Der Kundenservice der BSH Hausgeräte GmbH ist mehrfach prämiert. Und dennoch ist man eifrig dabei, ihn stetig weiterzuentwickeln. Kund:innen eine moderne Customer Experience zu bieten und auch die Organisation danach auszurichten, sind wesentliche Ziele. Dabei helfen vor allem motivierte Mitarbeitende sowie eine effektive Nutzung datengetriebener Dienste und digitaler Kanäle.

Bei der BSH Hausgeräte GmbH orientiert sich die tägliche Arbeit an der Zufriedenheit der Kund:innen. Durchschnittlich verzeichnen wir in Deutschland über 10.000 Kontakte pro Tag. Diese Interaktionen haben eine große Innen- und Außenwirkung und sie entscheiden direkt darüber, wie zufrieden unsere bestehenden Kund:innen sind bzw. ob sich eine Person dazu entschließt, ein Hausgerät der BSH zu kaufen.

Vielzahl an unterschiedlichen Anfragen der Kund:innen

Die aktive Weiterentwicklung des Kundendienstes ist daher unabdingbar. Für unseren herausragenden Kundenservice in der Branche sind wir 2022 ein weiteres Mal ausgezeichnet worden – für uns ein wertvolles Signal, dass wir schon vieles richtig machen.

Bei der Vielzahl unterschiedlicher Anfragen – von der Produktberatung bei einem anstehenden Neukauf über die Installation neuer Geräte bis hin zu Fragen zu Fehlermeldungen, defekten Geräten und Gerätehandhabung – ist gute Koordination essenziell. Zudem braucht es innovative technische Lösungen, die Effizienz und Komfort erhöhen.

Digitalisierung für eine moderne Customer Experience

Konsument:innen erkennen immer häufiger den konkreten Mehrwert smarter Hausgeräte. Praktische Alltagshilfen wie die autarke Auswahl des effizientesten Trocknerprogramms oder ein Hinweis auf dem Smartphone, dass die Tabs für den Geschirrspüler zur Neige gehen, sorgen unmittelbar für Erleichterung im Alltag.

Diese Entwicklung hilft uns auch im Kundenservice: Wir nutzen datengetriebene Dienste wie Ferndiagnosen und -reparatur, wodurch Zeit und Aufwand eingespart werden – sowohl für uns als auch für unsere Kund:innen. Zum Beispiel helfen die Mitarbeitenden der Service-Hotline durch Fernwartung und die Zusendung eines Erklärvideos dabei, das Problem zu Hause selbst zu lösen. Teilweise lassen sich Reparaturen vor Ort durch Beratungshinweise oder das Zusenden von Einzelteilen auch ganz vermeiden.

Wir merken deutlich, dass uns die Anfragen an den Kundenservice immer häufiger über digitale Kanäle wie den Self-Service, unser Kontaktformular, den Chat oder WhatsApp erreichen. Rund 60 Prozent der Anfragen erfolgen aktuell noch über das Telefon. Aber wir rechnen mit einer weiteren Verschiebung in der Zukunft.

Dabei betrachten wir die Kanäle, die von den Kund:innen präferiert genutzt werden.

Anpassung der Abläufe, Prozesse und Systeme

Darüber hinaus integrieren wir eine Vielfalt digitaler Möglichkeiten in unser Angebot, um leichten Zugang zu gewährleisten und ein einheitliches Service-Erlebnis zu schaffen. Unser Anspruch ist es, den Konsument:innen Flexibilität zu garantieren: Die Möglichkeit, Terminbuchungen und -änderungen direkt online vorzunehmen oder auch Ersatzteile online zu bestellen, hebt uns von vielen anderen
Kundenservices ab. Auch unsere Selbsthilfetipps zur Nutzung der Geräte sind ein geschätzter Service, den wir auf allen Kommunikationskanälen anbieten.

Die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Kund:innen und die bestmögliche Anpassung unserer Abläufe, Prozesse und Systeme darauf sind ein wichtiger Faktor, um einen herausragenden Kundenservice bieten zu können. Dafür führen wir fortlaufende Kundenbefragungen und Experience- Tests durch. Derzeit arbeiten wir daran, den Kund:innen noch zielgerichteter helfen zu können, zum Beispiel indem wir Termine ganz nach ihnen ausrichten. Statt eines Zeitfensters von sechs Stunden für die Ankunft unserer Techniker:innen sollen Kund:innen in Zukunft flexibel auf sie abgestimmte Termine erhalten.

