Schlagwortarchiv für: Ausgabe 05/2022

Viele Unternehmen befinden sich im Wandel. Das gilt auch für die Art, wie gearbeitet wird. Wie kann man trotz der Dynamik der Veränderungen die Unterstützung der Mitarbeitenden bekommen, sie vielleicht sogar begeistern für die Arbeitswelt von morgen und für die strategische Transformation? Viel lässt sich dabei vom Marketing lernen. Transformationsmarketing wird mehr und mehr zum Erfolgsfaktor im Change.

Der Veränderungsdruck auf Unternehmen ist hoch und wird weiter zunehmen. Entsprechend groß ist das Interesse an Change-Methoden, entsprechend umtriebig werden Change-Initiativen implementiert. Leider bleiben die meisten Initiativen nur Initiativen. Die Erfolgsquoten der hiesigen Unternehmen entsprechen nicht ihren Ambitionen. Diverse Studien unterschiedlicher Institutionen teilen diese Einschätzung.

Ob die anvisierten strategischen Transformationen der Unternehmen gelingen, entscheidet sich maßgeblich an ihrer kleinsten Einheit: dem Mitarbeitenden. Eine entscheidende Ursache für das Scheitern ist nach Aussage von Betroffenen häufig die fehlende oder zu späte Kommunikation mit der Belegschaft. Nur wenn Zielsetzung, Chancen und Rahmenbedingungen von Beginn an transparent gemacht werden, können Mitarbeitende für Veränderung gewonnen werden.

Die Veränderungsresistenz ist in allen Organisationen hoch. Sie kann nur durch Überzeugungsarbeit und Partizipation überwunden werden. Veränderungen dürfen weder „par ordre du mufti“ angeordnet noch sollte das Verständnis hinsichtlich der Zielsetzungen und Chancen vorausgesetzt werden. Im Gegenteil: Unternehmenslenker und -lenkerinnen sowie andere Führungskräfte sind gut beraten, Change-Initiativen wirksamer und wertschätzender zu „bewerben“. Kurzum, wir müssen „Mindset, Urgency & Thrive“ vermitteln: MUT.

Transformationsmarketing: Change-Initiativen und Transformationsziele vermarkten

Neben der inhaltlichen und qualitativen Optimierung der Kommunikation ist Quantität ein Erfolgsfaktor: Es geht darum, möglichst viele Menschen bzw. Teilnehmende der Zielgruppe zu erreichen. Unternehmen benötigen folglich effektive und skalierbare Formate. Auf diesen Überlegungen aufbauend, möchte ich einen Begriff einführen: Transformationsmarketing.

Prinzipiell geht es im Marketing darum, die Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens am Markt zu etablieren und diese zu vermarkten, bum so den Umsatz und den Gewinn zu erhöhen. Abgewandelt auf das „Transformationsmarketing“ könnte das so klingen:

Prinzipiell geht es im Transformationsmarketing darum, die Transformationsziele und Change-Initiativen eines Unternehmens in der Belegschaft zu etablieren und sie zu vermarkten, um so die Unterstützung und das Engagement zu erhöhen.

Nachfolgend beschreibe ich sechs Faktoren, die bei Change-Vorhaben besonders wichtig sind, damit das gelingen kann.

1. Das Warum und der Nutzen

Veränderung bedeutet immer auch Kraftanstrengung, Aufwand und Risiko. Menschen wollen daher verstehen, warum das notwendig ist und wofür es sich lohnt: „What’s in for me?“ Der Purpose – der Sinn und Zweck des Schaffens – ist im Kontext der Transformation wichtiger denn je. Wird bei der Kommunikation nur die halbe Wahrheit vermittelt, aus Angst, die „Mannschaft“ zu überfordern oder zu verschrecken, füllen Teams die inhaltlichen wie kausalen Lücken mit eigenen Vermutungen, Interpretationen und Spekulationen. Das kann zu unerwünschten kontraproduktiven Effekten führen. Um das zu verhindern, ist ein in sich rundes Gesamtbild darzustellen.

2. Orchestrierung der Kommunikation

Die interne Veränderungskommunikation bedarf einer gewissen Orchestrierung. Persönliche Ansprachen durch die Führungskräfte müssen mit den zentralen Initiativen der Kommunikationsabteilung verzahnt werden, um einheitliche und glaubwürdigen Botschaften über alle Kanäle zu senden. Zudem sollte das Timing koordiniert werden. Methoden und Werkzeuge wie eine Kommunikationsmatrix mit einer Differenzierung in Kategorien wie Reichweite, Stakeholder, emotionaler Erlebniswert, Sachinformation können dabei unterstützen.

Eine zentral gesteuerte Kommunikation sollte unbedingt begleitend, aber niemals als Ersatz für die Kommunikation und den direkten Austausch mit den Führungskräften eingesetzt werden. Ebenso wenig sollte die Kommunikation von oben eine Einbahnstraße darstellen, sondern bidirektionale Formate anbieten. Der persönliche Austausch zwischen Führung und Mannschaft stärkt das Vertrauen und kann mögliche Ängste abbauen.

3. Intensive und vielfältige Kommunikation

Kommunikation zu Veränderungsprojekten bedarf der Wiederholung. Wir wissen aus der Kommunikationsforschung, dass eine Botschaft erst nach sechs bis acht Wiederholungen tatsächlich empfangen und verarbeitet wird. Dazu kommt der sogenannte Bestätigungsfehler: Menschen nehmen Informationen sehr selektiv auf und verstärken Inhalte, die bestehende Glaubensätze bestätigen. Das Hervorheben und das Wiederholen der neuen Denkmuster unterstützen das Durchbrechen der Bestätigungsfehler.

Der Einsatz unterschiedlicher Formate und Kanäle (Multi-Channel) steigert die Effektivität, da mehr Mitarbeitende erreicht werden und mediale Abwechslung entsteht. Aber auch hier gilt Augenmaß, um eine Reizüberflutung zu vermeiden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass zu viel unterschiedliche Maßnahmen zu einer Übermüdung und zu inflationären Abnutzungserscheinungen führen. Hier gilt es, den Fokus zu wahren: Lieber eine wichtige Maßnahme in die Umsetzung bringen als nur viele parallele Vorhaben anzugehen.

Verstand und Herz der Zielgruppen erreichen

4. Emotionen wecken und Geschichten erzählen

Das Narrativ von Change-Programmen wird zu oft von den Controllern bestimmt. Die Notwendigkeit zur Veränderung wird dann mit Zahlen, EBIT-Margen, KPIs und Überleitungsschaukeln erklärt. Das holt die Menschen nicht ab. Das Change Management der Vergangenheit drehte sich häufig um Optimierung, Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Damit verbunden sind nicht selten Verlustängste und die Sorge um den Arbeitsplatz.

Spätestens seit Daniel Kahnemans Weltbestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ kennen wir die zwei Systeme unseres Gehirns. Fast alle Entscheidungen und Glaubensmuster werden vom schnellen, instinktiven Denken (System 1) gebildet, das sich unserem bewussten Denken entzieht und stattdessen von der Umwelt und den emotionalen Eindrücken leiten lässt. Um Menschen zu erreichen, müssen wir Emotionen auslösen. Neben rationalen Argumenten müssen wir wieder Geschichten erzählen. Wir müssen Verstand und Herz erreichen.

An dieser Stelle bedeutet effektive Kommunikation auch Übersetzungsarbeit: Wenn Zusammenhänge immer komplexer werden, hilft die Überführung in Bildsprache und Analogien, um im Kontext der Reizüberflutung und latenten Überforderung niederschwellige Angebote zu schaffen.

Die Eintrittsbarrieren für die angebotenen Informationskanäle müssen niedrig sein. Damit sich Mitarbeitende auf die neuen Inhalte und Zusammenhänge einlassen und sich für neue Ideen interessieren. Veränderungskommunikation darf weder anstrengend noch zeitintensiv sein.

