Emotionale Intelligenz hat auch was mit Manipulation zu tun
Der Begriff der emotionalen Intelligenz ist in der modernen Arbeitswelt populär. Vor allem Führungskräfte sollten heute emotional intelligent sein, wenn sie Karriere machen wollen, heißt es häufig. Die Wissenschaftlerin Myriam Bechtoldt hat einen differenzierten Blick darauf. Im Gespräch erklärt sie, was sich hinter dem Begriff verbirgt und was leistungsstarke Führungskräfte in der Regel besonders auszeichnet.
Frau Bechtoldt, was ist eigentlich emotionale Intelligenz?
Emotionale Intelligenz ist ein Konstrukt, das insbesondere mit dem Erscheinen des Bestsellers „Emotionale Intelligenz“ von Daniel Goleman Mitte der 90er-Jahre schlagartig an Popularität gewonnen hat. Eine Behauptung von ihm, mit der er häufig zitiert wurde, lautet: „Menschen mit hohem IQ werden eingestellt, aber die Menschen mit hohem EQ werden befördert.“
Nach Daniel Goleman ist emotionale Intelligenz ein bunter Strauß an Fähigkeiten und Eigenschaften. Dazu gehören unter anderem: die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, auch in frustrierenden Situationen am Ball zu bleiben; seine Impulse zu kontrol lieren und Belohnungen aufschieben zu können; fähig zu sein, seine Stimmungen zu regulieren; sich nicht von Stress überwältigen zu lassen sowie empathisch und hoffnungsvoll zu bleiben.
Sie sehen: Es ist eine ganze Menge, die laut Goleman zu emotionaler Intelligenz gehört. Goleman ist kein Wissenschaftler. Was er im Wesentlichen gemacht hat, war, existierende Literatur zusammenzufassen und dem Ganzen ein neues Emblem zu geben. Mit vielem davon beschäftigte sich die akademische Psychologie aber schon mehrere Jahrzehnte.
Was ist vor allem das Problem mit Golemans Begriff, außer dass er alten Wein in neuen Schläuchen verkauft hat?
Das Problem mit seiner Definition besteht vor allem darin, dass er Dispositionen mit Fähigkeiten verwechselt. Zum Beispiel sagt er, dass man hoffnungsvoll bleiben können sollte. Damit spricht er eine Disposition wie Optimismus an. So etwas würde man in der Regel mit Fragebögen erfassen, man fragt nach dem typischen Erleben und Verhalten. Dabei gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Es geht um die persönliche Selbsteinschätzung. Die zu befragende Person entscheidet dabei allein, welche Wahrheit sie von sich preisgibt. Das ist anders als beispielsweise bei Leistungstests, mit denen die kognitive Intelligenz gemessen wird.
Das heißt, man kann emotionale Intelligenz nicht messen?
Doch, man tut es nur nicht, wenn man die Definition von Goleman verwendet, die eben nicht valide ist. Die wissenschaftliche Definition ist eine andere, und sie ist enger. Danach umfasst emotionale Intelligenz die Fähigkeit, eigene und andere Emotionen zu erkennen, zu verstehen und sie zielgerichtet zu verwenden, um eigenes Verhalten zu steuern, aber auch das Verhalten der anderen.
Das heißt, es gibt drei wesentliche Komponenten: Erstens Emotionserkennung. Damit ist immer die nonverbal kommunizierte Emotion gemeint, die zum Beispiel über den Gesichtsausdruck, den Tonfall oder unsere Körperhaltung transportiert wird.
Die zweite Komponente ist emotionales Verständnis, das ganz viel mit Wissen über Emotion zu tun hat. Wissen Sie zum Beispiel, dass Überraschung eine komplexe Emotion ist, die aus zwei Grundemotionen besteht, nämlich Freude, aber auch ein wenig Angst? Oder wissen Sie, welche Umstände dazu führen, dass ein Gefühl wie Frustration ausgelöst wird?
Und was ist die dritte Komponente?