Mitarbeitende als wesentlicher Schlüssel zum Erfolg

Um schnelle und effiziente Hilfe zu gewährleisten, kümmert sich allein in Deutschland ein Team von rund 1.300 Kundendienstmitarbeitenden um die Anliegen unserer Kund:innen. Global sind es rund 15.000, die Konsument:innen in rund 50 Ländern unterstützen. Gut ausgebildete, motivierte und engagierte Mitarbeitende sind ein Erfolgsgarant. Daher legen wir großen Wert darauf, ein entsprechendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Wie in allen anderen Geschäftsbereichen setzen wir im Kundenservice bewusst auf Nachhaltigkeit. Auch hier entwickeln wir uns ständig weiter. Da eine Reparatur meist nachhaltiger als ein Geräteaustausch ist, sorgen wir mit einem umfangreichen Kunden- und Ersatzteilservice dafür, dass Reparaturen zuverlässig durchgeführt und die Lebensdauer von Geräten effektiv verlängert werden können. Langfristig streben wir eine Kreislaufwirtschaft an.

Unser Reparaturkonzept stellt Werkstätten sowie Privatpersonen den Zugang zu Ersatzteilen sicher, mit denen unsere Geräte einfach und in kürzester Zeit instandgesetzt werden können. Falls Besuche vor Ort nötig sind, können wir global rund 83 Prozent der Probleme beim ersten Versuch beheben und arbeiten stetig daran, die Routen zu unseren Konsument:innen zu optimieren, um auch im Kundendienst CO2 einzusparen.

 

 

Autor

Andreas Döge
ist Leiter des deutschen Kundendienstes der BSH Hausgeräte GmbH. Er ist seit über 25 Jahren im Unternehmen tätig und begann seine Laufbahn im Kundendienst bereits direkt nach seiner Ausbildung bei der BSH. Neben seinen Tätigkeiten in Deutschland kann er auf jeweils mehrjährige Auslandserfahrungen in Führungspositionen in Großbritannien, Schweden und den USA zurückblicken.
»Andreas bei LinkedIn

 

Im engen Zusammenspiel von HR und Business

Workforce Transformation ist in Deutschlands Führungsetagen eines der dominanten Zukunftsthemen. Je nach Industrie, Größe und Art des Geschäftsmodells haben die Unternehmen allerdings unterschiedliche Herausforderungen. Eine Studie auf Basis von über 50 C-Level-Interviews zeigt Wege auf, wie mit den Herausforderungen bestmöglich umgegangen werden kann.

Workforce Transformation ist in aller Munde, nicht zuletzt aufgrund schier endlos erscheinender Warteschlangen an Flughäfen oder der Ankündigung großer Unternehmen, wie der von Daimler, die laut Medienberichten bis 2030 mehr als 1,3 Milliarden Euro in die Weiterbildung von Beschäftigten investieren wollen.

Das Thema ist an sich kein neues, mittlerweile aber ganz oben auf der Prioritätenliste von Vorständen angekommen – wie unsere Studie mit über 50 C-Level-Interviews und einer breiten Umfrage (N=509) bestätigt. Und das überrascht nicht. Es ist seit Langem bekannt, wird aber gerne verdrängt, dass sich in Deutschland bis 2030 etwa vier Millionen Mitarbeitende (MA) beruflich neu orientieren müssen und zusätzlich circa fünf Millionen Fachkräfte fehlen werden, weil unter anderem Babyboomer in Rente gehen und zu wenig Menschen in die Workforce nachrücken. Die Zahlen hat das Institut der Deutschen Wirtschaft in diesem Jahr errechnet.

Orientierung durch den strategischen Überbau

Aus unserer Studie haben sich „3+2 Themen“ herauskristallisiert, die für alle Gesprächspartner:innen in Bezug auf Workforce Transformation zentral sind:

1 MA-Gewinnung – wie man Mitarbeitende für sich gewinnt
2 MA-Entwicklung – wie man Mitarbeitende weiterbildet
3 MA-Bindung – wie man Mitarbeitende hält

Die Umsetzung dieser drei Themen bedarf eines strategischen Überbaus (+1), der als zielorientierte Wegbeschreibung in der Umsetzung der drei oben genannten Kernthemen dient. Hier ist auch die Employer Value Proposition (EVP), also das Alleinstellungsmerkmal als Arbeitgeber, zu verorten, mit dem man (potenziellen) Mitarbeitenden ein Werteversprechen gibt und ausdrückt, warum man der richtige Arbeitgeber ist.