Es geht dabei auch um eine Inszenierung und um Storytelling.

Dabei können wir uns von anderen Anwendungsfällen und Beispielen inspirieren lassen. Denken wir an die Produktvorstellung des iPhones durch Steve Jobs im Jahre 2007 – ein Meilenstein der Produkt-Kommunikation. Hier wurden nicht die Zahlen, Daten, Fakten des neuen Geräts aufgezählt, sondern eine Geschichte erzählt, Spannung
aufgebaut, Überraschungsmomente gebildet – kurzum, es wurde inszeniert. Warum übertragen wir diese wirkungsvollen Muster nicht konsequenter auf die Change-Kommunikation?

5. Auf Chancen fokussieren und Begeisterung freisetzen

Um Mitarbeitende zu aktivieren, arbeitet die Unternehmenskommunikation gern mit Angst: „Wir müssen uns verändern, sonst fallen Tausende Arbeitsplätze weg.“ Change-Forschung verrät, dass extremer Druck und Angst den sogenannten „Survive-Modus“ aktiviert, ein angeborenes Reaktionsprogramm des Menschen. Dieser ist evolutionsbedingt auf kurzfristiges Überleben ausgerichtet. Das Problem: Der Survive-Modus engt den Blick ein. Innovationen werden dann als Ablenkung oder gar Bedrohung empfunden. Also, alles Verhaltensweisen,
die Wandel im Wege stehen.

Dringlichkeit („Urgency“) zu wecken, um Mitarbeitende zu mobilisieren, ist nachvollziehbar. Der Survive-Modus darf aber nicht überhitzen. Stattdessen sollte der „Thrive-Modus“ angesprochen werden. Dieser ist auf Chancen ausgerichtet. Ist eine Gelegenheit erkannt, setzten Begeisterung und Freude ein, Neugierde steigert sich. Freigesetzte Energie ist längerfristig abrufbar, im Gegensatz zur punktuellen Energiebereitstellung der Survive-Reaktion.

6. Mit den „Early Adoptern“ beginnen

Jedes Marketing braucht eine Zielgruppen-Ausrichtung, so auch das Transformationsmarketing. In der Initialphase sollten die sogenannten Innovatoren und Early Adopter aktiviert werden, die im Durchschnitt rund 15 Prozent der Mitarbeitenden ausmachen. Diese Gruppe ist eher bereit, Risiken und Anstrengungen in Kauf zu nehmen, um Innovationen zum Leben zu erwecken. Eine Eigenschaft der Early Adopter macht man sich dabei zunutze: Sie wollen die Ersten sein. Der Rest der Belegschaft – die sogenannte frühe und späte Mehrheit und die Nachzügler – werden vom Enthusiasmus der Vorreiter und Vorreiterinnen angesteckt. Zudem braucht die Gruppe der Mehrheit und Nachzügler die Gewissheit, dass die Neuerungen bereits von anderen verprobt wurden.

Auch die Ansprache erfolgt gemäß Zielgruppe: Wir projizieren unsere Weltanschauung in der Regel auf andere und gehen davon aus, alle sehen die Welt genauso wie wir. Das ist natürlich ein Trugschluss. Zwischen dem Top-Management und der sogenannten Arbeitsebene liegen oft Welten. Wenn Kommunikation nicht die Wahrnehmung und Realität der Zielgruppe reflektiert, ist sie unwirksam. Oft beinhaltet die Kommunikation, was die Unternehmensleitung für wichtig erachtet und ignoriert die Realität der Belegschaft.

Der Einstieg in das Transformationsmarketing erfolgt nach fundierter Analyse der Ausgangslage.

Eine Mitarbeiterabfrage kann eine Standortbestimmung, zum Beispiel per Selbsttest auf Basis der Likert-Skala, unterstützen. Die initiale Standortbestimmung dient als Selbstreflexion, Sensibilisierung und der Ableitung von konkreten Handlungsfeldern.

Unternehmen müssen Arbeitsweisen verändern

Exponentieller Fortschritt und disruptiver Wettbewerb aus dem Tech-Umfeld treiben die hiesigen Konzerne an, ihre traditionellen Arbeitsweisen zu verändern. Um auf die steigende Dynamik der Marktanforderungen und Rahmenbedingungen zu reagieren, müssen bestimmte Unternehmensbereiche mehr Flexibilität, Geschwindigkeit und Innovationskraft entwickeln. Das geschieht nicht auf Zuruf, sondern wird durch Anpassungen der Organisationsform, der Arbeitsweise und Unternehmenskultur ermöglicht. Weitere Trends wie hybride Zusammenarbeit, New Work und Digitalisierung der Arbeitsumgebung treiben Veränderungseffekte zusätzlich an.

Dieser Wandel gelingt jedoch nicht gegen die Mitarbeitenden. Es braucht deren Unterstützung. Dafür muss man den Menschen die Angst vor der Zukunft nehmen und sie vielleicht sogar für sie begeistern. Die Anforderungen an die Change-Begleitung und an das Transformationsmarketing sind damit riesig.

Neben den bekannten Formaten wie Film und Keynote brauchen wir frische und effektive Ansätze. An dieser Stelle möchte ich ein „Speed-Dating mit der Arbeit von morgen“ ins Spiel bringen. Dabei handelt es sich um einen Inhouse-Workshop mit unterschiedlichen Stationen („Dates“). Jedes „Date“ steht je nach Bedarf und Zielsetzung für ein eigenes Thema, wie zum Beispiel Disruption, Ambidextrie, Future Skills oder agile Methoden. An jeder Station wird ein Mix aus Information, Emotionalisierung und Interaktion angeboten: beispielsweise ein kurzer Impulsvortrag, eine kurzweilige Aufgabe und anschließende Q&A oder Diskussionsrunde.

Das Transformationsvorhaben erlebbar machen

Durch das Format des „Speed-Datings“, in dem kurzweilig und interaktiv verschiedene Themen-Cluster eingeführt werden, kann in kurzer Zeit eine Art „Grundbefähigung“ stattfinden. Es wird ein Grundverständnis hinsichtlich der Begriffe, Zusammenhänge und Chancen vermittelt. Im Sinne eines Event-Brandings eröffnet der Begriff und das Konzept des „Speed-Datings“ interessante Anknüpfpunkte für die interne Vermarktung.

Sobald ein Grundverständnis und ein erstes Interesse gesät sind, können die Ideen und Konzepte der jeweiligen Transformationsvorhaben erlebbar gemacht werden.

Stellen wir uns ein Rollenspiel im Seminarformat vor, in dem ein Team eine Aufgabe in zwei verschiedenen Modi durchläuft. Dabei kann es sich beispielsweise um ein „traditionelles Wasserfallmodell versus agile Arbeitsweise“ handeln. Die Spielregeln, Prozessschritte und die einzelnen Rollendefinitionen verändern sich entsprechend des jeweiligen Modus. Die Unterschiede sowie Vor- und Nachteile der einzelnen Arbeitsweisen werden so unmittelbar erlebbar. Der Lerneffekt ist dadurch signifikant höher.

An einzelne Zahlen und Daten wird sich die oder der Einzelne nicht erinnern, wohl aber an das Rollenspiel inklusive der Erlebnisse, Erfahrungen und „Aha“-Momente.

 

 

Dialog auf Augenhöhe und wertschätzend

Der Begriff Transformationsmarketing und die Empfehlung effektiver Methoden sollen nicht den Eindruck erwecken, es gehe um das kommunikativ perfektionierte Durchdrücken von Top-Management-Zielen. Es geht weder ums „Überreden“ noch um eine Form von „Unternehmens-Propaganda“, sondern ums Überzeugen: wertschätzend, kritikfähig, auf Augenhöhe.

