Studie: Workforce Transformation
Im engen Zusammenspiel von HR und Business
Workforce Transformation ist in Deutschlands Führungsetagen eines der dominanten Zukunftsthemen. Je nach Industrie, Größe und Art des Geschäftsmodells haben die Unternehmen allerdings unterschiedliche Herausforderungen. Eine Studie auf Basis von über 50 C-Level-Interviews zeigt Wege auf, wie mit den Herausforderungen bestmöglich umgegangen werden kann.
Workforce Transformation ist in aller Munde, nicht zuletzt aufgrund schier endlos erscheinender Warteschlangen an Flughäfen oder der Ankündigung großer Unternehmen, wie der von Daimler, die laut Medienberichten bis 2030 mehr als 1,3 Milliarden Euro in die Weiterbildung von Beschäftigten investieren wollen.
Das Thema ist an sich kein neues, mittlerweile aber ganz oben auf der Prioritätenliste von Vorständen angekommen – wie unsere Studie mit über 50 C-Level-Interviews und einer breiten Umfrage (N=509) bestätigt. Und das überrascht nicht. Es ist seit Langem bekannt, wird aber gerne verdrängt, dass sich in Deutschland bis 2030 etwa vier Millionen Mitarbeitende (MA) beruflich neu orientieren müssen und zusätzlich circa fünf Millionen Fachkräfte fehlen werden, weil unter anderem Babyboomer in Rente gehen und zu wenig Menschen in die Workforce nachrücken. Die Zahlen hat das Institut der Deutschen Wirtschaft in diesem Jahr errechnet.
Orientierung durch den strategischen Überbau
Aus unserer Studie haben sich „3+2 Themen“ herauskristallisiert, die für alle Gesprächspartner:innen in Bezug auf Workforce Transformation zentral sind:
1 MA-Gewinnung – wie man Mitarbeitende für sich gewinnt
2 MA-Entwicklung – wie man Mitarbeitende weiterbildet
3 MA-Bindung – wie man Mitarbeitende hält
Die Umsetzung dieser drei Themen bedarf eines strategischen Überbaus (+1), der als zielorientierte Wegbeschreibung in der Umsetzung der drei oben genannten Kernthemen dient. Hier ist auch die Employer Value Proposition (EVP), also das Alleinstellungsmerkmal als Arbeitgeber, zu verorten, mit dem man (potenziellen) Mitarbeitenden ein Werteversprechen gibt und ausdrückt, warum man der richtige Arbeitgeber ist.
Zusätzlich benötigt es einen system-organisatorischen Unterbau (+1), der vor allem durch das richtige Operating Model, ein Upgrade digitaler Systeme sowie die Einbindung von People Analytics – die Sammlung und Anwendung von Daten zur Entscheidungsfindung – die Basis der Implementierung bildet.
Purpose wird immer wichtiger
Dabei hängt es vom Unternehmen und der spezifischen Marktsituation ab, ob alle Kernthemen plus Über- und Unterbau zusammen oder einzelne Themen fokussiert bearbeitet werden müssen (siehe Abbildung).
1. MA-Gewinnung – wie man Mitarbeitende für sich gewinnt
Die Gewinnung von Mitarbeitenden stellt in der heutigen Zeit für alle Organisationen eine umfassende Herausforderung dar. Und zwar unabhängig von Branche und Größe. So das eindeutige Ergebnis unserer großen Umfrage (96 Prozent Zustimmung).
Was können Unternehmen tun, um begehrte Talente für das eigene Unternehmen zu gewinnen? Insbesondere die junge Generation von Mitarbeitenden möchte für Unternehmen tätig sein, die einen tiefergründigen Purpose verfolgen, wie die CHRO eines großen FinTech-Unternehmens beschreibt: „Je nach Lebensphase sind unterschiedliche Faktoren wichtig. Purpose und Sinnhaftigkeit werden immer wichtiger, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.“ Ein gelebter Purpose, mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können, ist demnach eine Grundvoraussetzung, um als Arbeitgeber interessant zu sein.
Flexibilität spielt eine weitere wichtige Rolle. Viele Mitarbeitende haben sich seit der Corona-Krise an eine gewisse Flexibilität des eigenen Arbeitsmodells gewöhnt und sind oft nicht mehr dazu bereit, ständig ins Büro zu fahren. Der „Head of Global People and Culture“ eines führenden Medienunternehmens konstatiert: „Flexibilität ist heute eine Währung, genauso wie Vergütung.“ Vollständige Flexibilität in Bezug auf Arbeitsort und -zeit wird aber durch die hiesige Arbeitsgesetzgebung erschwert.
Ein weiterer Faktor ist die positive „Candidate Experience“. Bei der Candidate Experience geht es darum, jeden einzelnen Kontaktpunkt auf der Gewinnungsreise der Mitarbeitenden positiv aufzuladen, denn diese Erfahrungen beeinflussen die Entscheidung für das Unternehmen positiv bzw. werden von Bewerber:innen in der Regel nach außen weitergetragen.
