Beitragsbild changement! Magazin 2024-08: Die Transformation vom Pokerspiel zum Puzzle

Die Transformation vom Pokerspiel zum Puzzle

Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten sind meist geprägt von schwierigen Verhandlungen, in denen jede Seite ihre jeweiligen Interessen durchsetzen will. Dies hat häufig zur Folge, dass notwendige Veränderungen nicht schnell genug angegangen werden können. Notwendig wären hingegen echter Dialog und die Abkehr vom reinen Verhandlungsmodus hin zum Gestaltungsmodus, bei dem die Zusammenarbeit als Allianz im Auftrag der Kunden der Mitbestimmung verstanden wird.

In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ist die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten von zentraler Bedeutung. Eine funktionierende Kooperation mit wertschöpfenden Beiträgen trägt maßgeblich zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden und zum Erfolg des Unternehmens bei. Doch in der Unternehmenspraxis ist die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten häufig von Konflikten und großen Herausforderungen geprägt. Das muss allerdings nicht sein, wenn echter Dialog Einzug hält.

Verhandelst du noch oder gestaltest du schon?

Im weitverbreiteten Sprachgebrauch wird die Interaktion zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten traditionell als „Verhandlung“ tituliert. Ein typischer Ausdruck einer Zusammenarbeit im Modus des „Verhandelns“ zeigt sich auf Arbeitgeberseite in Fragen wie: „Wie können wir das Thema gut verkaufen?“ oder „Wie bekommen wir das am besten am Betriebsrat vorbei?“.

Auf Betriebsratsseite hingegen stellt man sich häufig Fragen wie: „Wie können wir unsere Positionen durchsetzen?“ oder „Warum werden wir wieder so spät hinzugezogen?“ Solche Fragestellungen verdeutlichen den Fokus auf das eigene Gewinnen, das Vermeiden von Diskussionen und das Durchsetzen von Positionen, statt gemeinsam konstruktiv Lösungen zu entwickeln. Diese Verhaltensmuster erinnern häufig an ein Pokerspiel, in dem jeder seine Karten verdeckt hält, um im richtigen Moment zu punkten.

Warum gute Zusammenarbeit wichtiger denn je ist

In einer zunehmend komplexen Arbeitswelt, in der Unternehmen ständig auf Veränderungen reagieren müssen, wird die Notwendigkeit einer wertschöpfenden Zusammenarbeit der Betriebspartner immer deutlicher. Hier kommt das „Puzzeln“ ins Spiel – eine Metapher für eine kooperative Zusammenarbeit, bei der beide Seiten ihre Teile transparent einbringen, um das große Ganze zu vervollständigen. Statt gegeneinander zu arbeiten, arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam daran, die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu gestalten.

Im Zentrum eines modernen und wertschöpfenden Gestaltungsprozesses sollte immer zuerst der Kunde der Mitbestimmung stehen. Mit Kunde meine ich im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung die Beschäftigten, aber auch die Endkunden eines Unternehmens – ganz im Sinne des § 2 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Diese Einstiegsperspektive kann helfen, um einen gemeinsamen Gestaltungsprozess zu starten und nicht in einer Gewinner-Verlierer-Logik des Pokerns zu verharren.

Echter Dialog: der Schlüssel zum Puzzeln

Der Gestaltungsmodus setzt auf eine proaktive Informationspolitik, die nicht nur auf die reinen erzwingbaren und echten gesetzlichen Mitbestimmungsrechte reagiert, sondern eine „Default“-Einstellung hat, nach der kontinuierlich und frühzeitig Informationen geteilt werden. Dies schafft die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis und eine bessere Zusammenarbeit. Dabei ist die „Feedback-Maximierung“ zentral: Durch die aktive Einholung von Rückmeldungen kann ein besseres Ergebnis erzielt werden, das die Bedürfnisse aller Kunden – sowohl der internen als auch der externen – berücksichtigt.

Ein weiteres Merkmal des Gestaltungsmodus ist die ergebnisoffene Haltung der Beteiligten. Statt voreilige Schlüsse zu ziehen und frühzeitig Entscheidungen zu fällen, müssen Arbeitgeber und Betriebsrat bereit sein, den Dialog offen zu halten und unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen.