Veränderungen werden in erster Linie von Menschen für Menschen gemacht.

Der Dialog zwischen Führung und Belegschaft inklusive der Einbindung der „Mannschaft“ in die Ausgestaltung der Change-Initiativen sind essenziell.

Die geringen Erfolgsquoten der Change-Initiativen können uns nicht zufriedenstellen. Wir brauchen mehr Überzeugungskraft, mehr Begeisterungsfähigkeit, mehr Wertschätzung sowie Partizipation der Mitarbeitenden. Wenn wir eines gelernt haben, dann dass „Change Journeys“ mehr als neue Segel brauchen, nötig ist, das Fernweh der Crew zu entfachen.

 

 

Autor

Christian Schwedler
ist Stratege bei der BMW Group sowie freiberuflicher Experte und Speaker für Change. Sein Sachbuch „Speed-Dating mit der Arbeit von morgen“ erreichte kurz nach Erscheinen Platz eins der Amazon-Bestseller-Liste in der Kategorie Wirtschaft und Arbeitsrecht (www.christianschwedler.com).
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Der Wandel in Organisationen nimmt durch die gesellschaftliche Entwicklung zu. Darauf haben Graswurzelinitiativen eine starke Wirkung. Sabine Kluge und Alexander Kluge über „Wandel in Organisationen durch Graswurzelinitiativen“.

Der Wirtschaftspsychologe Carsten C. Schermuly hat seine Vision einer besseren Arbeitswelt veröffentlicht. Er nennt sie eine „New-Work-Utopie“. Im Interview spricht er über sein Verständnis von New Work, warum es mehr ist als hybride Arbeit und weshalb psychologisches Empowerment eine zentrale Rolle spielen sollte.

Herr Prof. Schermuly, was ist für Sie in einem Satz „New Work“?

Für mich persönlich sind New Work Maßnahmen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern – das heißt, das Erleben von Kompetenz, Sinn, Selbstbestimmung und Einfluss am Arbeitsplatz.

Ist „New Work“ nicht auch ein diffuser Sehnsuchtsbegriff, die Sehnsucht nach einer besseren Welt, unter der jeder etwas anderes versteht?

Es ist noch schlimmer. Es ist ein Container-Begriff, in den viele hineinwerfen, was sie wollen und auch herausholen, was sie möchten. Der New-Work-Begriff wird derzeit brutal mikropolitisch instrumentalisiert.

Wenn die Geschäftsführung die Bürofläche um 20 Prozent reduzieren möchte, dann sind Open-Space-Büros auf einmal New Work. Wenn ein Coach Achtsamkeitskurse verkaufen möchte, dann wird das als New Work postuliert. Und natürlich wird Agilität oder Holokratie in die New-Work-Walhalla aufgenommen, wenn ein Beratungsunternehmen darauf spezialisiert ist.

Sie haben vom „Empowerment der Mitarbeitenden“ gesprochen. Das bedeutet für mich, es muss jemand geben, der einen anderen „befähigt“. Es klingt nach mehr Freiraum in einer hierarchischen Organisation. Kommt man mit dem Begriff „Empowerment“ auch in selbstorganisierten, agilen Organisationen weiter?

Man kommt damit nicht nur weiter, sondern es ist sogar zwingend notwendig, sich damit zu beschäftigen. Denn es reicht nicht, nur die Strukturen zu empowern, sondern man muss ebenfalls die Menschen, die in diesen selbstorganisierten Strukturen arbeiten müssen, empowern. Zudem ist der psychologische Empowerment-Ansatz breiter.

In selbstorganisierten Organisationen wird der Schwerpunkt auf die Autonomie gelegt, aber das ist viel zu wenig. Menschen müssen sich am Arbeitsplatz zusätzlich kompetent erleben, vor allem auch im Umgang mit der Autonomie. Und das Erleben von Sinn und Einfluss bzw. Macht sind enorm wichtig. Es hilft wenig, viel Autonomie bei einer sinnlosen Tätigkeit zu haben.

Warum ist psychologisches Empowerment Ihrer Meinung nach grundsätzlich so wichtig heutzutage in der Arbeitswelt – für den Einzelnen, aber auch für die Unternehmen?

Weil die nationale und internationale Forschung zeigt, dass das psychologische Empowerment sehr viele positive Konsequenzen hat. Es hat positive Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und die Bindung an das Unternehmen. Die Mitarbeitenden handeln proaktiver, innovativer und sind leistungsfähiger. Dazu kommt, dass die emotionale Erschöpfung, der Stress und sogar die Depressionsneigung gesenkt werden können. In einer Studie konnten wir zeigen, dass psychologisches Empowerment sogar dazu führt, dass Mitarbeitende erst später in Rente gehen.

Vier Dimensionen hat das psychologische Empowerment: Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz. Welche Dimension ist der größte Hebel?

Die vier Dimensionen sind gleichberechtigte Säulen des Gefühls von Empowerment. Fehlt eine, reduziert sich das Gefühl signifikant.

Gemäß Ihrer New-Work-Definition: Wie weit sind die Unternehmen in Deutschland „auf dem Weg zu New Work“?

Ich bin überrascht, wie viele kleine, aber auch große Unternehmen sich mittlerweile mit dem Empowerment-Ansatz beschäftigen. Attraktiv scheint zu sein, dass psychologisches Empowerment messbar ist. Man kann also vor der Etablierung von New-Work-Initiativen messen, wie stark das psychologische Empowerment bei verschiedenen Gruppen im Unternehmen ausgeprägt ist und dann gezielt Maßnahmen einsetzen, um das Erleben von Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss oder Kompetenz zu fördern.

Kann man sagen, dass erst Corona dem neuen Arbeiten einen echten Schub gegeben hat?

Ja und nein. Es hat vor allem dem Thema Homeoffice einen Schub gegeben. Wenn ich New Work als Möglichkeit zur hybrider Arbeit verstehe, dann ja. Aber das ist nicht mein Verständnis.

Aber kann man vielleicht sagen, dass die Möglichkeit zum Homeoffice ein wichtiges Symbol in Bezug auf ein selbstbestimmtes Arbeiten ist?

Es ist viel zu oft ein Pflaster auf dem Holzbein. In dem Sinne: „Schaut her, ihr dürft jetzt Homeoffice machen, jetzt ist aber mal gut mit dem New-Work-Gedöns.“ Hybride Arbeit allein wird die Herausforderungen der VUCA-Welt nicht lösen. New Work muss mehr als Homeoffice sein. Das werden viele Unternehmen bald spüren.

Das erste Axiom, das erste Arbeitsprinzip der entworfenen New-Work-Organisation in Ihrem Buch „New Work Utopia“ lautet: „New Work dient dem Unternehmen und nicht das Unternehmen New Work“. Wie ist das gemeint?

New Work wird im Unternehmen Stärkande, anhand dessen ich in meinem Buch die New Work Utopia schildere, nicht so praktiziert, dass sie einem Trend oder einer Ideologie entspricht. Neue Arbeit wird so gestaltet, dass sie zum wirtschaftlichen Erfolg von Stärkande beiträgt und den Mitarbeitenden ein gutes Leben und psychologisches Empowerment ermöglicht. Und die Arbeitsorganisation stellt der Arbeit kein Bein.

In manchen Organisationen ist Zusammenarbeit durch New Work so komplex geworden, dass wenig Zeit für die Produktion und die Produktentwicklung übrigbleibt. Das System überfordert das System und die Menschen.

Nicht so bei Stärkande. Hier müssen der Arbeitsalltag und das soziale System verständlich sein. Deswegen gilt bei dem Unternehmen folgende Regel: Kann ein New-Work-Element einem neuen Mitarbeitenden nicht innerhalb kurzer Zeit so erklärt werden, dass er oder sie es versteht, dann muss es überarbeitet oder verworfen werden.