Das ist die Emotionsregulation, sowohl bei sich selbst als auch bei anderen Menschen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir an, Sie sind eine Führungskraft, die mit dem Team ein Meeting hat, und es sollen Ideen zu einem Thema gebrainstormt werden. Es herrscht aber aus irgendwelchen Gründen im Raum eine schlechte Stimmung. Zunächst wäre die Frage: Nehmen Sie wahr, dass die Stimmung, die in dem Raum besteht, nicht die passende ist, um kreative Ideen zu sammeln? Und zweitens: Sind Sie in der Lage, die Stimmung so zu verändern, dass eine kreative Ideen-Session stattfinden kann?
Ist das nicht übergriffig? Die Menschen haben eine Emotion, aber ich als Führungskraft möchte, dass sie eine andere haben, also betreibe ich Emotionsregulation.
Durchaus.
„Emotionale Intelligenz hat auch was mit Manipulation zu tun.“
Man kann diese zum Wohle seiner Mitmenschen einsetzen, beispielsweise um ihre Stimmung zu heben, damit es ihnen besser geht. Man kann sie aber auch für den eigenen Vorteil nutzen. Emotionale Intelligenz ist wie ein Messer: Sie können damit Brot schneiden oder jemandem ins Herz stechen. Das hängt von ihrer Motivation ab, und welche Absicht Sie verfolgen.
Sind kognitiv intelligente Menschen immer auch emotional intelligent? Oder sind sie es im Gegenteil meistens eher nicht?
„Zur Intelligenz gehört eine ganze Reihe von Faktoren.“
Wie zum Beispiel logisches Denken oder verbales Verständnis, aber eben auch die emotionale Intelligenz, und die besteht aus den drei Elementen, die ich genannt habe. Emotionale Intelligenz umfasst sozusagen allgemeine Intelligenz angewandt auf emotionale Sachverhalte. Sie ist zwar etwas anderes als die Fähigkeit, Matheaufgaben zu lösen, aber sie hat ebenso mit der Leistungsfähigkeit des Gehirns zu tun. Deshalb korreliert emotionale Intelligenz positiv mit anderen Faktoren der Intelligenz – auch wenn der Zusammenhang nicht sehr stark ist. Dieses Bild vom Computer-Nerd, der gut programmieren kann, jedoch emotional zurückgeblieben ist, ist nicht repräsentativ, im Gegenteil. Kognitiv intelligente Menschen haben gute Voraussetzungen, auch emotionale Intelligenz zu zeigen. Manche haben aber vielleicht einfach kein Interesse daran.
Sind emotional intelligente Menschen tendenziell gute Führungskräfte?
Prinzipiell ja. Aber es kommt eben auf die Motivation der Führungskraft an und wie sie ihre emotionale Intelligenz einsetzen möchte. Im Job hat man mit Menschen zu tun, und alle Menschen haben Emotionen. Mal fühlen wir uns gut, mal fühlen wir uns schlecht. Wir müssen mit Stress umgehen, wir müssen mit Misserfolg umgehen. Oder es passieren positive Dinge, die Euphorie auslösen. Das bedeutet: In der Lage zu sein, im Arbeitskontext zu einem positiven emotionalen Klima beizutragen, ist natürlich auch für einen Chef oder eine Chefin von Vorteil. Und mehr noch: Man erwartet es von einer Führungskraft. Entscheidend sind jedoch ihre jeweiligen Absichten.
Angenommen, ein Unternehmen will Führungskräfte finden, die einen leistungsstarken Job machen. Würden Sie empfehlen, dann eher weniger nach der emotionalen und mehr nach der kognitiven Intelligenz zu schauen?
In der Tat. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass die Korrelation zwischen kognitiver Intelligenz und Job-Performance sehr stark ist. Hingegen ist der positive Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und Job-Performance nur sehr schwach ausgeprägt. Das heißt, das Wichtigste, was ich von einem neuen Mitarbeitenden wissen muss, ist, ob er oder sie in der Lage ist, einen guten Job zu machen. Und eine Antwort darauf können Aussagen zu kognitiver Intelligenz geben.
Wenn eine Führungskraft ein Team hat, das zerstritten ist, und sie möchte den Konflikt schlichten, reicht dann die kognitive Intelligenz der Führungskraft, um erfolgreich zu sein?
