Weshalb Diversität mehr als nur ein Buzzword ist
Keine Frage: Das Thema Diversität haben auch Spitzenmanager:innen seit ein paar Jahren auf dem Radar. Doch konkrete Maßnahmen, die Vielfalt in den Unternehmen fördern, sind immer noch eher die Ausnahme. Was man stattdessen hört, sind eine Menge, nicht immer ernst gemeinte, Willensbekundungen – und viele Vorurteile, die oft von Unwissenheit zeugen. Victoria Wagner räumt mit zehn der gängigsten Vorurteile auf und macht deutlich, welche Bedeutung Vielfalt für die Wirtschaft hat.
Wir schreiben das Jahr 2022: Deutschland ist seit über 50 Jahren Einwanderungsland. Knapp 27 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben eine Migrationsgeschichte. Das sind über 22 Millionen Menschen aus mehr als 190 Ländern. Nicht zuletzt führen auch Globalisierung und Digitalisierung dazu, dass Landesgrenzen zunehmend verschwimmen und unsere Gesellschaft durch Vielfalt geprägt ist. Der permanente globale Austausch eröffnet neue Perspektiven, setzt Maßstäbe und treibt Volkswirtschaften im Wettbewerb untereinander zu Höchstleistungen an.
So muss auch Deutschland sich im internationalen Vergleich behaupten. Es geht dabei nicht nur um die Wirtschaftskraft, sondern auch um die Gewinnung von Talenten und damit um Diversität. Hier schneiden wir als Land seit Jahren schlecht ab und belegen in internationalen Diversitäts-Rankings im Gegensatz zum Norden Europas, den USA und Kanada die hintersten Plätze. Selbst bei der am weitesten etablierten Diversitätsdimension „Gender“ geht es in der deutschen Wirtschaft nur schleppend voran. Mit einer Steigerung um 5,4 Prozentpunkte in den Vorständen der 30 Dax-Konzerne belegen wir mit nur 18,2 Prozent Frauen den vorletzten Platz hinter den USA, Großbritannien, Schweden und Frankreich, wie eine aktuelle Studie der Allbright Stiftung zeigt.
Die Vielfalt der Gesellschaft in der Wirtschaft abbilden
Daher erstaunt es nicht, dass Forderungen von Kund:innen und Mitarbeitenden nach mehr Transparenz bezüglich der Diversitätsentwicklung und zukunftsgerichtetem Handeln immer lauter werden. Die Stakeholder:innen möchten die Vielfalt der Gesellschaft auch in der Wirtschaft abgebildet sehen. Zwar nimmt der Diversitätsdiskurs zunehmend an Fahrt auf, dennoch: Das Thema scheitert häufig an Unwissenheit, Unsicherheit oder sogar Ignoranz. Daher ist es dringend erforderlich mit den zehn gängigsten Diversitätsvorurteilen nachhaltig aufzuräumen.
1. „Wir würden ja gerne vielfältiger einstellen, aber es mangelt an Bewerbungen.“
Mangelnde Gender-Diversität im Unternehmen wird oftmals damit begründet, dass es keine oder nur wenige geeignete Kandidatinnen für die vakante Position geben würde. Ein Argument, das sich bei einem Anteil von 47 Prozent an weiblichen Erwerbstätigen nur schwer nachvollziehen lässt. Es mangelt meist weniger an weiblichen Talenten als vielmehr an auf die Bedürfnisse der weiblichen Zielgruppe angepassten Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel familienfreundliche flexible Arbeitszeiten. Unternehmen, die sich nicht um Diversität und ein inklusives Arbeitsumfeld bemühen oder ihre Bemühungen nicht transparent nach außen kommunizieren, werden es schwer haben passende Bewerberinnen für sich gewinnen zu können.
2. „Diversität richtet sich gegen Männer in Führungspositionen.“
Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion zu etablieren, bedeutet nicht, sich gegen Männer zu verschwören und diese zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, zu erkennen, dass verschiedene Perspektiven und Erfahrungen zu besseren Lösungen und höherer Innovationskraft führen.