Die Mitarbeitenden sollen durch New Work entlastet und nicht belastet werden.

Was würden Sie empfehlen, was man als Unternehmenslenkerin für erste Schritte gehen sollte, um ernst zu machen mit New Work? Eine Wertediskussion führen? Den Ist-Zustand analysieren? Eine Mitarbeiterbefragung machen? Oder mal im Kleinen ein kleines Team komplett agil arbeiten lassen?

Ich präferiere hier sehr einen diagnostischen Ansatz. Bevor operiert wird, lasse ich mich ja auch erst einmal untersuchen. Bevor ich mit New-Work-Maßnahmen am Arbeitsleben von Menschen und dem Erfolg des Unternehmens „herumdoktere“, ist Organisationsdiagnostik notwendig. Wir wissen aus der Expertise-Forschung, dass Amateure erst mal anfangen und dann schnell scheitern. Expertinnen und Experten verschaffen sich zuerst einen Überblick.

Lesetipp

Carsten C. Schermuly (2022):
New Work Utopia: Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt, Haufe

Anhand des fiktiven Unternehmens „Stärkande“, das über 1000 Mitarbeitende hat, beschreibt Carsten C. Schermuly seine Vision hinsichtlich einer besseren Arbeitswelt und wie New Work gelebt werden kann. Dabei fokussiert er auf unterschiedliche Themenbereiche wie beispielsweise Leadership on demand, New-Work-Kultur und New Pay. Das Buch ist ein „Best of“ der New-Work-Organisationsentwicklung.

 

Ein anderes Axiom in Ihrem Buch lautet „Leadership on demand – zweckmäßiger statt zwanghafter Einsatz von Führung“. Und Sie schreiben dazu: „… Auch weil Führungskräfte teuer sind, sollten sie nur dann eingesetzt werden, wenn sie tatsächlich nützlich sind“. Ist Führung nicht ohnehin etwas, dass die Geführten dem Führenden zusprechen müssen? Führung heißt immer „Führungsbeziehung“.

Das würde ich so unterschreiben. Bei Stärkande werden die Kreise dann geführt, wenn sie Führung brauchen. Das kann immer sein. Das kann in einer Phase sein. Und manche Kreise – vor allem die kleinen mit zwei, drei oder vier Personen – kommen auch gut allein zurecht.

Es ist doch wirklich Wahnsinn, dass in Deutschland fast jedes Team eine Führungskraft vorgesetzt bekommt. Das ist wie beim Militär. Was für eine Verschwendung von Ressourcen!

Vieles Ihrer „New-Work-Utopie“ wird von manchen Unternehmen heute schon gelebt. Andere wiederum sind sehr weit davon entfernt. Was denken Sie, wie die Entwicklung in den kommenden Jahren weitergehen wird?

Bei Stärkande werden viele bekannte, aber auch vollkommen neue New-Work-Maßnahmen eingesetzt. Das Spannende ist, wie die Stärkanderinnen zu diesen Maßnahmen gekommen sind und wie sie diese miteinander kombinieren. Das war ein organischer Prozess, der 20 Jahre gedauert hat und weiter fortgesetzt wird. Change ist immer!

Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber ich erwarte, dass sich im Bereich der wissensintensiven Industrien manche Unternehmen auf eine kontinuierliche Reise in den Bereichen New Work und Digitalisierung begeben werden. Sie werden immer wieder an schwierige und schmerzhafte Punkte kommen, aber diese bewältigen. Sie werden eine künstliche Intelligenz schaffen, die den Mitarbeitenden Zeit für Kooperation und Kreativität ermöglicht. Andere Unternehmen hören nach der Betriebsvereinbarung zum Thema Homeoffice auf und werden weiterhin googeln.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher

 

 

Autor

Carsten C. Schermuly
ist Professor für Wirtschaftspsychologie und Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Berlin University of Applied Sciences. Darüber hinaus ist er an der SRH geschäftsführender Direktor des „Institutes for New Work and Coaching (INWOC)“. Er forscht vor allem zu diesen beiden Themenbereichen. 2021 wurde er vom Personalmagazin als einer der 40 führenden HR-Köpfe gekürt. Carsten C. Schermuly hat zahlreiche Artikel und Bücher veröffentlicht, unter anderem „Erfolgreiches Business Coaching“ und „New Work – Gute Arbeit gestalten“.
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Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Experten und Expertinnen auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir den Organisationsberater Tillmann Seidel.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Ja und nein. Tools und Methoden sind wichtig, und richtig eingesetzt, auch sehr wirkmächtig. Aber zu glauben, es brauche nur das richtige Tool und dann würde es mit der Veränderung schon klappen, ist natürlich gefährlich.

Ganz grundlegend braucht es für echte, nachhaltige Veränderung erst einmal den wirklichen Willen zum Wandel und Veränderungsdruck, also einen richtig guten Grund für Veränderung.

Ohne eine grundlegende Veränderungsmotivation funktionieren die besten Tools nicht. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine Art Methoden-Blaming aufkommt, wenn es nicht funktioniert: Ich schiebe die Verantwortung von mir weg und attribuiere sie einer Methode. Das ist ja auch schön einfach.

Sind die Grundlagen allerdings da, dann geht doch nichts über ein gutes, spezifisches Werkzeug, das dabei hilft, Dinge in Gang zu bringen oder umzusetzen.

Was denken Sie, warum Kundenunternehmen von Beratungen so gerne konkrete Methoden präsentiert bekommen?

Das hat in meinen Augen verschiedene Gründe. Zum einen beinhalten viele Methoden eine Art Heilsversprechen: „Mache dies, und du bist agil.“ Das bedient natürlich genau das, was ich gerade angesprochen habe. Es suggeriert, ich müsse mich selbst nicht wirklich bewegen, um etwas zu verändern. Ich könne das einer Methode oder einem Tool überlassen.

Zum anderen bedienen sie etwas, das wirklich wichtig ist: Sie geben Sicherheit, auch weil immer ein gewisses Komplexitäts-Reduktionsversprechen mitschwingt. Komplexe Veränderungen erfordern ein hohes Maß an Ambiguitätstoleranz, weil sie auf allen Ebenen immer mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden sind. Also, sowohl auf der Makroebene mit Fragen wie „Was heißt das für die
Organisation als Ganzes?“, „Ist es die richtige Entscheidung, die wir hier treffen?“ als auch auf der Mikroebene mit Fragen wie „Was bedeutet diese Veränderung für meinen Arbeitsalltag?“, „Welche Auswirkungen hat diese spezifische Maßnahme?“, „Ist sie die richtige?“

Konkrete Tools, Methoden und Frameworks geben einen Rahmen vor, der als psychologischer Anker Halt und Sicherheit gibt. Wir brauchen eine gewisse Teilstabilität in der Instabilität. Diese ermöglicht, zu erkennen, ob das, was man da macht, von Erfolg gekrönt ist.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Organisationsentwicklung kennen. Wann hatten Sie diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Eines meiner stärksten Aha-Erlebnisse überhaupt ist schon ein Weilchen her. Das war der Moment, in dem ich verstand, dass man die wissenschaftliche Methode ganz generell auch auf Organisationsentwicklung anwenden kann und sollte. Also nicht bloß, um zu forschen und grundlegende Erkenntnisse zu sammeln. Sondern auch, um ganz konkret und operativ Organisationen zu entwickeln. Also: Hypothesen bilden und schauen, wie man diese überprüfen kann, anfangen, diese zu operationalisieren und dann evidenzbasiert zu evaluieren.

Und bei der Anwendung welcher Methode waren Sie zuletzt besonders wirksam?

