Laut einer aktuellen Führungskräftebefragung der Wertekommission sehen viele Führungskräfte sich selbst und ihre Organisationen inzwischen gut gewappnet für kommende Herausforderungen. Insbesondere ein klarer Wertekompass hat für sie eine stabilisierende und orientierungsgebende Bedeutung. Und das Bewältigen der Krisen in der Gemeinschaft hat die Zuversicht gestärkt.
Führungskräfte stehen dieser Tage unter Dauerstrom – sei es wegen der Energiekrise, Corona oder wegen des Angriffskriegs in der Ukraine. Viele Entscheidungen sind gefragt, und keine ist einfach. Nicht wenige haben keinerlei vergleichbare Umstände erlebt und sollen doch selbst Orientierung geben. Führungskräfte leben mitten in und mit den Herausforderungen unserer Zeit. Und sie haben in den erlebten Krisen Erfahrungen und Ideen gesammelt, wie sie diese Umstände nicht nur ertragen, sondern gewinnbringend gestalten können.
Laut einer aktuellen Führungskräftebefragung der Wertekommission sehen viele Führungskräfte sich selbst und ihre Organisationen inzwischen gut gewappnet für kommende Herausforderungen. In einer Welt, die von einer Krise in die nächste taumelt, geben Führungskräfte – insbesondere solche aus größeren Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden – ihrer persönlichen Resilienz und der Resilienz ihrer Organisationen gute Noten. Dabei zeichnen sich resiliente Personen, Teams und Organisationen durch die Fähigkeit aus, Verluste, Misserfolge und Unsicherheiten nicht nur erfolgreich zu bewältigen, sondern aus ihnen gestärkt hervorzugehen. Im Vergleich zur persönlichen Widerstandskraft beurteilen die Führungskräfte die Resilienz auf Organisationsebene etwas geringer, sehen ihre Organisationen aber für schwierige Phasen durchaus gut aufgestellt.
Richtungsweisende Werte in schwierigen Zeiten
Befragt nach den Gründen für die gestärkte Resilienz war es für die Führungskräfte in bewegten Zeiten und bei Entscheidungen unter Unsicherheit besonders wichtig, nach ihrem eigenen Wertekompass zu handeln.
In der Krise wurden viele Grundüberzeugungen erschüttert, eingeschwungene Routinen und sicher geglaubte Wahrheiten waren von einem auf den anderen Tag irrelevant. Gewohnte Strukturen und Prozesse griffen nicht mehr und mussten von heute auf morgen durch neue ersetzt werden – nicht selten ohne größere Abstimmungsmöglichkeiten. Und nicht nur das. Auch neue gesetzliche Vorgaben bedurften der Interpretation und der Übersetzung in den Unternehmensalltag.
Nicht überraschend also, dass die Mehrzahl der befragten Führungskräfte die stabilisierende Bedeutung ihrer Werte in Krisenzeiten betonen und diese als Sicherheit gebend und richtungsweisend bei schwierigen Entscheidungen (75,9 Prozent) beschreiben. Dies gilt insbesondere für Führungskräfte im Top-Management, also Führungskräfte mit einer besonders großen Führungsspanne oder Verantwortung, deren Entscheidungen eine entsprechende weitreichende Wirkung hatten und wo diese Aussage die höchste Zustimmung erfährt.
Daneben spielen aus Sicht der Befragten die eigenen Gestaltungsspielräume und ein offener Umgang mit Fehlern eine stärkende Rolle in Krisenzeiten. Das ist nachvollziehbar, brauchten wir doch alle jede Menge Flexibilität, Lernbereitschaft und Großzügigkeit miteinander.
Vertrauen hat an Bedeutung gewonnen
Unmittelbare Wirkung hatte die Pandemie auf den Stellenwert der Gesundheit im Wertekanon der Befragten. Dies ist sicherlich auch im Kontext der staatlichen Interventionen zu sehen, die alle anderen Prioritäten überschrieben haben (zum Beispiel durch den mehrfachen Lockdown). Aber es ist auch verständlich aufgrund der Erfahrungen im eigenen unternehmerischen Umfeld, die vielen zeigten, wie unwichtig drängende Deadlines, der Gewinn eines Pitchs oder das Erreichen einer bestimmten Umsatzzahl waren angesichts der wuchtigen gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Auch auf der persönlichen Ebene hallen die Erfahrungen der gesundheitlichen Bedrohung nach. Mehrheitlich haben die Befragten für sich mitgenommen, dass die eigene Gesundheit sowie die des Teams wichtiger sind als Erfolge und Gewinne (73,5 Prozent).