Nein, dann kommt sicherlich die emotionale Intelligenz ins Spiel. Wenn es beispielsweise eine Gruppe an Führungskräften gäbe, die alle gleich kognitiv intelligent wären und damit die gleichen Voraussetzungen mitbringen würden, um den Job machen zu können, dann sollte man im zweiten Schritt die emotionale Intelligenz der Führungskräfte in den Blick nehmen. Es sind die im Vorteil, die in der Lage sind, mit den Emotionen ihrer Mitarbeitenden konstruktiv umzugehen – und natürlich auch mit den eigenen Emotionen.
Kann man sagen, es ist ein Indiz für eine geringe emotionale Intelligenz, wenn eine Führungskraft auf kritisches Feedback mit einem Wutausbruch reagiert?
Eindeutig, denn es ist klar, dass das keine zielführende Reaktion ist, um mit dem Mitarbeitenden weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Lässt sich beobachten, ob Führungskräfte in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren größere emotionale Intelligenz zeigen?
Was sich verändert hat, ist unsere Vorstellung davon, was gute Führung ausmacht. Der am intensivsten erforschte Führungsstil ist transformationales Führungsverhalten, der Obama-Führungsstil sozusagen. Der Stil hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wir leben in einer komplexen Welt. Führungskräfte sind meist nicht mehr in der Lage, Mitarbeitenden zu sagen, was sie zu tun haben. Häufig wissen das Mitarbeitende selbst besser, weil sie die Experten im jeweiligen Bereich sind. Die Führungskraft kann aber eine Vision vermitteln, die begeistert, und sie kann die Zuversicht vermitteln, dass diese Vision erreicht werden kann. Das ist transformationales Führen.
„Transformationales Führen hat viel mit emotionaler Intelligenz zu tun.“
Und die diesbezüglichen Ansprüche an Führungskräfte sind in den vergangenen Jahren gestiegen?
Ja. Mitarbeitende wünschen sich immer mehr ein partnerschaftliches Führen auf Augenhöhe. Sie wollen eine Führungskraft, die unterstützt und empathisch ist. Das entspricht auch dem kulturellen Selbstverständnis von vielen Organisationen.
Ich habe allerdings einmal gelesen, dass die Fähigkeit zur Empathie bei Führungskräften ab nimmt, je höher sie in der Hierarchie eines Unternehmens steigen. Ist das richtig?
Nicht die Fähigkeit nimmt ab, sondern die entsprechende Motivation. Wir alle sind in der Lage, empathisch zu sein, aber wir sind es nicht in jeder Situation. Der Punkt ist, ich muss in der Stimmung sein für ein empathisches Verhalten. Das hat viel mit der Beziehung zu der jeweils anderen Person zu tun oder beispielsweise mit der eigenen aktuellen Stressbelastung.
Aber Sie haben insofern Recht:
„Macht korreliert negativ mit Empathie.“
Je mächtiger jemand ist, desto weniger macht er sich Gedanken über die, die ihm untergeordnet sind. Man denkt eher über die nach, die Macht über einen haben, weil sie vermeintlich das eigene Fortkommen stark beeinflussen.
Kann man emotionale Intelligenz trainieren?
Ja, das kann man. Jede Form des Coachings, jede Psychotherapie ist ein Training in emotionaler Intelligenz. In einer Psychotherapie lernt man beispielsweise, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und mit Emotionen umzugehen – sowohl mit den eigenen als auch mit denen der anderen. Das funktioniert; Beleg dafür ist zum Beispiel, dass Krankenkassen die Kosten von Psychotherapie übernehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jan C. Weilbacher.
Interviewpartnerin
Prof. Dr. Myriam Bechtoldt
ist Diplom-Psychologin und Professorin für Leadership an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Mit emotionaler Intelligenz beschäftigt sie sich in ihrer Forschungsarbeit. Zudem ist sie systemische Psychotherapeutin und Coachin. In einem aktuellen Projekt untersucht sie, ob erfolgreiche Führungskräfte emotional intelligenter sind als ihre Mitarbeitenden. Teilnehmen können Teams aus jeweils einer Führungskraft und mindestens fünf Mitarbeitenden. Interessierte erhalten nähere Informationen unter leadership@ebs.edu