Ich habe neulich in einem Team den FAT, den „Fragebogen zur Arbeit im Team“ angewandt. Das ist ein einfaches, diagnostisches Tool, das verschiedene Dimensionen der Zusammenarbeit in einem Team abfragt und die gegebenenfalls unterschiedlichen Wahrnehmungen der einzelnen Teammitglieder transparent und besprechbar macht. Allein diese Transparenz zu haben, hat dem Team unglaublich geholfen, an den richtigen Stellschrauben zu drehen bzw. (wieder) in die Kommunikation miteinander zu kommen.

Mit welchem Format kann man für Menschen in klassischen Organisationen eigentlich agiles Arbeiten erlebbar machen?

Das kommt immer ein bisschen darauf an, welcher Aspekt erfahrbar werden soll. Ein ganz grundsätzliches Spiel, das mit Reflexion und allem Drum und Dran 45 bis 60 Minuten dauert, ist der Taschenrechner. Hier erfährt eine Gruppe in kurzer Zeit, was es heißt, iterativ zu arbeiten, sich selbst zu organisieren, sich selbst Ziele zu setzen, Retrospektiven durchzuführen und mit Timeboxing zu arbeiten.

Wenn hingegen Themen wie „flussbasierendes Arbeiten“, WIP(Work in Progress)-Limits und dergleichen bearbeitet werden, geht nichts über das Schiffchenspiel von Klaus Leopold.

Was ist das ultimative Buch oder Blog, wenn es um Methoden und Tools im Change geht?

Es gibt meiner Meinung nach nicht „das“ ultimative Buch. Ein guter Anfang ist „Veränderung im Sinn“. Meine Kolleg:innen Esther Römer und Jan Sievers haben dieses Buch kürzlich veröffentlicht. Es ist in Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden der „Agile HR Conference 2021“ und Studierenden der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft entstanden. Es bietet eine Sammlung von „Work Hacks“, minimalen Interventionen sowie Tools und Methoden, mit denen die Konferenzteilnehmenden sehr gute Erfahrungen gemacht haben.

Auf was können Sie in Workshops nicht verzichten?

Das Commitment der Gruppe zu Beginn, dass wir alle gemeinsam für den Erfolg des Workshops verantwortlich sind, ist unabdingbar.

Und ansonsten die ELMO-Karte: „ELMO“ steht für „Enough, let’s move on“. Wenn eine Person im Workshop das Gefühl hat, die Diskussion geht zu weit oder wird zu detailliert, kann sie diese Karte ziehen. Oft haben wir eine Barriere, ehrlich zu sagen, wenn wir gerade aussteigen, weil wir nicht unhöflich sein wollen. Die Karte bzw. die klare Regel, dass es erlaubt ist, sich in solchen Fällen bemerkbar zu machen, erleichtert das. Dann wird kurz per Daumen abgestimmt, ob wir die Diskussion weiterführen wollen oder nicht. Das ist ein winzig kleines Tool, das die Gruppe unglaublich befähigt, selbstorganisiert zu agieren.

Und was ist wohl die wichtigste Kompetenz eines Workshop-Moderators bzw. einer Workshop-Moderatorin?

Die Stärke und Konsequenz, einen Plan – auch zeitlich – durchzuziehen. Also, den Kurs zu halten und eventuell konsequent zu sagen, wenn es reicht. Dazu die Flexibilität, den Plan gegebenenfalls über den Haufen zu werfen, wenn die Gruppe oder die Sache etwas anderes braucht. Und man benötigt die Empathie, zu erkennen, wann was von beidem angebracht ist.

 

 

Autor

Tillmann Seidel
ist als „Portfolio Owner Transformation“ eine der gewählten Führungskräfte bei der Beratung HR Pioneers und begleitet Organisationen bei ihrer agilen Transformation.
»Tillmann bei LinkedIn

Ihnen hat das Format „Tools und Methoden im Change“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „Mal ehrlich, Sven Rebbert, Axel Springer News Media National!“.

Mit dem sogenannten Full Flex Office können Mitarbeitende bei Vodafone seit dem Herbst des vergangenen Jahres selbst entscheiden, wo und wie sie arbeiten. Das hybride Arbeitsmodell soll maximale Flexibilität ermöglichen. Im Interview sprechen Felicitas von Kyaw, Geschäftsführerin Personal, und Carolin Rudy, Head of Culture and Development, darüber, warum sie auf Selbstbestimmung setzen und wie sie dafür sorgen, dass in Zukunft das Wir-Gefühl nicht auf der Strecke bleibt.

Frau von Kyaw, Sie sind seit Anfang des Jahres bei Vodafone. Was ist Ihr primärer Auftrag als Geschäftsführerin Personal?

Felicitas von Kyaw: Die Agenda entsteht im Wesentlichen durch den Austausch mit den Stakeholdern aus dem Business. Vodafone ist, so wie viele andere Unternehmen auch, auf einer Veränderungsreise.

Wir befinden uns in der Transformation zu einer „Tech Comms Company“. Und es ist die Aufgabe unseres HR-Teams, diese weiter mitzugestalten.

Anfang des Jahres habe ich Interviews mit dem Business geführt. HR wird bei Vodafone als Partner auf Augenhöhe gesehen. Wir haben ein klares und starkes Mandat, Veränderungen voranzutreiben. Dabei geht es allerdings nicht nur um Organisationsentwicklung.

Wir sind ein People Business. Deshalb ist eine ebenso wichtige Aufgabe, die Menschen durch den vielfältigen Wandel und in den verschiedenen Veränderungs- Kontexten zu begleiten – und sie entsprechend „fit zu machen“ für diese Veränderungen. Wir werden sicherlich einen Schwerpunkt auf das Thema „Fähigkeiten und Kompetenzen“ legen. Das hat bereits vor meinem Start bei Vodafone begonnen. Es gibt zum Beispiel schon tolle Angebote wie den „Spirit Day“, bei dem alle Mitarbeitenden einen Tag ausschließlich für ihre persönliche Weiterbildung nutzen können.

Frau Rudy, bei Vodafone gilt seit Oktober 2021 ein hybrides Arbeitsmodell und das sogenannte Full Flex Office. Das Konzept war sehr präsent in den Medien. Was ist die Philosophie hinter dem Full Flex Office?

Carolin Rudy: Die Philosophie hinter dem Flex Office ist einfach: Wir haben das Vertrauen in die Mitarbeitenden, dass sie selbstständig gut entscheiden können, wo sie arbeiten. Wir wollten bewusst weggehen von vorgegebenen Prozentzahlen. Wir waren mit dem Thema vielleicht auch deshalb sehr präsent in den Medien, weil wir manch anderem Unternehmen einen Schritt voraus sind. Bei Vodafone
sind wir nämlich seit neun Jahren an das Homeoffice und das virtuelle Arbeiten gewöhnt und haben bereits früher bis zu 50 Prozent Homeoffice. Deshalb fiel uns die Entscheidung relativ leicht, nun den Schritt weiterzugehen und ganz auf Prozente zu verzichten.

Auch auf komplizierte Prozesse haben wir bewusst verzichtet und gesagt: Uns geht es um die Selbstbestimmtheit. Die Corona-Zeit hat unser Vorhaben beflügelt, weil wir zum einen gesehen haben, dass das virtuelle und vertrauensbasierte Arbeiten gut funktioniert. Zum anderen gab es von den Mitarbeitenden das eindeutige Feedback, nicht zum alten Modell zurückkehren zu wollen, sondern die Flexibilität und Freiheit im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit noch zu steigern.

Was würden Sie sagen, sind die Kernelemente des Full Flex Office? Ist es vor allem ein Arbeitszeit- und Arbeitsortmodell?