Dies erfordert von beiden Seiten eine Bereitschaft zur echten Mitarbeit und zur kontinuierlichen Kommunikation.

Auch wenn dies zeitaufwendig und anstrengend sein kann.

Eine solche „projektintegrierte Mitbestimmung“ bedeutet, dass die Mitbestimmungsprozesse nicht isoliert, sondern als integraler Bestandteil von Projekten betrachtet werden. Dies verlangt von beiden Seiten eine aktive Beteiligung und den Mut, auch unkonventionelle Ansätze zu wählen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.

Die Zusammenarbeit als Allianz im Auftrag der Kunden

Im Gestaltungsmodus sind sogenannte „Schwebemomente“ eine wichtige Komponente. Diese Momente, in denen Entscheidungen noch nicht gefallen sind und die Situation „in der Schwebe“ ist, erfordern Geduld und Vertrauen von allen Beteiligten. Diese „Schwebemomente“ auszuhalten, ist entscheidend, um eine wirklich durchdachte und gemeinsam getragene Lösung zu entwickeln.

Die Zusammenarbeit im Gestaltungsmodus versteht sich als Allianz im Auftrag der Kunden der Mitbestimmung. Beide Seiten arbeiten nicht gegeneinander, sondern verfolgen ein gemeinsames Ziel: das bestmögliche Ergebnis für die Kunden – sowohl intern (Mitarbeitende) als auch extern (Kunden des Unternehmens) – zu erzielen.

Diese Allianz bedeutet ebenfalls, dass Arbeitgeber und Betriebsrat das Risiko eingehen, sich gegenüber anderen Stakeholdern, zum Beispiel einzelnen Beschäftigtengruppen oder Verwaltungsräten, offen zu positionieren und die getroffenen Entscheidungen transparent zu kommunizieren. Diese Haltung erfordert Mut und das Vertrauen, dass die gemeinsam erarbeiteten Lösungen auch nach außen hin Bestand haben werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Gestaltungsmodus ist die Rolle des Beraters auf der jeweiligen Seite. Ein gegenseitiges Beraten wird nicht als gegnerische Einbringung oder barsche Beobachtung wahrgenommen, sondern als wertvolle Dienstleistung, die dabei hilft, „blinde Flecken“ zu erkennen und die Qualität des Entscheidungsprozesses zu steigern. Dies erfordert eine bewusste Investition von Zeit und Ressourcen, um den Beratungsprozess zu optimieren und das bestmögliche Ergebnis für das Unternehmen zu erzielen.

Die Summe aller Perspektiven verspricht das beste Ergebnis für das Unternehmen. Diese Einstellung, gepaart mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe, ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Gestaltungsmodus. Es geht nicht darum, zu müssen, sondern zu wollen – eine freiwillige und engagierte Zusammenarbeit, die auf gegenseitigem Respekt und dem Willen, gemeinsam erfolgreich zu sein, beruht.

Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten kann als gemeinsames Gestalten verstanden werden, bei dem beide Seiten ihre Teile einbringen, um ein kohärentes und vollständiges Zielbild zu erschaffen. Dieser Prozess erfordert nicht nur den kontinuierlichen Dialog, sondern ebenso eine Kultur der Offenheit und Flexibilität, um auf Veränderungen und neue Herausforderungen adäquat reagieren zu können.

Auf die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer effektiven Zusammenarbeit möchte ich im Folgenden noch eingehen.

Gemeinsames Zielbild

Ein klares und gemeinsam entwickeltes Zielbild dient als Leitfaden für die Zusammenarbeit.

Es gibt beiden Seiten eine Vorstellung davon, wie das Endergebnis aussehen soll, und hilft dabei, die einzelnen Eckpunkte sinnvoll an ihren Platz zu setzen. Dieses Zielbild sollte nicht nur die kurzfristigen Ziele umfassen, sondern auch die langfristige Ausrichtung des Unternehmens und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick haben. Ein geteiltes Zielbild schafft Orientierung und vereinfacht es den Beteiligten, ihre jeweiligen Beiträge zielgerichtet zu leisten.