Zusätzlich benötigt es einen system-organisatorischen Unterbau (+1), der vor allem durch das richtige Operating Model, ein Upgrade digitaler Systeme sowie die Einbindung von People Analytics – die Sammlung und Anwendung von Daten zur Entscheidungsfindung – die Basis der Implementierung bildet.

Purpose wird immer wichtiger

Dabei hängt es vom Unternehmen und der spezifischen Marktsituation ab, ob alle Kernthemen plus Über- und Unterbau zusammen oder einzelne Themen fokussiert bearbeitet werden müssen (siehe Abbildung).

 

1. MA-Gewinnung – wie man Mitarbeitende für sich gewinnt

Die Gewinnung von Mitarbeitenden stellt in der heutigen Zeit für alle Organisationen eine umfassende Herausforderung dar. Und zwar unabhängig von Branche und Größe. So das eindeutige Ergebnis unserer großen Umfrage (96 Prozent Zustimmung).

Was können Unternehmen tun, um begehrte Talente für das eigene Unternehmen zu gewinnen? Insbesondere die junge Generation von Mitarbeitenden möchte für Unternehmen tätig sein, die einen tiefergründigen Purpose verfolgen, wie die CHRO eines großen FinTech-Unternehmens beschreibt: „Je nach Lebensphase sind unterschiedliche Faktoren wichtig. Purpose und Sinnhaftigkeit werden immer wichtiger, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.“ Ein gelebter Purpose, mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können, ist demnach eine Grundvoraussetzung, um als Arbeitgeber interessant zu sein.

Flexibilität spielt eine weitere wichtige Rolle. Viele Mitarbeitende haben sich seit der Corona-Krise an eine gewisse Flexibilität des eigenen Arbeitsmodells gewöhnt und sind oft nicht mehr dazu bereit, ständig ins Büro zu fahren. Der „Head of Global People and Culture“ eines führenden Medienunternehmens konstatiert: „Flexibilität ist heute eine Währung, genauso wie Vergütung.“ Vollständige Flexibilität in Bezug auf Arbeitsort und -zeit wird aber durch die hiesige Arbeitsgesetzgebung erschwert.

Ein weiterer Faktor ist die positive „Candidate Experience“. Bei der Candidate Experience geht es darum, jeden einzelnen Kontaktpunkt auf der Gewinnungsreise der Mitarbeitenden positiv aufzuladen, denn diese Erfahrungen beeinflussen die Entscheidung für das Unternehmen positiv bzw. werden von Bewerber:innen in der Regel nach außen weitergetragen.

2. MA-Entwicklung – wie man Mitarbeitende weiterbildet

Neben der Herausforderung der Gewinnung von Mitarbeitenden stellt die Veränderung von Geschäftsmodellen und -prozessen neue Anforderungen an die Belegschaft in Bezug auf das Erlernen neuer Kompetenzen und Fähigkeiten. 85 Prozent unserer Gesprächspartner:innen bestätigen, dass kontinuierliche Mitarbeitenden-Entwicklung fundamental ist, um mit den sich stetig ändernden Anforderungen der heutigen VUCA-Welt umgehen zu können.

Dabei bringt Mitarbeitenden-Entwicklung für Unternehmen gleich zwei Vorteile mit sich: Investiert ein Unternehmen in Lernangebote, erhöht sich nicht nur die Qualität der Belegschaft, es zahlt auch automatisch positiv auf eine gesteigerte Arbeitgeberattraktivität (EVP) ein. Dies verdeutlicht die Aussage des Vorstandes eines internationalen Konsumgüterunternehmens: „Lernmöglichkeiten sind der neue Dienstwagen – und zwar mit Badges und Zertifizierungen.“

Lernen als Teil der DNA eines Unternehmens

Doch was können Unternehmen konkret tun, um dem Entwicklungsbedarf von Mitarbeitenden zu begegnen und diesen als Asset für sich zu nutzen?

Der Aufbau einer „Learning Culture“, also einer Kultur, die geprägt ist von dem Anspruch, sich immer weiterentwickeln zu wollen, sorgt dafür, dass Lernen in die DNA des Unternehmens integriert wird. Dies bedeutet, dass Mitarbeitende erstens passgenaue Entwicklungsangebote zur Verfügung gestellt bekommen und zweitens den nötigen Raum erhalten, diese auch zu nutzen.

