Zahlreiche Stellhebel
Von dem Begriff „Organizational Burnout“ habe ich das erste Mal 2011 gehört, als das gleichnamige Buch von Gustav Greve erschien. Ich habe intuitiv sofort verstanden, was damit gemeint ist: Auch eine Organisation kann ausbrennen. Schließlich treffen dort Menschen aufeinander und sie alle verbringen sehr viel Zeit zusammen.
Für mich liegt es auf der Hand, dass es so etwas gibt wie einen organisationalen Erschöpfungszustand, der sich oft kaum greifen lässt – aber umso mehr Wirkung entfaltet. Er ist nicht sofort offensichtlich, und doch ist er spürbar in den Interaktionen: Es fehlt an Energie, die Produktivität nimmt ab, die Ideen werden weniger – und dies, obwohl die Arbeitsstunden hoch sind.
Ein Grund für eine kollektive Erschöpfung kann eine erlebte Dysfunktionalität sein, die die Mitarbeitenden zermürbt: Strukturen, Prozesse und/oder die Kultur laufen dann dem eigentlichen Zweck der Organisation, beispielsweise dem Kunden tolle Produkte zu liefern, zuwider. Grabenkämpfe zwischen Abteilungen, unsinnige Prozesse sowie Chefs, die alles alleine entscheiden, können Menschen ausbrennen lassen. In vielen Unternehmen fehlt es häufig auch an Fokus und einer klaren Prioritätensetzung. Nicht zu wissen, wohin es eigentlich geht, verbunden mit einer mangelnden Entscheidungsfähigkeit des Systems, erschöpft die Beschäftigten ebenfalls.
In Managementetagen muss aber auch das jeweilige Menschenbild hinterfragt werden. Immerzu auf eine hohe Taktung zu setzen sowie auf Kontrolle, ohne auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu achten, macht den kollektiven Burnout wahrscheinlicher. Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Was brauchen die Mitarbeitenden und die Teams, um produktiv und voller Energie arbeiten zu können? Die Antworten darauf sind vielfältig und reichen von ausreichend „Erholungsphasen“ und „Ressourcen“ über „Wertschätzung“ und „Freiraum“ bis hin zu „Sinnstiftung“.
Eine lebendige, vitale Organisation zu gestalten hat sowohl viel mit den richtigen Strukturen und Prozessen zu tun als auch mit der Kultur und einer modernen Führung. Es gibt zahlreiche Stellhebel. Und es ist klar, dass ebenso Entwicklungen im Außen, wirtschaftlich und politisch, auf die Psyche der Mitarbeitenden und Führungskräfte Einfluss ausüben – und womöglich auch auf die organisationale Psyche. Das Thema Lebendigkeit bzw. Erschöpfung von Organisationen wird an Bedeutung gewinnen, davon bin ich überzeugt.
Jan C. Weilbacher, Chefredakteur