Schlagwortarchiv für: Ausgabe 01/2021

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“
„Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.

Für Herrn K. sind diese wohl gut gemeinten Worte in dem Text von Bertolt Brecht ein schwerer Schlag. Denn es ist anzunehmen, dass Herr K. das Gegenteil für erstrebenswert hält: nämlich sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, also sich zu verändern. Bewegung ist Leben und Stillstand langweilig, weil dann vieles in uns unentdeckt bleibt. Der Stillstand – vor allem der im Kopf – kann jedem drohen.
Die festen Abläufe, die etablierten Denk- und Verhaltensmuster, das im Leben Erreichte, die Strukturen um uns herum, die wir so gut kennen – all das wieder zu hinterfragen und die Dinge, ja das eigene Leben, nach einiger Zeit mal wieder anders anzugehen erfordert mit den Jahren einen immer größeren Energieaufwand. Dabei wäre der Anfang eines solchen Wandels eigentlich gar nicht so schwer. Es gilt offen zu sein: offen für andere Denkweisen und Perspektiven, für neue Ideen und Lebenskonzepte. Wenn das gelingt, wäre die Basis für die persönliche Transformation gelegt, eine Transformation, die neue Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und die Entwicklung neuer Kompetenzen verlangt, vielleicht auch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, das Zurechtkommen in einem neuen Kontext, mit anderen Abläufen und Strukturen. Das ist anstrengend, der Weg meistens voller Rückschläge.

Die eigenen Potenziale entfalten

Ich selbst habe eine solche Transformation beruflicher Art hinter mir. Ich war lange Jahre „nur“ Journalist und habe mich 2017 einer Beratung angeschlossen. Noch mal einen neuen Beruf auszuüben war alles andere als ein Selbstläufer. Ich musste vieles neu erlernen: die Haltung und das Auftreten als Berater, die Workshop-Moderation, das Schreiben von Angeboten, das systemische Fragen, sogar das Schreiben mit Flipchart-Stiften und vieles mehr. Das war insgesamt nicht leicht. Eine persönliche Transformation ist unangenehm, weil es eine Art Neuanfang ist, die eine gewisse Vulnerabilität zum Vorschein kommen lässt. Es muss vieles neu gelernt werden, und dieses Lernen findet vornehmlich außerhalb der Komfortzone statt. Und dennoch lohnt sich die persönliche Transformation – zunächst für einen selbst. Weil sich einem andere Welten offenbaren, weil man Neues über sich lernt und sieht, wer man auch sein kann. Weil es im Leben ebenfalls darum geht, die Potenziale, die in einem schlummern, zur Entfaltung zu bringen. Organisationen wiederum profitieren natürlich davon, dass ihre Mitglieder Expertise und Routinen entwickeln. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem der Weg der
Neuerfindung die größeren Erfolgschancen bietet – das gilt für Unternehmen genauso wie für Individuen. Die Frage ist nur: Sieht man diese Chancen und hat man den Mut, diesen Weg zu gehen? Die Transformation – im Großen wie im Kleinen – verlangt die Fähigkeit und den Willen des Individuums, alte Denkgewohnheiten abzulegen, das eigene Selbstverständnis infrage zu stellen, sich neue Sichtweisen anzueignen, ja auch mal „rumzuspinnen“: Was wäre wenn? Das gelingt manchmal nicht auf eigene Faust. Es braucht dann die Unterstützung der anderen, weitere Perspektiven. Innerhalb der Organisationen müssen auch für die individuelle Transformation der einzelnen Menschen entsprechende Strukturen und eine Kultur bestehen, die einem den persönlichen Wandel erleichtern. Wenn ich im Unternehmen für die Bereitschaft, mich neu zu erfinden, nur Häme erfahre, Karriere auf dem neuen Pfad nicht möglich ist und die Vergütung vor allem die Erreichung kurzfristiger Ziele belohnt, wird es schwierig. Nichtsdestotrotz sind Widerstände kein Hinderungsgrund, ich auf die Reise zu begeben – dann findet sie halt außerhalb der Organisationsgrenzen statt oder in einem völlig neuen Kontext. Man wächst ohnehin mit den Aufgaben. [JCW]

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