Eine Vielfalt zielgruppenspezifischer Lernprogramme ist hierbei erfolgskritisch, da unterschiedliche Lerntypen unterschiedliche Formate benötigen. On-the-job-training oder digitale Lernformate angereichert mit kurzen Lernhacks bieten heutzutage einfache Möglichkeiten, um Lernen bedarfsgerecht und je nach Präferenz der Mitarbeitenden in den Alltag zu integrieren.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Aktivierung der direkten Führungskraft durch systematische Entwicklung. Diese sollte hierbei als Vorbild vorangehen, Lernmöglichkeiten eröffnen und Anreizsysteme schaffen, sodass sich Mitarbeitende proaktiv weiterentwickeln. Das kann zum Beispiel durch die feste Verankerung von „Lern-Zeit“ im Arbeitsalltag gelingen. Bei der Frage, ob digitale oder physische Trainings bevorzugt werden sollten, sind sich die Gesprächspartner:innen einig: „Die Mischung macht’s.“ Zwar bieten digitale Lernformate mehr Individualisierungspotenzial, das klassische Präsenztraining bleibt als kulturstiftendes Element jedoch weiterhin wichtig.

3. MA-Bindung – wie man Mitarbeitende hält

Das dritte zentrale Thema ist allein deshalb relevant, da wir uns in Deutschland auf einem Arbeitnehmermarkt befinden. Es gibt schlichtweg weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt als Jobs. Hinzu kommt das Phänomen der „Great Resignation“, also vermehrte Kündigungen vonseiten der Arbeitnehmer:innen, zum Teil ohne einen Anschlussjob zu haben.

Bislang war dieser Trend vorwiegend in den USA zu beobachten. Laut dem Gallup Engagement Index Dezember 2021 ist die Wechselwilligkeit in Deutschland mittlerweile sogar höher als in den USA, was auf eine drohende Kündigungswelle hinweist.

War früher das Halten von Mitarbeitenden noch vorwiegend eine Frage der Gehaltserhöhung, sind sich 90 Prozent unserer Studienteilnehmer:innen einig: Der Fokus verschiebt sich auf die ganzheitliche Motivation der Mitarbeitenden.

Das bedeutet, dass sich die zentralen Maßnahmen von Mitarbeitenden-Gewinnung und Mitarbeitenden-Entwicklung auch positiv auf das Halten der Beschäftigten auswirken.

Enorme Bedeutung der menschlichen Beziehungen

Wie bei den anderen Themen stellt sich hier ebenfalls die Frage nach konkreten Ansätzen für Unternehmen. Ein Hebel liegt in der Gestaltung der Arbeit im Sinne von New Work. Wie oben bereits skizziert, verändern sich die Prioritäten vieler Mitarbeitenden. Der Wert von Sinnhaftigkeit der Arbeit steigt und auch im Hinblick auf die Arbeitszeit ist eine Abkehr von früheren Ansichten zu beobachten, wie der Vorstand eines großen Telekommunikationsunternehmens berichtet: „Selbst im Upper Management merke ich eine ganz klare Abkehr von dem Willen, 60 Stunden die Woche zu arbeiten.“

Eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, positiv auf die Mitarbeitenden-Bindung einzuwirken, ist die Aktualisierung des Führungsverständnisses, wie der Bereichsvorstand Organisation eines MDAX-Unternehmens treffend formuliert: „People join companies and leave bosses.“

Die zentralen Fragen hierbei sind: Welcher Führungsstil wird im Unternehmen gelebt? Kann ein potenzielles Talent sich damit identifizieren? Ist die Führungskultur wertschätzend und bietet sie genügend Freiräume, sodass sich Mitarbeitende weiterentwickeln können? Es geht hierbei aber nicht ausschließlich um die direkte Führungskraft, sondern auch um die Mikrokultur des unmittelbaren Teams, mit dem man permanent zusammenarbeitet.

Unsere Gesprächspartner:innen berichten unisono, dass die menschlichen Beziehungen innerhalb des direkten Arbeitsteams sowie dessen Kultur und Atmosphäre eine entscheidende Rolle spielen, ob Mitarbeitende motiviert sind und sich wohlfühlen. Und diese beiden Faktoren haben einen positiven Einfluss auf die Mitarbeitenden-Bindung.