Eine weitere wichtige Erfahrung, die die befragten Führungskräfte teilen, ist, wie sehr das gemeinsame Meistern von Krisen verbindet (72 Prozent). Für viele ist es ein stärkendes Erlebnis gewesen, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie, ihrem Team und ihrem Unternehmen in der Lage waren, die schwierige Situation zu meistern und zu sehen, wie viel Zusammenhalt und Miteinander entstehen können, wenn es darauf ankommt. Darauf lässt sich aufbauen, was wichtig ist angesichts weiterer drohender Krisen und Herausforderungen.
Nicht erst seit der Krise ist Vertrauen einer der wichtigsten Kernwerte. Aber in der Krise hat er sich besonders bewährt und noch einmal an Bedeutung gewonnen (34 Prozent der Führungskräfte messen dem Wert eine zunehmende Bedeutung bei) und ist damit Spitzenreiter der Werteskala. Nicht überraschend, wenn man sich vor Augen führt, wie vertrauensbasiert das digitale Miteinander funktionieren musste. Denn eine anwesenheitsbedingte Kontrolle war über lange Strecken gar nicht möglich. Vorgesetzte mussten darauf vertrauen, dass ihre Mitarbeitenden auch ohne Präsenz und Aufsicht dieselben Leistungen erbringen. Andersherum mussten Mitarbeitende darauf vertrauen, dass ihre Leistung und ihre Wirkung auch im Homeoffice wertgeschätzt werden. Und dass die besonderen Bedingungen (zum Beispiel Homeschooling) gesehen werden, die gegebenenfalls zu einer Leistungseinschränkung führten.
Verantwortung für Organisation und Kommunikation
Als logisches Pendant zu Vertrauen hat sich der Wert Verantwortung bewährt.
Alle mussten viel mehr Verantwortung übernehmen.
Für die Organisation ihres Arbeitsplatzes, den Ablauf des Arbeitstages, die erforderliche Kommunikation und Abstimmung mit Kollegen und Kolleginnen sowie mit Vorgesetzten. So war diese Zeit für die teilnehmenden Führungskräfte offenbar autonomiestärkend, denn beide Spitzenwerte zusammen vereinen inzwischen mehr als 60 Prozent der Gewichtung im Werteranking auf sich.
Folgerichtig zur gestärkten Autonomie zeigt sich dabei auch der Bedeutungsverlust des Wertes Respekt, der für 18 Prozent der Befragten an subjektiver Bedeutung verlor und weit abgeschlagen (17 Prozent) auf Platz 3 rangiert, gefolgt von Integrität auf Platz 4 (zwölf Prozent). Auf Platz 5 und 6 rangieren Nachhaltigkeit (sechs Prozent) und Mut (zwei Prozent), wobei die Bedeutung von Nachhaltigkeit für 45 Prozent der Führungskräfte zunimmt und damit widerspiegelt, dass dieser Aspekt sich immer häufiger in den Zielsystemen der Führungskräfte findet und vermehrt ihre Aufmerksamkeit fordert.
Der Wert Mut in der Studie steht für die Bereitschaft, Neues zuzulassen und anzunehmen sowie die Kraft zur Entscheidung und zu Veränderung. Mit lediglich zwei Prozent landet er auf dem letzten Platz des Werte-Rankings 2022, ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Gerade im Kontext der vielen – gut bewältigten –Veränderungen ist es überraschend, dass diesem Wert nach wie vor wenig Bedeutung im Führungsalltag beigemessen wird.
Eine Hypothese könnte sein, dass die Führungskräfte ihr Handeln in der Krise nicht als „mutig“ klassifizieren, weil die diesbezüglichen Entscheidungen eher reaktiv denn aktiv motiviert waren, oder weil das gefühlte Risiko durch die staatliche Abfederung nicht besonders hoch war. Eine mögliche aber sicher nicht hinreichende Erklärung. Und eine, die nachdenklich macht, ob die Krise in allen Bereichen die richtigen Signale gesetzt hat.
Solides Wirtschaften hat sich ausgezahlt
Bezogen auf ihre Organisationen sind für die befragten Mangerinnen und Manager nachhaltiges Wirtschaften und eine starke Firmenkultur des Unternehmens entscheidend gewesen, um Krisen gut zu meistern (siehe Abbildung 2). Über drei Viertel der Befragten (78,6 Prozent), insbesondere aus dem Top-Management, geben explizit an, dass sich solides Wirtschaften in der Krise ausgezahlt hat; guter Zusammenhalt sowie eine starke Kultur nennen ebenfalls die Mehrheit der Krisen-Managerinnen und Manager (76,9 Prozent) als Erfolgsfaktoren.
