Dinge einfach mal ansprechen
Anja Zerbin war bis Ende des vergangenen Jahres Head of Digital Culture bei der Deutschen Bank. Sie hat in dem Job in vier Jahren sämtliche Höhen und Tiefen erlebt. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und was es ihrer Meinung nach braucht, damit Verhaltensänderung wirklich nachhaltig ist.
Frau Zerbin, Sie waren Head of Digital Culture im Bereich Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Was war genau Ihre Aufgabe?
Ehrlicherweise war die nie so genau definiert. Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie der Postbank damals, wo ich angefangen habe, wurde „Kultur“ als vierte Säule festgelegt. Zunächst stand das allerdings nur auf dem Papier bzw. in einer Präsentation war zu lesen: „Menschen mitnehmen und für die agile Transformation begeistern.“
Man hat mich dann auf diese Aufgabe gesetzt und ins Organigramm geschrieben, was natürlich noch lange keine Wertschöpfung ist. Wie die aussehen könnte, hat man dann komplett mir überlassen. Ich konnte also die Aufgabe selbst definieren.
Mein Team und ich sind dann zu der Überzeugung gekommen, dass unser Purpose ist, die Notwendigkeit zur Veränderung sichtbar zu machen bzw. zu erklären. Von diesem Purpose haben wir dann einzelne Aufgaben abgeleitet.
Ende des Jahres 2020 haben Sie die Deutsche Bank verlassen. Wer kümmert sich jetzt um die „Digitale Kultur“?
Die Aufgaben sind nun im Bereich „Agile Accelerator“ angesiedelt.
Kann man sagen, dass das Thema Digital Culture zwar aus einer Top-down-Initiative entstanden, aber bottom-up mit Leben gefüllt wurde?
Eine Top-Down-Initiative war es nicht wirklich. Es gab nur die Strategie in Form einer PowerPoint. Wir waren damals beim Chief Digital Officer angesiedelt. Die Kultur dort ist im Vergleich zu anderen Unternehmensbereichen in der Regel offener, zum Beispiel was die Nutzung von neuen Arbeitsmethoden angeht. Auch das Mindset ist eher von Veränderungsbereitschaft geprägt.
Wir hatten zwar nicht von allen C-Level-Mitgliedern die uneingeschränkte Unterstützung. Wir hatten allerdings viel Freiraum und konnten machen, was wir für richtig hielten.
Was würden Sie sagen, haben Sie vor allem als Head of Digital Culture gelernt?
Wir haben als Team viel gelernt, zum Beispiel wie man selbstorganisiert arbeitet, einen Mehrwert für die Organisation schafft und wie man durch einen Purpose-Prozess durchgeht.
Welchen Mehrwert haben Sie als Team geleistet?
Beispielsweise haben wir definiert, was hinter diesen ganzen Buzzwords steckt. Was macht beispielsweise eine digitale Kultur aus?
Und was macht eine digitale Kultur aus, zum Beispiel bei einer Bank?
Es geht für mich insbesondere um die Art und Weise, wie man arbeitet, nämlich transparent, vernetzt, verbindlich, mit Neugier und Offenheit. Die digitale Kultur basiert auf agilen Werten. Es geht darum, bereits vorhandenes Wissen bestmöglich miteinander zu verknüpfen. Das betrifft alle Bereiche: Produktmanagement, General Management, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Digitale Kultur heißt für mich deshalb zuerst, Silos zu überwinden.
Und ist das Ziel der digitalen Kultur für die Deutsche Bank besonders schwer zu erreichen?
Es ist kein spezifisches Bankenproblem. Es ist in jedem Unternehmen schwierig, in dem Menschen in einer bestimmten Struktur sozialisiert worden sind, in der eigenverantwortliches und vernetztes Arbeiten bis dahin nicht gern gesehen war. Auch das deutsche Schulsystem war da lange nicht förderlich. Und ein zweiter Faktor, der es herausfordernd macht, ist die Größe einer Organisation – egal ob das Wachstum organisch oder durch Zukäufe entstanden ist.
Würden Sie sagen, Sie waren mit Ihrem Team erfolgreich?
Ich würde sagen, wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten viele Menschen erreicht und bei diesen etwas bewirkt. Aber wir wären definitiv erfolgreicher gewesen, wenn wir eine andere Form der Unterstützung bekommen hätten.
Wie groß schätzen Sie die Gruppe der Menschen, die Sie erreichen konnten mit Ihrer Arbeit – in dem Sinne, dass Sie wirklich wirksam waren?
Wir haben uns auf das Headquarter konzentriert, dort haben 5000 Leute gearbeitet. Ich würde sagen, am Ende waren es etwa 500 Menschen, also zehn Prozent, die sich wirklich engagiert, die wirklich anders gearbeitet haben aufgrund unseres Wirkens.