Mit klarer Wegbeschreibung und starker Basis

Der alleinige Fokus auf Mitarbeitenden-Gewinnung, -Entwicklung und -Bindung wird allerdings nur selten zum Erfolg führen. Die Organisation braucht eine klare Orientierung, was die Ziele für die drei Themen sind, wie diese inhaltlich aufeinander abzustimmen sind und wie der Fahrplan aussieht, um diese auch zu erreichen.

Von elementarer Bedeutung ist die übergeordnete People-Strategie. Abgeleitet aus der Geschäftsstrategie, dient sie als Richtungsvorgabe für die gesamte Organisation.

Als Basis ist dabei eine Überprüfung des Operating Model (Aufbau- und Ablauforganisation) vonnöten, um sicherzugehen, dass auch gehalten wird, was nach außen versprochen wird. Gleichzeitig muss weiterhin in die IT-Infrastruktur investiert werden, um Prozess-Automatisierung voranzutreiben und eine Basis für moderne Analyse-Tools zu schaffen, die unabdingbar sind, um Veränderungen in der Belegschaft frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegensteuern zu können.

HR und Business als Tandem gefordert

Obwohl die Mitarbeitenden im Mittelpunkt stehen, ist HR nicht in der alleinigen Verantwortung für die erfolgreiche Umsetzung.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt vielmehr im engen Zusammenspiel von HR und Business, die sich einen gemeinsamen „Matchplan“ zurechtlegen, der flexibel anpassbar ist und mit der Workforce Transformation erfolgreich gestaltet werden kann.

Beim Gewinnungsprozess ist vor allem HR die treibende Kraft, den Purpose, flexible Arbeitsmodelle und Gehalt transparent nach außen zu tragen. Das Business hingegen steht in der Verantwortung, dass diese Themen auch gelebt und gepflegt werden.

Beim Thema Mitarbeitenden-Entwicklung übernimmt HR die Funktion als Servicedienstleister, der möglichst vielfältige Lernangebote schafft, während die Führungskraft im Business als Enabler für die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeitenden agiert.

Im Bereich Mitarbeitenden-Bindung setzt HR vor allem den Rahmen (unter anderem Motivations- und Benefits-Modelle, Gestaltung von New Work). Das Business ist hier besonders in der Führungsrolle gefordert, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen und eine positive Führungskultur zu leben.

In allen Bereichen ist die Abstimmung mit dem Betriebsrat nicht nur notwendig: Die Abstimmung mit dem Betriebsrat kann  als Katalysator bei der Umsetzung der Transformation dienen.

Voraussetzung dabei ist, dass HR, Business und Betriebsrat sich gegenseitig als Partner verstehen, die alle dasselbe übergeordnete Ziel verfolgen: den erfolgreichen Umgang mit Workforce Transformation.

 

Autoren

Stefan Clemens Ulrich
ist Principal bei der Managementberatung undconsorten mit Fokus auf Leadership, People und Organization. Er berät unter anderem zu (agilen) Transformationen und einer Vielzahl von HR-Themen. Zuvor war er viele Jahre bei einer internationalen Strategieberatung tätig.
»Stefan bei LinkedIn

 

Dr. Tobias Duffner
ist ehemaliger Profifußballer vom SV Werder Bremen und hat im Bereich Sportmanagement an der Universität Leipzig promoviert. Er arbeitet bei der Managementberatung undconsorten als Associate in den Bereichen Transformation und Führung.
»Tobias bei LinkedIn

 

changement! Heft 06/2022

Große Summen werden in die Digitalisierung investiert, doch etwas Entscheidendes wird vergessen: das menschliche Element. Dabei ist die People-Transformation die wichtigste wirtschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Ein dreistufiger Ansatz für die Workforce Transformation, der iterativ umgesetzt wird, kann dabei ein Schlüssel zum Erfolg sein: „Workforce Transformation in drei Stufen“.

Future Skills der (digitalen) Produktion entwickeln

Skill Management ist ein zentrales Instrument für eine flexible Zukunftsausrichtung von Fachabteilungen, das Trends berücksichtigt und Veränderungen dynamisch zulässt. Die konkrete Umsetzung hat das Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo Europe für den Bereich Engineering und Industrie 4.0 an seinem Produktionsstandort Pfaffenhofen bei München pilotiert.

Es gibt kaum eine technologische Entwicklung, die die Arbeitswelt so stark verändert, wie die Digitale Transformation. Digitalisierung, Robotisierung und der Einsatz kognitiver Technologien bringen einen enormen Wandel und damit umfassende neue Anforderungen an die Belegschaft in der Pharmaproduktion mit sich.