Partizipation

Der Erfolg des Gestaltens hängt maßgeblich davon ab, dass beide Seiten aktiv in den Prozess einbezogen werden und sich auch aktiv beteiligen. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber und Betriebsrat nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, sondern vorrangig die Perspektiven
und Bedürfnisse der Stakeholder – den Kunden der Mitbestimmung. Partizipation ist der Schlüssel zu einem integrativen Prozess, in dem alle relevanten Stakeholder mitwirken. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Gestalten vollständig und im Sinne aller Beteiligten gelöst wird.

Die Einbindung der Belegschaft in diesen Prozess fördert die Akzeptanz der Ergebnisse.

Und sie stärkt das Vertrauen in die Zusammenarbeit.

Ein praktisches Beispiel für Partizipation könnte darin bestehen, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat bei komplexen Themen wie beispielsweise Vergütungsmodellen zunächst ein gemeinsames Grundlagenwissen aneignen. Dies kann durch eine Tandemschulung geschehen, bei der beide Seiten zusammen von einem gemeinsam beauftragten Referenten bzw. Sachverständigen geschult werden, oder indem sie sich verpflichten, ein spezifisches Sachbuch zu diesem Thema im Vorfeld zu lesen.

Ein solches Vorgehen stellt sicher, dass alle Beteiligten über ein gemeinsames Verständnis des Sachverhalts verfügen und auf einer fundierten Wissensbasis miteinander diskutieren können. Besonders bei Themen, die tiefgehendes Fachwissen
erfordern, wie etwa Vergütungsmodelle, ist es entscheidend, dass beide Seiten die gleichen Grundkenntnisse haben. Dies fördert nicht nur den Dialog, sondern ermöglicht es auch, auf Augenhöhe zu argumentieren und gemeinsam fundierte Entscheidungen zu treffen.

Ein weiteres Beispiel für Partizipation im Gestaltungsprozess könnte die Einbeziehung von Fokusgruppen aus der Belegschaft sein, die zu spezifischen Fragestellungen konsultiert werden. Diese Fokusgruppen bieten wertvolle Einblicke und helfen sicherzustellen, dass die Perspektiven der Kunden der Mitbestimmung – also der Mitarbeitenden – nicht aus dem Blick geraten. Dabei geht es weniger darum, ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat „Recht“ hat, sondern vielmehr darum, ob die geplanten Maßnahmen wirklich im Interesse der Belegschaft sind und deren Bedürfnisse und Erwartungen widerspiegeln.

Flexibilität

Die Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, ist entscheidend für den Erfolg des gesamten Prozesses. Ein Puzzle, das unter starren Rahmenbedingungen zusammengesetzt wird, kann schnell unvollständig bleiben, wenn neue Herausforderungen oder Informationen auftreten. Flexibilität bedeutet, dass beide Seiten bereit sein müssen, ihre ursprünglichen Pläne und Positionen zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Dies erfordert eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Anpassungsbereitschaft, in der Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden, das Ergebnis zu optimieren.

Vom Verhandeln zum Gestalten

Die Transformation von einem Pokerspiel zu einem Puzzle bzw. Gestalten ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten. Es geht darum, einen echten Dialog zu führen, Vertrauen aufzubauen, sowie um die Bereitschaft, gemeinsam gestalten zu wollen. Weg von einem reinen Verhandlungsmodus hin zu einem Gestaltungsmodus, der das Wohl der Mitarbeitenden und Kunden in den Mittelpunkt stellt, ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Nur so können Unternehmen die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt meistern und langfristig erfolgreich sein.

 

 

Autor

Marco Holzapfel
ist Experte für betriebliche Mitbestimmung und Gründer von Betriebsdialog. Als unabhängiger Mitbestimmungslotse und ausgebildeter Wirtschaftsmediator vereint er die Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern und unterstützt die Betriebsparteien bzw. Betriebspartner gleichermaßen für den gemeinsamen Erfolg (Kontakt: marco.holzapfel@betriebsdialog.de).
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