Wie sind Sie vorgegangen, um eine digitale Kultur in der Deutschen Bank zu fördern?
Wir haben uns am Golden Circle von Simon Sinek – Warum, Wie, Was – entlanggehangelt. Wir haben also mit dem „Warum“ angefangen: Was ist eigentlich unser Purpose von „Digital Culture“? Es ging darum, die Notwendigkeit zur Veränderung sichtbar zu machen.
In Bezug auf das „Wie“ hatten wir vier Schwerpunkte. Als erstes haben wir Aufklärungsarbeit geleistet, zum Beispiel in Form von Impulsen und Diskussionen: Was macht die Digitalisierung aus, für die Deutsche Bank, die Postbank, für die einzelnen Teams, für das Individuum? Und warum ist Veränderung aufgrund der zunehmenden Digitalisierung notwendig?
Als zweites wollten wir „agiles Arbeiten“ erlebbar machen. So haben wir die Leute beispielsweise in adaptierten einwöchigen bis dreiwöchigen „Google Sprints“ Projekte machen lassen. Wir haben sie „Expeditionen“ genannt.
Zudem gab es von uns konkrete Unterstützung für das Business. Dafür haben zehn Leute unseres Team sich als Agile Coaches ausbilden lassen. Und die sind immer noch im Unternehmen unterwegs, um Teams oder ganzen Bereichen zu helfen, anders zu arbeiten oder sich neu zu strukturieren.
Und das vierte Element war das Thema Vernetzung. Das sind wir vor allem mit Entertainment angegangen und haben unter anderem Digital Culture Pop-up-Festivals veranstaltet. Hierfür wurden interne sowie externe Referenten eingeladen und wir haben die Vernetzung mithilfe von Spielen gefördert, sodass man hierarchie- und bereichsübergreifend mit anderen Menschen zu bestimmten Themen in den Austausch gekommen ist.
Diese Formate brachten eine hohe Reichweite, richtig erfolgreich waren wir im Nachhinein betrachtet allerdings mit den Agile Coaches und den Sprints. Wenn die Dinge erlebbar gemacht werden, sodass die Menschen einen Mehrwert sehen und etwas davon in ihre tägliche Arbeit mitnehmen können, fangen sie an, darüber zu reflektieren.
Können Sie Beispiele nennen, welche konkreten Verhaltensänderungen sich bei den Engagierten beobachten ließen?
Dazu gehörte zum Beispiel, dass Mitarbeitende anfingen, transparent zu machen, woran sie gerade arbeiten. Das war damals, vor drei Jahren, noch sehr besonders in der Bank. Es wurden zum Teil auch digitale Kanban Boards und andere Tools genutzt – wenn dem keine Datenschutzfragen entgegenstanden.
Auch Elemente aus Scrum wurden neu erlernt und in den Alltag eingebaut: ein tägliches Standup, Reviews und Retrospektiven. Es wurden also innerhalb der Arbeit Feedback-Schleifen und Reflexionsformate genutzt.
Wir haben auch eine Box produziert, in dem wir agile Basics in Form von Checklisten versammelten. Darin enthalten waren zum Beispiel die Arbeit mit „Time Timern“ oder rollenbasierte Arbeitskonzepte, die heute gar nicht mehr wegzudenken sind.
Außerdem konnten wir Verhaltensänderungen beobachten, beispielsweise was die Kommunikation angeht. Retrospektiven habe ich erwähnt. Wir haben außerdem immer wieder betont: Versteckt Euch nicht hinter den Mails, sondern ruft auch einfach mal an oder sucht das direkte Gespräch. Viele mussten lernen, Dinge einfach mal auszusprechen – auch wenn es unangenehm ist. Bei einem Gespräch ergibt sich die Möglichkeit eines Dialogs und der ist manchmal wichtig.
Aber ehrlich gesagt, ist das Risiko eines Rückfalls in alte Verhaltensmuster groß, wenn niemand das Neue unterstützt und es gleichzeitig Menschen um einen herum gibt, die das traditionelle Verhalten hochhalten.
Was würden Sie sagen, ist grundsätzlich ein wesentlicher Erfolgsfaktor dafür, dass Verhaltensänderungen nachhaltig sind?
Die Menschen müssen wissen, warum sie etwas tun. Sie müssen den Mehrwert bzw. den Nutzen für sich selbst erkennen, sei es, dass sie etwas lernen, mehr Geld verdienen, beliebter sind oder sie einen Karrieresprung machen.
Was ich auch gelernt habe: Der Weg zur Utopie muss den Prinzipien der Utopie gehorchen. Das heißt, alles was du erzählst, musst du selbst auch machen. Es gilt: walk the talk.