Diese Workforce Transformation betrifft das gesamte Unternehmen über alle Generationen von Mitarbeitenden und Führungskräften hinweg. Vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels stellen sich die folgenden Fragen: Welche Fähigkeiten werden in Zukunft genau benötigt und wer kann sie abdecken? Woher kommen die Menschen, mit denen die Transformation zum Leben erweckt werden kann?

Hier kommt Skill Management zum Einsatz. Denn: Was auf unternehmensweiter Ebene als Workforce Transformation bezeichnet wird, muss in der Umsetzung individuell gedacht werden. Wenn die Belegschaft ganzheitlich transformiert werden soll, bedeutet das eine Veränderung für jeden einzelnen Menschen.

Erfolgstreiber für die Belegschaftsentwicklung

Der Ressourcenbedarf wird dabei definiert durch die benötigten Fähigkeiten und die entsprechenden Ausprägungen. Dies ermöglicht den gezielten Einsatz von Mitarbeitenden sowie deren Förderung. Es fließt maßgeblich in die strategische Personalplanung und deren Umsetzung für die nächsten ein bis fünf Jahre ein.

Skill Management bedient sich ähnlicher Methoden wie die strategische Personalplanung, verwendet jedoch einzelne Skills bzw. Skill Cluster als Planungsgrundlage. In einem ganzheitlichen Assessment werden bestehende und benötigte Skills erfasst und abgeglichen, um die „Skill-Lücke“ zu ermitteln – entweder für einzelne Abteilungen oder für das gesamte Unternehmen. Diese Lücke (Gap) kann dann durch Personalentwicklungsmaßnahmen („Make“) oder Neueinstellungen („Buy“) geschlossen werden.

Flexibel auf neue Anforderungen reagieren

Die Unternehmen wissen: Neue Jobs werden kommen – und damit auch die neuen Anforderungen an Mitarbeitende. Zudem kennen eine Menge der Unternehmen die wichtigsten Schritte hin zur erfolgreichen Workforce Transformation: In einer Deloitte-Studie (Deloitte Global Human Capital Trends 2021) gaben rund 40 Prozent der befragten Führungskräfte als einen der wichtigsten Schritte den Aufbau von Fähigkeiten durch Upskilling, Reskilling und Mobility an. Die Anwendung des Skill Managements steht also für viele fest – jedoch ist einer großen Anzahl an Unternehmen noch nicht klar, wie der Weg dahin im Detail aussehen soll.

Das japanische Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo Europe stand ebenfalls vor der Herausforderung, seine Belegschaft auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Gemeinsam mit Deloitte wurde das Projekt „Future Skills im Bereich Engineering und Industrie 4.0“ pilotiert mit dem Ziel, die Workforce Transformation operativ umsetzbar zu machen. Das Projektteam – bestehend aus Vertreter:innen von HR und des Fachbereichs auf Seite von Daiichi Sankyo Europe sowie Berater:innen von Deloitte – fand nicht nur Antworten darauf, die Mitarbeitenden fit für die Zukunft zu machen, sondern sie außerdem zu befähigen, künftig flexibel auf immer neue Anforderungen reagieren zu können.

Skill Management als Tool für Workforce Transformation

Im ersten Schritt definierten wir die konkreten Anforderungen als Future Skills (1), führten anschließend ein Skill Assessment durch (2) und identifizierten die „Skill Gaps“ durch den Abgleich benötigter und vorhandener Fähigkeiten (3). Abschließend entwickelten wir individuelle Lernreisen und definierten weitere Maßnahmen zur Umsetzung (4).

1. Future Skills

Wir haben verschiedene Annahmen über die Zukunft getroffen: Welche Technologien werden unsere Art zu arbeiten verändern? Welche Profile und Skills werden benötigt? Inwiefern werden diese Skills beeinflusst von Technologien und Software? Und welche Skills werden durch Digitalisierung und Automatisierung weniger gebraucht? Antworten auf diese Fragen werden gefunden durch:

  • Diskussionen mit den Führungskräften bei Daiichi Sankyo Europe,
  • eine intensive Beobachtung und Auswertung von Markttrends,
  • eine detaillierte Recherche mithilfe einer Kompetenzdatenbank von Deloitte und
  • Gespräche mit Industrieexpert:innen.