Diversität inkludiert Männer. Männer sind nicht die Gegner der Diversitätsbefürworter:innen, sondern vielmehr Verbündete und Wegbereiter des Diversitätsprozesses.
3. „Warum sprechen auf einmal alle über Diversität? Deutschland steht doch wirtschaftlich gut da!“
Wie fatal es sein kann, Transformationsprozesse zu verpassen und Zukunftsthemen nicht frühzeitig zu erkennen, hat uns die fehlende Digitalisierung während der Corona-Pandemie drastisch vor Augen geführt. Ähnlich dramatisch ist das Bild, wenn es um Diversität in Deutschland geht. Betrachtet man internationale Diversitäts-Rankings, so zeigt sich, dass Deutschland seit Jahren die hinteren Plätze belegt und im Vergleich zum Norden Europas sowie den USA und Kanada in dieser Beziehung eher einem „Entwicklungsland“ gleicht. Ignoriert die deutsche Wirtschaft Diversität als Erfolgsfaktor weiter, wird dies auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich hieraus ergebenden Arbeitskräftemangels fatale Folgen haben.
4. „Erst einmal müssen wir andere wichtige Themen angehen, bevor wir uns der Diversität widmen können.“
Trotz eindeutiger Studienlage wird der Wert von Diversität als erfolgskritischer Wirtschaftsfaktor von vielen Unternehmen immer noch verkannt. Dass sie dadurch enormes, ökonomisches Potenzial verschenken, scheinen sie billigend in Kauf zu nehmen. Fehlende Vielfalt kann schnell zu einer Verkettung negativer Entwicklungen führen.
So sinkt zum Beispiel die Attraktivität als Arbeitgeber:in, wenn Unternehmen sich nicht nachweislich für mehr Diversität und ein inklusives Arbeitsumfeld einsetzen – in Zeiten eines allgemeinen Arbeitskräftemangels eine gefährliche Entwicklung. Kann der Personalbedarf nicht mehr gedeckt werden, sinken als Folge auch die Umsätze. Welches Thema könnte also aktuell wichtiger sein?
5. „Diversität ist bei uns kein Thema, wir haben bereits genug Frauen im Unternehmen.“
Diversität wird häufig pauschal mit Gleichberechtigung von Frauen assoziiert. Nicht selten wird argumentiert, dass es bereits genug Frauen im Unternehmen gebe. Die Erhöhung des Frauenanteils kann durchaus ein sinnvoller erster Schritt bei der Diversitätstransformation eines Unternehmens sein, es müssen aber noch weitere folgen. Denn wenn man den vollen Nutzen von Vielfalt ausschöpfen möchte, dürfen weitere Diversitätsdimensionen wie Disability, Ethnicity, Generation, LGBT+ und Social Mobility nicht fehlen. Stattdessen müssen sie im Transformationsprozess gleichermaßen berücksichtigt werden.
6. „Wir setzen uns für mehr Diversität ein und hissen die Regenbogenflagge.“
Immer mehr Unternehmen färben ihre Logos in Regenbogenfarben ein und veranstalten Diversity Days, um so ein Zeichen gegen Diskriminierung und für Diversität zu setzen. Dadurch erfährt Vielfalt zwar im öffentlichen Diskurs mehr Aufmerksamkeit. Allerdings ist es wenig nachhaltig und überzeugend, wenn es sich dabei mehr um aufmerksamkeitsstarke PR- und Marketingmaßnahmen als um echte Diversitätsbemühungen handelt. Um zu verdeutlichen, dass Diversität mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist, sollten unter anderem ambitionierte Diversitätsziele in den Bonusvereinbarungen der Führungskräfte vereinbart und entsprechend notwendige personelle wie finanzielle Ressourcen für die Diversitätstransformation zur Verfügung gestellt werden.
