamte HR auf einmal ändern. Das sind die verbleibenden 20 Prozent. Insgesamt liegen wir im Unternehmen vielleicht bei zehn Prozent. Inzwischen melden sich jedoch mehr Bereiche, die mitmachen und Produkt-Teams gründen wollen, als wir momentan verdauen können.

Was bedeutet der Wandel für die Führungskräfte? Behalten sie ihre disziplinarische Macht oder müssen sie was abgeben in Zukunft?
Das ist genau der Wandel, vor dem wir derzeit stehen. Die Führungskräfte werden immer disziplinarische Verantwortung haben, aber in Zukunft eine andere. Ich werde vorangehen und meinen Bereich als Erstes reorganisieren. Bisher haben meine Führungskräfte vor allem eine funktionale Verantwortung. In Zukunft werden sie als Chapter Heads agieren. Sie werden die Verantwortung für zum Beispiel alle Entwicklerinnen und Entwickler, alle Architekten oder alle Security-Mitarbeitenden haben. Die Mitglieder der Chapters werden aber die meiste Zeit in besagten Produkt-Teams in ganz anderen Bereichen arbeiten. Die oder der Chapter Head hat vor allem die Aufgabe Talente zu finden, zu behalten, weiterzuentwickeln und ihnen eine fachliche Heimat zu bieten, wo sie sich austauschen können.

Wie in vielen anderen eher klassischen Unternehmen wird auch bei 50Hertz der Betriebsrat in puncto Transformation eine wichtige Rolle spielen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Betriebsrat als jemand, der häufig „hart am Wind segelt“?
Ich würde sagen, ich habe ein interessantes Verhältnis zum Betriebsrat. Es gibt teilweise Themen, da bin ich mit dem Betriebsrat einig, aber mit dem Rest der deutschen Geschäftsführung nicht. Dann gibt es wiederum andere Themen, bei denen ich mit dem Betriebsrat überhaupt nicht einig bin.

Klar ist: In mitbestimmten Unternehmen kann man keine größeren Veränderungen am Betriebsrat vorbei gestalten – auch wenn das häufig bedeutet, dass die Prozesse länger dauern. Dennoch würde ich sagen, dass das deutsche System der Mitbestimmungm grundsätzlich sehr gut funktioniert – wenn beide Parteien an den Mitarbeitenden interessiert sind und nicht an den eigenen Positionen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher.

 

 

Autor

Michael von Roeder
ist Chief Digital und IT Officer bei 50Hertz. Seit 2019 ist er als Mitglied der Geschäftsleitung und Mitglied des Steuerungsgremiums der belgisch-deutschen Elia Group für die IT und die digitale Transformation in der Gruppe zuständig. Er war zuvor CEO von Sensorberg. Bis Mitte 2016 verantwortete er den IT-Betrieb von Vattenfall. Von 2009 bis 2010 leitete er als COO und Geschäftsführer die iconmobile Gruppe.
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Welche Strukturen braucht ein Unternehmen, um die digitale Transformation voranzutreiben? Lanxess hat sich für eine eigenständige Digitaleinheit im Konzern entschieden, die als Impulsgeber und Innovationstreiber agiert. Im folgendem Beitrag wir dies erläutert: „Digitale Transformation bei Lanxess“.