Carolin Rudy: Nein, es ist deutlich mehr. Es ist ein umfassendes Konzept. Die Grundaussage ist: Jeder arbeitet da, wo er oder sie das möchte. Es muss nichts beantragt oder vertraglich geregelt werden. Eine Mitarbeiterin kann also zum Beispiel sagen, dass sie in diesem Monat 90 Prozent von zu Hause arbeitet. Dann kommt sie drei Tage ins Büro und ist danach zwei Wochen nur im Homeoffice.

Es gibt aber auch genauso Kolleginnen und Kollegen, die möchten nur im Büro arbeiten, weil zu Hause die Bedingungen nicht gut passen fürs Homeoffice.

Das heißt, insgesamt gibt es eine höchstmögliche Flexibilität innerhalb eines Rahmens, den wir gesetzt haben. Wir haben uns gefragt, was die Mitarbeitenden im Homeoffice brauchen, um gut arbeiten zu können. Unserer Ansicht nach gehört dazu unbedingt eine ergonomische Ausstattung des Homeoffices, die wir deshalb zur Verfügung stellen. Hier bieten wir ein umfangreiches Paket: Mitarbeitende können einen großen Bildschirm, einen ergonomischen Stuhl und eine ergonomische Maus beantragen. All dies kommt dann bequem per Lieferdienst nach Hause. Ein weiterer Benefit für die Beschäftigten ist auch die Möglichkeit, eine Gutschrift auf den Internet-Anschluss im Homeoffice zu erhalten.

Ebenso bieten wir einen umfangreichen Unfall-Versicherungsschutz für die Mitarbeitenden im Homeoffice. Solche Benefits sind für das Employer Branding nach innen und außen enorm wichtig.

Nicht zuletzt gibt es die Möglichkeit, bis zu 20 Tage pro Jahr im EU-Ausland zu arbeiten.

Damit kann beispielsweise der Spanien-Urlaub um eine weitere Woche verlängert werden, in der dann vom Urlaubsland aus gearbeitet wird. Es ist ein weiterer Beitrag zu mehr Flexibilität. Diese Regelung ist sehr gut angenommen worden – und sie hat auf positive Art hohe Wellen bei uns geschlagen, weil es etwas wirklich Neues war. So etwas muss natürlich sehr gut geplant und steuerrechtlich geprüft werden. Sie sehen, es ist am Ende durchaus ein komplexes Projekt, aber vor allem ein attraktives Gesamtpaket geworden.

Felicitas von Kyaw: Diese umfangreichen Angebote zeigen, dass wir unsere Mitarbeitenden bestmöglich unterstützen wollen. Dazu zählt noch ein weiterer Aspekt: Nämlich, dass sie die für die virtuelle Arbeitswelt relevanten Fähigkeiten weiter ausbauen können. Das können Schulungen der Führungskräfte zum virtuellen Führen sein oder die Förderung der Zusammenarbeit im Team in der digitalen bzw. hybriden
Arbeitswelt. In dieser ist mehr denn je eine gemeinsame Vertrauensbasis notwendig. Und das bedeutet dann auch einen weiteren Schritt in Richtung Vertrauenskultur in der gesamten Organisation.

Frau Rudy, Sie sagen, jeder Mitarbeitende kann selbst entscheiden, wo er oder sie arbeiten möchte. Ist der Mitarbeitende aber auch aufgefordert, seine Entscheidung hinsichtlich des Arbeitsortes transparent zu machen bzw. anzukündigen, wie er oder sie in der kommenden Woche oder im nächsten Monat arbeiten möchte?

Carolin Rudy: Nein. Es muss nicht angekündigt oder irgendwo eingetragen werden. Aber es gibt die Empfehlung, dass der Mitarbeitende mit der Führungskraft darüber spricht, was er oder sie in Bezug auf den Arbeitsort plant.

Beispielsweise habe ich mit den Mitgliedern meines Teams darüber geredet, welches Modell ihnen persönlich vorschwebt. Der eine möchte eher einmal pro Woche ins Büro kommen, andere häufiger, weil sie sich vielleicht zu Hause einsam fühlen. All dies wird vertraglich nicht festgehalten und muss nicht angekündigt werden. Das Einzige, was formell beantragt und im System erfasst werden muss, ist das Arbeiten im EU-Ausland.

Hat die Führungskraft kein Vetorecht, wenn sie zum Beispiel der Meinung ist, dass das gewählte Arbeitsmodell den Teamerfolg gefährdet?

Carolin Rudy: Wir haben durchaus klar kommuniziert, dass Vodafone keine 100-prozentige Homeoffice-Company sein will. Das bedeutet,
dass es immer Gelegenheiten im Team oder in einem Bereich geben wird, bei denen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort sein sollten. Ich denke beispielsweise an ein Bereichs-All-Hands-Event, ein Strategie-Meeting oder ein Teamentwicklungs- Workshop. Dann hat die Führungskraft die Möglichkeit zu sagen: „Ich hätte gerne an diesem Tag alle Teammitglieder vor Ort.“ Wir haben mit den Betriebsräten geregelt, dass das mit ausreichend zeitlichem Vorlauf – im besten Falle zwei Wochen – angekündigt wird und nicht von heute auf morgen passiert.

Und wenn unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen?

Carolin Rudy: Wir gehen davon aus, dass das jeweilige Verhältnis von Führungskraft und Mitarbeitendem so gut ist, dass man alles besprechen und lösen kann. Es gibt grundsätzlich kein generelles Vetorecht einer Führungskraft, was das Full-Flex-Office-Prinzip an sich angeht. Wir setzen hier auf den Dialog.

Das eigentliche hybride Arbeiten im Sinne von verteilten Teams, deren Mitglieder sowohl vor Ort im Büro als auch mobil arbeiten, verläuft nach Ansicht vieler Führungskräfte in anderen Unternehmen oft unbefriedigend. Ist die Gestaltung einer effektiven hybriden Zusammenarbeit auch bei Vodafone ein Thema?

Carolin Rudy: Ja. In der Pandemie-Zeit war es noch relativ einfach, da gab es in der Regel eine demokratische Verteilung in Meetings, weil sich so gut wie alle virtuell eingewählt haben. Zukünftig wird aber sicherlich ein hybrides Arbeitsmodell stärker gelebt. Die Teams zu befähigen, ein solches Modell effektiv und fair zu gestalten, ist eine wichtige Aufgabe. Wenn beispielsweise fünf Leute wegen eines Meetings in einem Raum sitzen und drei wählen sich von zu Hause ein, dann sollte es in dem Raum keine Gespräche geben, die die drei virtuellen Teilnehmenden nicht mitbekommen. Auf so was muss geachtet werden. Wir haben zudem Methoden-Unterlagen für die Teams vorbereitet, die bei der Durchführung von hybriden Workshops helfen. Es gibt klare „Ways of Working“, wie hybrides Arbeiten funktionieren kann. Und nicht zuletzt unterstützen wir unsere Teams und Führungskräfte auch mit Trainings und anderen Instrumenten.

Gleichzeitig sollen die Teams darauf achten, dass die Verbundenheit nicht verloren geht. So haben viele für sich einen festen Team-Tag vereinbart, an dem alle im Büro sind und an dem man gemeinsam zusammen Mittagessen geht.

Frau von Kyaw, was ist für eine erfolgreiche Führung besonders wichtig in so einem hybriden Arbeitsmodell, wenn Mitarbeitende sich an verteilten Orten befinden?

Felicitas von Kyaw: Führen anhand von Ergebnissen anstelle Präsenz gewinnt weiter an Bedeutung. Die Führungskraft muss damit zurechtkommen, die Mitarbeitenden nicht mehr die ganze Zeit im Büro zu sehen. Sie muss Gestaltungsfreiraum geben sowie über Ergebnisse führen und Eigenverantwortung fördern. So dass die Teammitglieder gut in ihre Kraft kommen. Ich bin davon überzeugt, dass
Vertrauen, Verantwortung und Eigenmotivation weitaus produktiver machen als die Führungskraft im Nebenzimmer.