2. MA-Entwicklung – wie man Mitarbeitende weiterbildet
Neben der Herausforderung der Gewinnung von Mitarbeitenden stellt die Veränderung von Geschäftsmodellen und -prozessen neue Anforderungen an die Belegschaft in Bezug auf das Erlernen neuer Kompetenzen und Fähigkeiten. 85 Prozent unserer Gesprächspartner:innen bestätigen, dass kontinuierliche Mitarbeitenden-Entwicklung fundamental ist, um mit den sich stetig ändernden Anforderungen der heutigen VUCA-Welt umgehen zu können.
Dabei bringt Mitarbeitenden-Entwicklung für Unternehmen gleich zwei Vorteile mit sich: Investiert ein Unternehmen in Lernangebote, erhöht sich nicht nur die Qualität der Belegschaft, es zahlt auch automatisch positiv auf eine gesteigerte Arbeitgeberattraktivität (EVP) ein. Dies verdeutlicht die Aussage des Vorstandes eines internationalen Konsumgüterunternehmens: „Lernmöglichkeiten sind der neue Dienstwagen – und zwar mit Badges und Zertifizierungen.“
Lernen als Teil der DNA eines Unternehmens
Doch was können Unternehmen konkret tun, um dem Entwicklungsbedarf von Mitarbeitenden zu begegnen und diesen als Asset für sich zu nutzen?
Der Aufbau einer „Learning Culture“, also einer Kultur, die geprägt ist von dem Anspruch, sich immer weiterentwickeln zu wollen, sorgt dafür, dass Lernen in die DNA des Unternehmens integriert wird. Dies bedeutet, dass Mitarbeitende erstens passgenaue Entwicklungsangebote zur Verfügung gestellt bekommen und zweitens den nötigen Raum erhalten, diese auch zu nutzen.
Eine Vielfalt zielgruppenspezifischer Lernprogramme ist hierbei erfolgskritisch, da unterschiedliche Lerntypen unterschiedliche Formate benötigen. On-the-job-training oder digitale Lernformate angereichert mit kurzen Lernhacks bieten heutzutage einfache Möglichkeiten, um Lernen bedarfsgerecht und je nach Präferenz der Mitarbeitenden in den Alltag zu integrieren.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Aktivierung der direkten Führungskraft durch systematische Entwicklung. Diese sollte hierbei als Vorbild vorangehen, Lernmöglichkeiten eröffnen und Anreizsysteme schaffen, sodass sich Mitarbeitende proaktiv weiterentwickeln. Das kann zum Beispiel durch die feste Verankerung von „Lern-Zeit“ im Arbeitsalltag gelingen. Bei der Frage, ob digitale oder physische Trainings bevorzugt werden sollten, sind sich die Gesprächspartner:innen einig: „Die Mischung macht’s.“ Zwar bieten digitale Lernformate mehr Individualisierungspotenzial, das klassische Präsenztraining bleibt als kulturstiftendes Element jedoch weiterhin wichtig.
3. MA-Bindung – wie man Mitarbeitende hält
Das dritte zentrale Thema ist allein deshalb relevant, da wir uns in Deutschland auf einem Arbeitnehmermarkt befinden. Es gibt schlichtweg weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt als Jobs. Hinzu kommt das Phänomen der „Great Resignation“, also vermehrte Kündigungen vonseiten der Arbeitnehmer:innen, zum Teil ohne einen Anschlussjob zu haben.
Bislang war dieser Trend vorwiegend in den USA zu beobachten. Laut dem Gallup Engagement Index Dezember 2021 ist die Wechselwilligkeit in Deutschland mittlerweile sogar höher als in den USA, was auf eine drohende Kündigungswelle hinweist.
War früher das Halten von Mitarbeitenden noch vorwiegend eine Frage der Gehaltserhöhung, sind sich 90 Prozent unserer Studienteilnehmer:innen einig: Der Fokus verschiebt sich auf die ganzheitliche Motivation der Mitarbeitenden.
Das bedeutet, dass sich die zentralen Maßnahmen von Mitarbeitenden-Gewinnung und Mitarbeitenden-Entwicklung auch positiv auf das Halten der Beschäftigten auswirken.
