Mal ehrlich: Raum für Dialoge
Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Expertinnen und Experten auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir die Transformations- und Organisationsberaterin Andrea Kahlenberg.
Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?
Überschätzt werden Tools oder Methoden, wenn sie ohne Berücksichtigung des Kontexts eingesetzt und organisationale Dynamiken außer Acht gelassen werden. Denn ein Tool und die dazugehörige Methodik können in einem bestimmten Kontext hochfunktional sein, in einem anderen Kontext wiederum gar nicht passen. Jeder Kontext verändert sich im Change, die Gegenwart ist morgen schon Vergangenheit.
Daher arbeite ich lieber mit dem Begriff Intervention und designe Impulse und Vorgehensweisen, die in der Gegenwart eine Wirkung erzeugen. Ich möchte im „Hier und Jetzt“ Muster brechen und Erlebnisse schaffen, die dann wiederum Bewegung im System erzeugen.
Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Organisationsentwicklung kennen. Wann hatten Sie diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?
Ein gutes Erlebnis hatte ich in einem M&A-Projekt, in dem wir eine Kulturdiagnostik durchgeführt haben. Auf Kundenseite war es schwierig zu verstehen, dass das Thema Kultur kein separates Thema ist, sondern schon mit dem Projektdesign beginnt und somit auch mit den Projektmitgliedern. Erst nach mehreren Runden im Projektteam und der Intervention der gezielten Eskalation – alle an einen Tisch zu holen, vom Vorstand bis zum Teammitglied – kam es zum Durchbruch im Team und zu ersten Veränderungen im Verhalten basierend auf einem gemeinsamen Verständnis, wie Zusammenarbeit gelebt wird.
Vor allem aber der Raum für Dialoge und das Teilen der unterschiedlichen Perspektiven erzeugten einen wirksamen Aha-Effekt. Die Methode klingt simpel, fast schon banal, ist sie aber nicht. Denn in aller Konsequenz hierarchieübergreifend Raum zu schaffen, um zuzuhören und alle Perspektiven einzunehmen, ist dabei die Herausforderung. Hier geht es darum, sich seiner eigenen Haltung und seiner Glaubenssätze bewusst zu werden.
Bei der Anwendung welcher Methode waren Sie zuletzt ganz besonders wirksam?
Im Kontext Change halte ich es für relevant, auf drei Ebenen zeitgleich zu arbeiten: Ebene „Ich“, Ebene „Team“ und Ebene „Organisation“. Ebenso gilt es, gute Dialogformate zu entwickeln, um Menschen in den Austausch und in den Perspektivwechsel sowie ins Erleben miteinander zu bekommen. Ein Format, das zeitgleich auf allen Ebenen wirkt, ist die Eisberg-Methode, eine meiner Lieblingsmethoden, die sich seit vielen Jahren bewährt hat und die wir mit über Hunderten von Gruppen aller Hierarchien durchgeführt haben. Im Rahmen der Diagnostik von Kultur, also welche gegenwärtigen Muster Kultur beschreiben, bringen wir Menschen aus einer Organisation hierarchieübergreifend oder in Peers zusammen, um Muster zu identifizieren, die funktional oder dysfunktional für die Umsetzung der Unternehmensstrategie sind.
Im Prinzip stellen wir vier Fragen, die dann organisationsübergreifend ausgewertet werden:
- Welche Ereignisse beobachtet ihr in der Organisation?
- Wie oft treten die Ereignisse auf, gibt es ein Muster und wenn ja welches?
- Welche formalen Strukturen bedingen diese Muster?
- Welche Glaubenssätze bedingen ein eigenes Verhalten, diese Strukturen aufrechtzuerhalten?
Die Intervention ist sehr wirksam. Sie verändert Verhalten und Haltung im Moment der Reflexion und des Erlebens miteinander in der Gruppe. Gleichzeitig gelingt es, dysfunktionale Formalstrukturen zu identifizieren. Allein das Bewusstsein bezüglich des gemeinsam erzeugten Ergebnisses bringt schon Veränderungen auf allen drei Ebenen. Es ist ein sehr wirksamer Prozess.
Was macht einen guten Workshop vor Ort aus?
Klare Ziele und Erwartungen, die vorher abgeklärt werden, sind die Grundvoraussetzung für jeden Workshop.
Bei Präsenz muss das Raumkonzept zum Design des Workshops passen. Ein heller Raum mit Fenstern, genug Platz, Rückzugsmöglichkeiten für Gruppenarbeiten, Material für Visualisierungen sowie die Möglichkeit, als Gruppe rauszugehen, sind immer ein Pluspunkt. Nach zwei Jahren Pandemie halte ich es für relevant, Teilnehmer:innen Zeit zu geben, in den sozialen Kontakt zu kommen und wieder ihre Komfort- bzw. ihre Diskomfort-Zone wahrzunehmen.
Und was kennzeichnet einen guten virtuellen Workshop?
Ein klarer Rahmen und Prinzipien zur virtuellen Zusammenarbeit. Regelmäßige Pausen und Wechsel von Formaten sind ebenfalls wichtig. Wenn möglich, keine PowerPoint und wenig den Bildschirm teilen, stattdessen einen Dialog kreieren, während alle gleichzeitig sichtbar sind, die sich am Gespräch beteiligen. Das Nutzen von Whiteboards für gemeinsame Co-Creation und Dokumentation ist auch sehr zu empfehlen.
Wie lässt man eigentlich Führungskräfte, die sehr klassisch sozialisiert sind, „New Leadership“ erleben und ausprobieren?
Am besten lässt man Führungskräfte „New Leadership“ in einem geschützten Setting erleben. Die besten Führungskräfte-Entwicklungsprogramme sind die, in denen reale (Projekt-)Teams „on the job“ begleitet werden. Idealerweise hat man einige „Offsite“-Module, in denen neue Verhaltensweisen vorgestellt und dann sehr geschützt auf die konkrete Projektarbeit bzw. das Team angewandt und ausprobiert werden: Experiment in Echtzeit, direkte Umsetzung der Theorie in die Praxis mit Echtzeit-Feedback. Wenn dies dann mit Team-Coachings im realen Arbeitsalltag kombiniert wird, hilft das sehr gut, nachhaltig Führung zu verändern.
Was ist das ultimative Buch oder Blog, wenn es um Methoden und Tools im Change geht?
Ich nutze persönlich vier Bücher immer wieder regelmäßig, um mir Anwendungsanregungen zu holen:
- „Entscheidung ohne Grund, Organisationen verstehen und beraten“ von Klaus Eidenschink und Ulrich Merkes
- Die Bücher „Sustaining Change“ und „Still Moving Field Guide“ von Deborah Rowland
- Und „New Work needs Inner Work“ von Joana Breidenbach und Bettina Rollow
Was ist eine gute Feedback-Methode am Schluss eines Workshops?
Am Ende eines Workshops sind erfahrungsgemäß alle Teilnehmer:innen froh, wenn der Abschluss nicht zu lange geht. Eine motivierende Methode, noch einmal Energie zu kreieren, bevor alle auseinandergehen, ist die folgende Frage: Mit welchem Energie-Level verlässt du den Workshop auf einer Skala von 1–5 und warum?
Autorin
Andrea Kahlenberg
brennt für die Themen Leadership und Transformationsarchitekturen sowie die Verzahnung von Strategie und Kultur. Mit ihrem Unternehmen tridot consulting GmbH begleitet sie Change und Transformationsprozesse.
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