Aber gibt es nicht das Risiko, Mitarbeitende, die sehr viel zu Hause arbeiten, gegenüber denjenigen, die viel im Büro sind, zu benachteiligen?

Carolin Rudy: Zum einen entscheidet jeder selbst, wann er wo arbeitet. Und das Full Flex Office gilt auch für jede Führungskraft, die ebenfalls viel im Homeoffice sein kann. Zum anderen haben wir auch für diesen Kontext handlungsleitende Führungsprinzipien entwickelt, die einer möglichen Benachteiligung entgegenwirken. Dazu gehören das oben genannte Führen über Ergebnisse, aber beispielsweise auch klare Kriterien zur Erkennung und Förderung von Potenzialträgern im Konzern.

Seit wann ist das neue Konzept des Full Flex Office in Kraft bei Vodafone?

Carolin Rudy: Seit Oktober 2021. Wir haben allerdings bisher keine umfassenden Erfahrungen mit allen Elementen des Modells gemacht, weil der Zutritt zum Büro coronabedingt immer noch eingeschränkt ist. Es gibt für die Büros und die Besprechungsräume reduzierte Höchstgrenzen. Viele Teams konnten das Full Flex Office deshalb noch nicht wirklich leben, weil sie zum Beispiel noch nicht als komplettes Team vor Ort zusammengearbeitet haben.

Mit welchen besonderen Herausforderungen rechnen Sie in der nächsten Zeit in Bezug auf das „neue Arbeiten“?

Felicitas von Kyaw: Die meisten Unternehmen haben jetzt die Herausforderung, neu zu gestalten und die richtige Mischung zu finden. Ein starkes Miteinander und gute Beziehungen brauchen auch ab und an ein physisches Miteinander, brauchen Präsenz. Das gilt ebenso für eine starke, gemeinsame „hybride“ Kultur. Es ist wichtig, eine gute Balance zu finden: Wann lohnt es sich, ins Büro zu kommen? Wann ist es wichtig, in eine gemeinsame Zeit vor Ort zu investieren? Wann arbeiten wir virtuell, weil wir uns vielleicht schon gut kennen und uns nur kurz austauschen müssen? Diese richtige Balance zu finden, ist für den Einzelnen genauso wichtig wie für das Team, die Abteilung und die
ganze Organisation.

Carolin Rudy: Wir haben bei Vodafone diesbezüglich schon interessante Beobachtungen gemacht. Zum Beispiel, dass, wenn man ins Büro geht, man seinen Tag anders strukturiert als es in der Vergangenheit der Fall war. Der Büro-Tag wird nicht mehr mit Meetings vollgestopft, die man genauso virtuell machen kann. Es wird bewusst Freiraum geschaffen fürs Netzwerken und für Austausch – zum Beispiel beim Lunch. Die Mitarbeitenden gehen jetzt ins Büro, um das Verbindende zu stärken und weniger, um Standardaufgaben zu erledigen, wie beispielsweise Telefonate zu führen, Excel-Tabellen auszufüllen oder Präsentationen zu erarbeiten. Das geht weiterhin gut im Homeoffice.

Wir haben im Übrigen die Pandemiezeit gut genutzt, um die Büroräume weiter zu verändern. Der Vodafone Campus war schon vorher ein attraktiver und lebendiger Ort mit Open Desk Policy, Desk Sharing und tollen Besprechungsräumen und Kaffeeküchen. Nun haben wir die Räume für Vernetzung und Begegnungen nochmal erweitert. Die Zahl der Plätze für Austausch und Arbeit im Projektteam wurde deutlich erhöht. Unsere Transformation betrifft aber nicht nur den Campus, sondern ebenfalls unsere regionalen Bürostandorte – insgesamt wird mehr als die Hälfte unserer Belegschaft neue Bürokonzepte bis Ende des Jahres erleben können.

Können Sie einmal erläutern, auf welchem Weg das Full-Flex-Office-Konzept entstanden ist? Was waren die Meilensteine? Gab es zum Beispiel ein Zielbild?

Carolin Rudy: Ja. Wir haben ein Zielbild vorformuliert, das deutlich machte, was „mehr Flexibilität“ für uns bedeutet.

Denn das haben wir angestrebt. Wir waren aber ergebnisoffen und hatten noch keine Vorstellung, wohin genau die Reise geht. Wir haben sehr früh als cross-funktionales Projektteam daran gearbeitet und auch die Geschäftsführung einbezogen. Denn es ist elementar, schnell das Commitment, das „Buy-in“, der obersten Ebene zu haben.

Auch die Mitbestimmungsseite wurde früh einbezogen. Mit einem externen Universitätsinstitut wurde zudem eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, die die Bedürfnisse der Beschäftigten abgefragt hat. So wurde eine objektive Grundlage für ein mögliches, zukünftiges Arbeitsmodell geschaffen. Die Ergebnisse waren so eindeutig, dass wir mit den Betriebsräten am Ende eine gute Lösung entwickeln konnten. Das war ein wichtiger Punkt.

Und wir haben viel Wert auf Kommunikation gelegt, um Reaktionen zu bekommen und um immer wieder über Zwischenergebnisse und Updates zu informieren. Außerdem gab es ein Sparring-Board aus Führungskräften, mit dessen Hilfe wir regelmäßig reflektieren und Chancen und Risiken abwägen konnten.

Vodafone geht einen anderen Weg als viele andere Konzerne, die bewusst ein hybrides Arbeitsmodell als Standard formulieren und das beispielsweise drei Tage Office vorsieht. Sie haben auf solche Vorgaben verzichtet und überlassen es der Entscheidung des Einzelnen. Gehen Sie nicht das Risiko ein, dass die Büros leer bleiben?

Felicitas von Kyaw: Ich bin überzeugt von der hybriden Arbeitsweise. Es braucht beides: einerseits das Arbeiten vor Ort mit den anderen – vor allem, um gute Beziehungen zu gestalten, zu netzwerken und auch um gemeinsam zu arbeiten – sowie andererseits das Arbeiten von zu Hause, um Flexibilität zu ermöglichen. Dieses Mischmodell wird sich insgesamt durchsetzen.

Gibt es Befragungsergebnisse, aufgrund derer Sie eine durchschnittliche Anwesenheit im Büro schätzen können? Oder ist es ein Stück weit ein Blindflug nach der Pandemie?

Carolin Rudy: Es ist kein Blindflug. Wir haben durch Befragungen erste Meinungsbilder erfragt. Und bei uns ist es so, dass jeder sich seinen Schreibtisch bucht, einen Tag bevor er oder sie ins Büro kommt. Mithilfe der Buchungssysteme werden wir also eine gewisse Planungssicherheit bekommen. Aber klar: Wir müssen noch Beobachtungspunkte sammeln, wenn Corona mehr Freiheiten erlaubt.

Das dauerhafte Arbeiten von zu Hause führt in der Regel dazu, dass die Identifikation mit der Organisation abnimmt. Die Herausforderung wird hoch bleiben, wenn Menschen an unterschiedlichen Orten arbeiten. Welche Maßnahmen gibt es, um das Wir-Gefühl bei den Mitarbeitenden zu fördern?

Carolin Rudy: Da gibt es einiges auf verschiedenen Ebenen. Zum einen ist das Team für das Wir-Gefühl ein wichtiger Faktor. Es gab und gibt Workshop-Kick-offs, in denen Teams sich darauf verständigen, wie sie sich sehen wollen, wie sie inklusiv bezüglich der Meeting-Kultur bleiben können oder wann sie im Büro als Team zusammenkommen.