7. „Für ein gutes Diversitätsmanagement fehlt uns die Datenbasis, da wir die Daten zur Diversität der Belegschaft ja
nicht erheben dürfen.“
So oft die strengen Datenschutzregelungen in Deutschland kritisiert werden, so gerne werden sie als willkommene Entschuldigung für fehlendes Diversitätsmanagement genutzt. Doch diese Argumentation greift zu kurz und ist oft ein Hinweis auf mangelndes Diversitätsengagement im Unternehmen. Bei der Erhebung besonders sensibler Informationen kann es zum Beispiel hilfreich sein, auf Annäherungen, Hochrechnungen und die Freiwilligkeit der Mitarbeitenden zu setzen. Denn nur mit einem systematischen Datenmanagement können Verbesserungspotenziale identifiziert sowie Maßnahmen zur Steigerung der Diversität gezielt durchgeführt und damit die Auswirkungen von Diversität auf den Unternehmenserfolg sichtbar gemacht werden.
8. „Junge Menschen mögen zwar digital versierter sein, aber für Führung braucht es jahrelange Erfahrung.“
Sich als Unternehmen divers aufzustellen, bedeutet auch, Talente unterschiedlichen Alters für eine Vakanz in Erwägung zu ziehen. Jedoch ist bei dieser Diversitätsdimension das Schubladendenken oft noch sehr ausgeprägt. Der Generation der „Digital Natives“ wird zum Beispiel unterstellt, dass ihnen ihre Work-Life-Balance wichtiger als der Unternehmenserfolg sei. Menschen über 50 Jahren sagt man nach, dass sie sich neuen Entwicklungen nicht mehr schnell genug anpassen können oder wollen, um notwendige Transformationen mitzugehen oder diese sogar anzuführen. Mit Blick auf den demografischen Wandel und den damit einhergehenden Fachkräftemangel wird es jedoch zunehmend wichtiger werden, die Erfahrungs- und Wissensvielfalt unterschiedlicher Generationen für das Unternehmen zu nutzen.
9. „Solange Qualifikation und Arbeitseinstellung stimmen, kann sich jede:r bei uns bewerben.“
Die Behauptung, man befürworte Diversität und stelle nur nach Qualifikation ein, erweist sich bei genauerem Hinsehen oft recht schnell als haltlos. So ist es in Deutschland beispielsweise üblich, Bewerbungen mit Foto einzureichen. Hier wird also bereits im ersten Schritt anhand äußerlicher Merkmale entschieden. Auch Personen mit Behinderungen oder Talente aus Haushalten von Nichtakademiker:innen haben oftmals Schwierigkeiten, im Bewerbungsprozess von sich zu überzeugen, da erst einmal ihre Andersartigkeit im Fokus steht.
Um Vielfalt im Unternehmen zu fördern, braucht es Maßnahmen wie zum Beispiel anonymisierte Bewerbungen, Unconscious-Bias-Trainings sowie ein inklusives Arbeitsumfeld.
10. „Diversität und Inklusion können sich nur große Unternehmen leisten.“
Während das Thema Diversität aus dem öffentlichen Diskurs kaum mehr wegzudenken ist, mangelt es häufig noch an der Umsetzung. Dies wird damit begründet, dass die notwendige Diversitätstransformation zu viele finanzielle und personelle Ressourcen binden würde und daher nur von großen Unternehmen zu bewältigen sei. Das Thema wird schnell depriorisiert und Potenzial verschenkt. Stattdessen sollten Unternehmen Diversität als erfolgskritischen Wirtschaftsfaktor erkennen und entsprechend in der Unternehmensstrategie verankern. Hierbei ist es wichtig, der Unternehmensgröße entsprechend realistische Ziele zu setzen und Ressourcen zu allokieren.
Autorin
Victoria Wagner
ist Gründerin und CEO der Diversitäts-Initiative Beyond-GenderAgenda. Sie ist Seriengründerin, versierte Strategieberaterin und passionierte Kommunikationsexpertin. Seit August 2021 bietet sie mit BeyondGenderAdvice Diversitätsberatung zur erfolgreichen Verankerung von Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion in Unternehmen an.
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In heutigen Unternehmen gewinnt Diversität zunehmend an Bedeutung. Doch welche Facetten der Vielfalt existieren eigentlich, und wie tragen sie zum Erfolg eines Teams bei? Dies wird im Beitrag „Dimensionen von Diversität“ beantwortet.