Um glaubwürdig zu sein?
Ganz genau. Und was ich persönlich ebenfalls gelernt habe, ist: Wann immer man Mut zeigen muss, um etwas zu machen, lohnt es sich.
Wann immer man Mut zeigen muss, um etwas zu machen, lohnt es sich.
Haben Sie ein Beispiel?
Beispielsweise gibt es in vielen Unternehmen Mailverteiler, die nur von bestimmten „Mailverteiler-Hütern“ benutzt werden dürfen. Jeder andere würde vermutlich geköpft werden – so denkt man zumindest.
Die Erfahrung zeigt aber, wenn man Dinge dann doch ausprobiert, zu denen man eigentlich nicht die offizielle Erlaubnis hat – wie einen sehr besonderen Mailverteiler zu nutzen – passiert meistens gar nichts. Man muss sich einfach trauen, etwas zu wagen, ohne zu fragen.
Wir haben zum Beispiel auch ein „White Label“ für unsere Kampagne entwickelt, um es nicht in die Mühlen der Corporate Design–Hüter geben zu müssen. Und da ist im Anschluss auch nichts passiert, denn die Leute haben das Label gerne genutzt. Es sah einfach auch cool aus (sie lacht).
Inwieweit kann ein Kulturwandel aber gelingen, wenn bestehende Systeme und Instrumente nach einer anderen Logik funktionieren bzw. diese das traditionelle Verhalten unterstützen? Ich denke da zum Beispiel an das Performance Management in einem Unternehmen wie der Deutschen Bank.
Wenn das System und die Rahmenbedingungen eine digitale Kultur nicht fördern, sondern im Prinzip nur dagegensprechen, wird der Wandel auf Dauer nicht funktionieren. Man kann höchstens noch daraufsetzen, möglichst viele Gleichgesinnte zusammenzubekommen, um das System von innen heraus zu sprengen. Das passiert allerdings in großen, hierarchischen Konzernen selten.
Wir als Team haben das System allerdings durchaus ein wenig herausgefordert. Ich war nämlich der Meinung, dass die klassischen Zielvereinbarungen in Bezug auf ein Jahr, wie sie eigentlich vorgesehen waren, keinen Sinn machen. Weil sich einfach zu viel verändert innerhalb eines Jahres. Deswegen galten bei uns im Team Prinzipien und die Zielvereinbarung wurde durch eine Leistungsbewertung ersetzt. Ich hatte aber auch gute Gründe für mein Vorhaben, nur Rebellentum nützt da nichts.
Jetzt mit etwas Abstand betrachtet: Wie viel Wandel zur digitalen Kultur ist in der Deutschen Bank in den vergangenen Jahren passiert?
Das Positive ist, dass das Bewusstsein, sich verändern zu müssen, da ist. Das diskutiert keiner mehr weg. Ob aber jedem klar ist, dass es sich nicht nur um eine Mode handelt, sondern die Veränderung wesentlich für den zukünftigen Erfolg ist, das steht auf einem anderen Blatt. Im Zweifel ist die Steuerung über Quartalsergebnisse immer noch wichtiger als langfristige und nachhaltige Investments. Und es gibt immer noch mehr „Command and Control“ statt „Create and Cooperate“. Es bewegt sich etwas – langsam. Als entscheidend sehe ich vor allem einen Punkt an: Auf Top-Ebene braucht es ein einheitliches Verständnis zur agilen Transformation. Wenn das gegeben ist, hat man auch das Fundament für den Wandel zur digitalen Kultur gelegt.
Das Interview führte Jan C. Weilbacher .
InterviewpartnerIn:
Anja Zerbin
studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft. Nach einiger Agenturerfahrung war sie zunächst im Konzern der Deutschen Bank im Kommunikationsbereich tätig und begleitete in unterschiedlichen Konzernbereichen sowie Tochterunternehmen mehrere Jahre Kommunikations- und Veränderungsprozesse. Sie ist spezialisiert auf Veränderungs- und Wertschöpfungsprozesse von Menschen im Rahmen der digitalen Transformation von Großunternehmen. Bis Ende 2020 war sie bei der Deutschen Bank, sie war als Head of Digital Culture im Chief Digital Office (CDO) im Bereich Privat- und Firmenkunden tätig.
2015 begann Anja Zerbin bei der Postbank. Von 2009 bis 2015 wurde die Postbank nach und nach von der Deutschen Bank übernommen und 2018 auf die DB Privat- und Firmenkundenbank verschmolzen, die ihrerseits im vergangenen Jahr in der Deutsche Bank AG aufging. Dadurch ist auch die Postbank in der Deutsche Bank AG aufgegangen.