Wenn die Beschränkungen endgültig fallen, wird unser Campus eine noch größere Rolle für das Wir-Gefühl spielen. Die Mitarbeitenden schätzen es, sich dort auszutauschen und zu vernetzen, sich an der Café-Bar zu treffen. Es gibt eine Kantine, ein Fitness-Studio, ein Medical-Center. Das alles führt dazu, dass man in regelmäßigen Abständen immer wieder gerne im Büro sein möchte. Diese Bürowelt ist sehr attraktiv.

Ich verstehe, dass es den persönlichen Austausch vor Ort braucht, das Netzwerken, die Beziehungen. Aber reichen dafür nicht auch die Teeküche und die Kantine? Warum brauchen wir das Büro noch?

Felicitas von Kyaw: Es braucht den persönlichen Austausch vor Ort – nicht nur in der Teeküche, sondern ebenfalls in kreativen, beruflichen Kontexten. Meetingräume und Kreativflächen sind notwendig, um im Miteinander gute Gedanken und Ideen entstehen lassen zu können.

Entsteht Kreativität nur vor Ort und nicht digital?

Felicitas von Kyaw: Nein, das würde ich so nicht sagen. Mir geht es nicht nur um Kreativität oder das Erarbeiten von Neuem, um Innovation, sondern auch um die strategische Arbeit, das Vertiefen von Themen oder das Bearbeiten von Konflikten. Das geht alles auch irgendwie digital. Wir haben in der Pandemie-Zeit gesehen, dass es funktionieren kann. Doch vor Ort können wir diese Themen intensiver
besprechen, die gemeinsame Arbeit ist in Präsenz noch facettenreicher, wir können im Austausch mehr nonverbale Kommunikation und besser Stimmungen und Emotionen wahrnehmen. Es hat eine andere Qualität. Wir erleben und fühlen das Miteinander in einer anderen Dimension.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher.

 

 

Autorinnen

Felicitas von Kyaw
ist seit Januar 2022 Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin bei Vodafone Deutschland und verantwortet den Bereich Personal. Sie hat umfangreiche Erfahrung im Bereich Human Resources, Change und Transformation Management sowie im Umfeld Marketing und Sales. In der Vergangenheit war sie unter anderem bei Coca-Cola Europacific Partners Deutschland, Vattenfall sowie Capgemini Consulting tätig. Felicitas von Kyaw ist auch systemische Beraterin und Coach. Seit 2017 ist sie zudem Präsidiumsmitglied im Bundesverband der Personalmanager (BPM).
»Felicitas bei LinkedIn

Carolin Rudy
ist bei Vodafone seit sechs Jahren in der Verantwortung als „Head of Leadership, Development & Engagement“. In dieser Position hat sie neben dem Full-Flex-Office-Projekt auch die Integration von Unitymedia auf der People- und Change-Seite begleitet. Zuvor war Carolin Rudy zehn Jahre bei der amerikanischen Management-Beratung DDI für internationale Kunden sowie als HR Business Partner beim
französischen Industriekonzern Saint-Gobain tätig.
»Carolin bei LinkedIn

Einen Teil der Woche im Büro, den anderen im Homeoffice oder unterwegs – eine solche Mischung scheinen sowohl Mitarbeitende als auch Arbeitgeber gut zu finden. Ist das hybride Arbeitsmodell der neue Standard? Dies beantworten drei Experten im Beitrag „Hybrid Work – Zukunft der Arbeit?“.

Ist hybrides Arbeiten wirklich das „Neue Normal“?

Einen Teil der Woche im Büro, den anderen im Homeoffice oder unterwegs – eine solche Mischung scheinen sowohl Mitarbeitende als auch Arbeitgeber gut zu finden. Ist das hybride Arbeitsmodell der neue Standard? Wir haben nachgefragt.

Flagship-Store der Arbeitgebermarke

„Die Frage, wie hybrides Arbeiten zu organisieren ist, missverstehen viele Unternehmen als To-do, Anwesenheitsregeln zu formulieren. Ich verstehe die Herausforderung anders. Es gilt, zwei gewichtige Interessen auszubalancieren. Auf der einen Seite erleben Mitarbeitende die Vorteile von Remote Work, können hier auch produktiv sein und fragen sich, warum sie denn erst mit Bus oder Bahn in die Firma fahren sollten. Auf der anderen Seite aber braucht gerade eine Kreativagentur wie Achtung! eine starke Kultur sowie ein kreatives Miteinander. Wir haben uns daher entschieden, an der Attraktivität der Agenturräume zu arbeiten, sodass alle von sich aus gern in die Agentur kommen. Wir haben die Räume umgestaltet, eine Bar gebaut und in ein Bistro investiert. Wir organisieren spannende interne Events. Es kommen anregende „Guest Speaker“ und regelmäßig steht ein Food Truck vor der Tür. Die Vision ist: Unsere Räume sollen zum Flagship-Store unserer Arbeitgebermarke werden. Sie sollen anziehen, inspirieren und immer wieder überraschen.“

 

 

Mirko Kaminiski, CEO der Kreativagentur Achtung!

 

Zwischen Flexibilität und Einsamkeit

„Die vergangenen beiden Jahre haben zu einem Umdenken in vielen Führungsetagen geführt. Hybrides Arbeiten ist für Wissensarbeitende mittlerweile das „New Normal“ und wird auch zukünftig Bestandteil der Arbeitswelt sein. Vieles wird noch ausgelotet. Das geht von „Unternehmen vertrauen ihren Beschäftigten, zu entscheiden, wann und für welche Tätigkeiten es sinnvoll und erforderlich ist, ins Büro zu kommen“ bis hin zu einer Mindestzahl an Präsenztagen, um Kontakte zu pflegen und ein Wir-Gefühl zu schaffen.

Personalverantwortliche müssen die richtige Mischung für die eigene Unternehmenskultur finden, die die Arbeitskräfte, die jeden Tag im Betrieb sein müssen, nicht vergisst. Es geht darum, Spaltungen der Belegschaft vorzubeugen, aber dennoch möglichst viel Flexibilität zu gewähren. Dabei müssen Performance und Wellbeing beachtet werden, damit der Kurs – wenn nötig – schnell nachjustiert werden kann.“

 

 

Inga Dransfeld-Haase, „Senior Partner People & Culture BP Europa DACH“ und Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager:innen

 

Das Unternehmen als sozialer Ort

„Die kurze Antwort: Ja, zumindest überall da, wo ortsunabhängiges Arbeiten tätigkeitsbedingt möglich ist. Natürlich werden auch in Zukunft Autos in der Montagehalle gefertigt und Haare im Friseursalon geschnitten. Aber die vergangenen zwei Jahre haben einfach zu überzeugend gezeigt, wie viele Tätigkeiten und Prozesse auch mit substanzieller Virtualität erledigt werden können. Die Erwartungshaltungen der Mitarbeitenden dazu sind auch klar gestiegen. Aber das heißt nicht, dass das „neue Normal“ so virtuell wie möglich sein sollte. Auf die Mischung wird es ankommen, um das „Beste beider Welten“ dauerhaft wirklich gut, produktivitätsorientiert sowie auch mit Blick auf die soziale
Gemeinschaft und die soziale Eingebundenheit zu gestalten. Das Unternehmen auch als sozialer Ort muss konzeptionell gedacht und gestaltet sein. Das bedeutet ebenfalls, dass das bisherige Konzept des
Büros überdacht und angepasst werden sollte. Wir brauchen dort vielfältigere, auf Aktivitäten basierte Zonierungskonzepte, die Begegnung, Projektarbeit, Kommunikation und Innovation unterstützen.“

 

 

Dr. Josephine Hofmann leitet die Abteilung Zusammenarbeit und Führung am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Stuttgart

 

changement! Heft 05/2022