Enorme Bedeutung der menschlichen Beziehungen
Wie bei den anderen Themen stellt sich hier ebenfalls die Frage nach konkreten Ansätzen für Unternehmen. Ein Hebel liegt in der Gestaltung der Arbeit im Sinne von New Work. Wie oben bereits skizziert, verändern sich die Prioritäten vieler Mitarbeitenden. Der Wert von Sinnhaftigkeit der Arbeit steigt und auch im Hinblick auf die Arbeitszeit ist eine Abkehr von früheren Ansichten zu beobachten, wie der Vorstand eines großen Telekommunikationsunternehmens berichtet: „Selbst im Upper Management merke ich eine ganz klare Abkehr von dem Willen, 60 Stunden die Woche zu arbeiten.“
Eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, positiv auf die Mitarbeitenden-Bindung einzuwirken, ist die Aktualisierung des Führungsverständnisses, wie der Bereichsvorstand Organisation eines MDAX-Unternehmens treffend formuliert: „People join companies and leave bosses.“
Die zentralen Fragen hierbei sind: Welcher Führungsstil wird im Unternehmen gelebt? Kann ein potenzielles Talent sich damit identifizieren? Ist die Führungskultur wertschätzend und bietet sie genügend Freiräume, sodass sich Mitarbeitende weiterentwickeln können? Es geht hierbei aber nicht ausschließlich um die direkte Führungskraft, sondern auch um die Mikrokultur des unmittelbaren Teams, mit dem man permanent zusammenarbeitet.
Unsere Gesprächspartner:innen berichten unisono, dass die menschlichen Beziehungen innerhalb des direkten Arbeitsteams sowie dessen Kultur und Atmosphäre eine entscheidende Rolle spielen, ob Mitarbeitende motiviert sind und sich wohlfühlen. Und diese beiden Faktoren haben einen positiven Einfluss auf die Mitarbeitenden-Bindung.
Mit klarer Wegbeschreibung und starker Basis
Der alleinige Fokus auf Mitarbeitenden-Gewinnung, -Entwicklung und -Bindung wird allerdings nur selten zum Erfolg führen. Die Organisation braucht eine klare Orientierung, was die Ziele für die drei Themen sind, wie diese inhaltlich aufeinander abzustimmen sind und wie der Fahrplan aussieht, um diese auch zu erreichen.
Von elementarer Bedeutung ist die übergeordnete People-Strategie. Abgeleitet aus der Geschäftsstrategie, dient sie als Richtungsvorgabe für die gesamte Organisation.
Als Basis ist dabei eine Überprüfung des Operating Model (Aufbau- und Ablauforganisation) vonnöten, um sicherzugehen, dass auch gehalten wird, was nach außen versprochen wird. Gleichzeitig muss weiterhin in die IT-Infrastruktur investiert werden, um Prozess-Automatisierung voranzutreiben und eine Basis für moderne Analyse-Tools zu schaffen, die unabdingbar sind, um Veränderungen in der Belegschaft frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegensteuern zu können.
HR und Business als Tandem gefordert
Obwohl die Mitarbeitenden im Mittelpunkt stehen, ist HR nicht in der alleinigen Verantwortung für die erfolgreiche Umsetzung.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt vielmehr im engen Zusammenspiel von HR und Business, die sich einen gemeinsamen „Matchplan“ zurechtlegen, der flexibel anpassbar ist und mit der Workforce Transformation erfolgreich gestaltet werden kann.
Beim Gewinnungsprozess ist vor allem HR die treibende Kraft, den Purpose, flexible Arbeitsmodelle und Gehalt transparent nach außen zu tragen. Das Business hingegen steht in der Verantwortung, dass diese Themen auch gelebt und gepflegt werden.
Beim Thema Mitarbeitenden-Entwicklung übernimmt HR die Funktion als Servicedienstleister, der möglichst vielfältige Lernangebote schafft, während die Führungskraft im Business als Enabler für die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeitenden agiert.
Im Bereich Mitarbeitenden-Bindung setzt HR vor allem den Rahmen (unter anderem Motivations- und Benefits-Modelle, Gestaltung von New Work). Das Business ist hier besonders in der Führungsrolle gefordert, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen und eine positive Führungskultur zu leben.
In allen Bereichen ist die Abstimmung mit dem Betriebsrat nicht nur notwendig: Die Abstimmung mit dem Betriebsrat kann als Katalysator bei der Umsetzung der Transformation dienen.
Voraussetzung dabei ist, dass HR, Business und Betriebsrat sich gegenseitig als Partner verstehen, die alle dasselbe übergeordnete Ziel verfolgen: den erfolgreichen Umgang mit Workforce Transformation.
Autoren
Stefan Clemens Ulrich
ist Principal bei der Managementberatung undconsorten mit Fokus auf Leadership, People und Organization. Er berät unter anderem zu (agilen) Transformationen und einer Vielzahl von HR-Themen. Zuvor war er viele Jahre bei einer internationalen Strategieberatung tätig.
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Dr. Tobias Duffner
ist ehemaliger Profifußballer vom SV Werder Bremen und hat im Bereich Sportmanagement an der Universität Leipzig promoviert. Er arbeitet bei der Managementberatung undconsorten als Associate in den Bereichen Transformation und Führung.
»Tobias bei LinkedIn
Große Summen werden in die Digitalisierung investiert, doch etwas Entscheidendes wird vergessen: das menschliche Element. Dabei ist die People-Transformation die wichtigste wirtschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Ein dreistufiger Ansatz für die Workforce Transformation, der iterativ umgesetzt wird, kann dabei ein Schlüssel zum Erfolg sein: „Workforce Transformation in drei Stufen“.