Allerdings werden aus den vergangenen zwei Jahren auch Lehren gezogen, welche Dinge weniger gut funktionieren. Knapp ein Fünftel der Führungskräfte sieht deutliche Nachteile durch einen dauerhaften flächendeckende Homeoffice-Einsatz. Fast ebenso viele Führungskräfte lehnen ein vollständiges Ersetzen von Dienstreisen durch Telefon- und Video-Konferenzen ab. Viele sehen durch die rein digitale Kommunikation und fehlendes gemeinsames Erleben und Arbeiten Risiken in Bezug auf die entstehende Distanz zu den Mitarbeitenden sowie anderen Stakeholdern.
Doch reichen diese drei Faktoren auch aus, um Unternehmen zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen?
Folgt man der Einschätzung der Chancen und Risiken des digitalen Wandels, die ebenfalls in der Studie abgefragt wurden, zeigt sich ein optimistisches, wenn auch differenziertes Bild. Je nachdem, ob es sich um die Gesellschaft oder den Wirtschaftsstandort bzw. die Arbeitswelt in Deutschland handelt oder ob es um das eigene Unternehmen, den eigenen Wirkungskreis als Führungskraft oder als Privatperson geht.
Das eigene Unternehmen als Vorreiter der Digitalisierung
So sehen mehr als drei Viertel der befragten Führungskräfte den digitalen Wandel als Chance für Deutschland, seine Wirtschaft und für sich persönlich. Interessanterweise zeigt sich hier jedoch im zweiten Jahr in Folge ein Negativtrend, das heißt 2020 waren die Befragten diesbezüglich noch optimistischer.
Wenn es um die Führungskräfte selbst und ihren eigenen Wirkungskreis geht, zeigt sich ein gesundes Selbstbewusstsein der Führungsmannschaft. Die Mehrheit sieht ihre eigene Branche (53 Prozent) und ihr Unternehmen (64 Prozent) als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Um diese interessante Einschätzung ins richtige Licht zu rücken, sei hier erwähnt, dass die Studie eine Vielzahl von Branchen umfasste und so keine Rede davon sein kann, dass bestimmte Branchen das Meinungsbild dominieren. Vielmehr ist festzuhalten, dass die Bereiche, in denen der eigene Einfluss geltend gemacht werden kann, gefühlt offenbar besser abschneiden als allgemeine Bereiche wie Gesellschaft oder Wirtschaft.
Dies wird noch deutlicher, wenn es um den persönlichen Wirkungskreis der Befragten geht. Hier sieht sich die deutliche Mehrheit der Führungskräfte (mehr als 70 Prozent) von ihrer eigenen Vorreiterrolle überzeugt.
Sicher durch die (nächste) Krise
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen hat also eine stärkende und verbindende Wirkung und die Führungskräfte leiten daraus die Erwartung ab, für die Zukunft krisensicherer zu sein. Sicherlich eine nützliche Haltung, um den kommenden Herausforderungen zu begegnen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die erfolgreiche Bewältigung der vergangenen Krise tatsächlich garantiert, dass wir die nächste ebenfalls souverän bewältigen und ob es dieselben Qualitäten braucht, wie in den vergangenen Krisen. Gerade die geringe Bedeutung von Mut im Wertekontext dürfte an dieser Stelle noch einmal kritisch betrachtet werden.
Mut als der Nährboden für Innovation, als Innovationstreiber schlechthin und damit wichtiger Treiber der Digitalisierung scheint es in der Unternehmenswelt schwer zu haben. Es ist umso bedenklicher mit Blick auf unsere Zukunftsfähigkeit. Denn nur mit mutigen und kreativen Herangehensweisen können Change-Prozesse und Transformationen in Unternehmen gelingen.
Die Dynamik unserer VUCA-Welt, in der wir leben, legt nahe, dass wir nicht darauf warten können, dass andere das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Es kommt auf jeden einzelnen an, wir müssen selbst handeln. Möglicherweise sind es auch Umstände wie diese, die uns wachsen lassen, unsere Perspektiven und Fähigkeiten erweitern und neue Chancen bieten.
Autorinnen
Julia Weiss gründete 2014 ihr eigenes Coaching- und Beratungsunternehmen. Sie ist auch Partnerin bei Leadership Choices, einem Anbieter im Bereich Executive Development. Zudem ist sie Moderatorin, Dozentin und Speakerin zu Führungsthemen und zur Entwicklung von Vertriebsorganisationen. Julia Weiss ist ebenfalls Vorstandsmitglied der Wertekommission e.V., die sich für wertebasierte Führung einsetzt.
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Anke Gillmann ist Führungskraft in der Finanz- und Immobilienbranche mit Leidenschaft für Menschen und Organisationsentwicklung. Als agiler Coach unterstützt sie außerdem bei der Transformation zu neuen Strategien sowie Führungs-, Verhaltens- und Arbeitsweisen. Sie hatte bereits unterschiedliche Führungspositionen inne und verfügt über zwölf Jahre Erfahrung in der Projektleitung sowie im Führen von Teams.
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