Daraus abgeleitet können die Veränderungen auf Jobprofilebene betrachtet und anhand von drei Kerndimensionen eingeordnet werden (siehe Abbildung 1):

Erstens haben wir die Frage danach gestellt, woher in Zukunft die Talente kommen und welche Aufgaben von externen Partner:innen (zum Beispiel von Dienstleistern oder Freelancern) übernommen werden können. Zweitens haben wir den Grad der Automatisierung bestimmter Aufgaben betrachtet und drittens den Aspekt des Arbeitsortes beleuchtet. Wird vor Ort oder remote zusammengearbeitet? Basierend auf dieser Analyse konnten wir aktuelle und zukünftige Arbeitsbedingungen gegenüberstellen.

Das Tempo, in dem die Digitalisierung der pharmazeutischen Fertigung voranschreitet, ist atemberaubend. Die technologische Weiterentwicklung trifft die Mitarbeitenden nicht selten unvorbereitet. Skill Management zeigt den Entwicklungsbedarf und ermöglicht Unternehmen frühzeitig, die Mitarbeitenden auf die neue Umgebung vorzubereiten. Vernetzte Maschinen bieten neue Möglichkeiten der Wartungsanalyse und unterstützen damit die Arbeit der Wartungsmechaniker:innen. Die Frage ist jedoch: Welche Skills müssen diese Mitarbeitenden lernen, um den Mehrwert der neuen Technologie für das Unternehmen nutzbar zu machen?

2. Skill-Evaluierung

Auf Basis von marktüblichen Mechanismen haben wir die Methode zum Assessment der Skills selbst entwickelt, um eine maßgeschneiderte Lösung für Unternehmensgröße, Ausrichtung der Produktion und Zielgruppe der Mitarbeitenden anwenden zu können. Die Teamleitungen nahmen anhand eines Evaluierungstools eine grobe Einschätzung der Teamkompetenzen vor.

So zeigten sich in der Evaluation die Potenziale der Teams: Es wurden gut ausgeprägte übergeordnete Skills wie unternehmerisches Denken, Mut zu Innovation und Soft Skills genauso festgestellt wie breites technisches Fachwissen zu Maschinen und Produktionsvorgängen, beispielsweise in der Sterilfertigung.

3. Skill-Gap-Analyse

Durch einen Abgleich der vorhandenen mit den Future Skills im Unternehmen ergibt sich eine Gap-Übersicht; die Skills, die im Unternehmen aktuell noch fehlen, werden sichtbar. Bei Daiichi Sankyo Europe liegen sie vor allem im Bereich der Digitalisierung. In Bezug auf das Profil eines Betriebsingenieurs sind beispielsweise die Skills „Data Analytics“ und „Predictive Maintenance“ gefragt.

Durch den flexiblen Ansatz im Skill Management kann dies auf organisationsweiter Ebene strategisch diskutiert werden. Gleichzeitig können erste individuelle Entwicklungsmöglichkeiten eruiert werden. Hierbei haben wir die große Spannbreite an vorhandenen Skills in einzelnen Teams sowohl als besondere Herausforderung als auch als Chance verstanden, da Mitarbeitende gezielt von ihren Kolleg:innen lernen können.

4. Umsetzungsmaßnahmen

Mit individualisierten Lernreisen (siehe Abbildung 2) haben wir einen Lösungsweg gefunden, wie die Mitarbeitenden die benötigten Future Skills entwickeln können – persönlich zugeschnitten auf die eigenen Bedarfe.

Die Chance liegt hier vor allem bei den Mitarbeitenden, die aufgrund ihrer aktuellen Tätigkeiten bereits über technologisches Wissen verfügen. Das konkrete Erarbeiten des Skill Managements ermöglicht es, nicht bei der strategischen Ausrichtung auf digitale Skills zu verbleiben, sondern konkret zu benennen, welche Fähigkeiten mit welchen Maßnahmen aufgebaut werden sollen.

Empowerment der Mitarbeitenden

Der Qualifikationserwerb passiert nicht von heute auf morgen. Daher braucht es ein vorausschauendes und strategisches Agieren. Alle an der Lernreise Beteiligten – von den Führungskräften über die Mitarbeitenden bis hin zu HR und Lernakademien – müssen auf die veränderten Kompetenzanforderungen vorbereitet und dabei unterstützt werden, die Qualifikationsprofile anzupassen und die damit einhergehenden Neuerungen umzusetzen.

Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist die Transparenz über die veränderten Kompetenzanforderungen. Damit sich Mitarbeitende in Zusammenarbeit mit den Führungskräften genau jenes Wissen, jene Fertigkeiten und jene Fähigkeiten aneignen können, die für die zukünftige Pharmaproduktion gebraucht werden.

Gezieltes Skill Management ermöglicht den Mitarbeitenden, selbstwirksam ihre Entwicklung zu gestalten und aktiv an der Transformation mitzuwirken. Es zeigt ihnen konkrete Handlungsfelder und einen gemeinsamen Weg in eine von Veränderung und Unsicherheit geprägte Zukunft auf. Der von Deloitte vorgeschlagene und mit Daiichi Sankyo umgesetzte Ansatz soll dabei Nachhaltigkeit und Wertschätzung sicherstellen.

Ganz klar: Die Verantwortung für die Workforce Transformation soll nicht auf die Mitarbeitenden abgewälzt werden, HR zieht sich nicht aus der Verantwortung. Ein integrierter Ansatz vereint die Interessen von Belegschaft, Führungskräften und HR. Er beruft sich darauf, Mitarbeitende zu befähigen, selbst Teil der Transformation zu sein und ihren eigenen Weg mitzugestalten – ohne sie vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Für Daiichi Sankyo sollten die zukünftigen Skill-Anforderungen aus einer Kombination von „Entwickeln“ und „Rekrutieren“ bedient werden. Insbesondere mit Blick auf den Fachkräftemangel und die Schwierigkeit, neue Mitarbeitende zu finden, ist es das Ziel, die eigene Belegschaft an das Unternehmen zu binden und ihre Entwicklung durch entsprechende Trainings und weitere Entwicklungsmaßnahmen sicherzustellen.

Das Skill Management selbst wird digitaler

Die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel an Tätigkeiten und Jobprofilen stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Wollen sie den Anschluss an ihre Wettbewerber auch in Zukunft nicht verpassen, müssen sie jetzt die Weichen stellen und ihre Mitarbeitenden auf eine umfassende Transformation vorbereiten. Es gilt, diesen fundamentalen Wandel für die gesamte Organisation, aber auch für jede:n einzelne:n Mitarbeitenden als Chance zu begreifen.

Das Projekt bei Daiichi Sankyo Europe hat gezeigt, dass durch ein integratives und strategisch orientiertes Skill Management auch für jede:n Einzelne:n große Potenziale für die Ausweitung des persönlichen, zukunftsorientierten Skillsets im digitalen Zeitalter realisiert werden können. Dabei wird das Skill Management selbst digitaler werden.

Dies ermöglicht, den Skill-Management-Prozess aus dem Pilotprojekt auf das Gesamtunternehmen zu skalieren. Es gibt am Markt ein großes Potenzial, die Entwicklung jobrelevanter Skills mithilfe künstlicher Intelligenz zielgerichtet zu unterstützen. In Zukunft werden Skills-Ökosysteme die Basis für intelligente, datengestützte Skill-Gap-Analysen im Unternehmen darstellen. Skills Intelligence unterstützt somit den gesamten Employee Lifecycle – von der Rekrutierung über das Onboarding und die Talententwicklung bis hin zum Offboarding.

Durch das Projekt ist deutlich sichtbar geworden, welche Skills über die kommenden Jahre entwickelt und aufgebaut werden müssen – die
Herausforderung wurde als Chance ergriffen. Digitalisierung wird die Pharmaproduktion revolutionieren – Daiichi Sankyo Europe ist bereit.

Autor:innen

Svenja Schnabel
begleitet als Psychologin die Digitalisierung der HR-Prozesse bei Daiichi Sankyo Europe. Bei ihrem Herzensthema Skill Management steht für sie nicht nur die angemessene Verarbeitung von Daten, sondern vor allem das Empowerment der Mitarbeitenden im Vordergrund. So auch aktuell in ihrer Dissertation über den Einfluss von People Analytics und Künstlicher Intelligenz auf „Decision Making“.
»Svenja bei LinkedIn

Cathrin Christ
ist Director bei Deloitte und Expertin zu „Workforce Planning“ und „Talent Management“ in Deutschland. Sie hat bereits zahlreiche Workforce Transformations umgesetzt. Deloitte Consulting ist weltweit eine der größten Unternehmens- und Technologieberatungen. Der Bereich Human Capital bietet Beratung in den Bereichen HR-Transformation, Workforce Transformation und Organisationstransformation.
»Cathrinbei LinkedIn

 

changement! Heft 06/2022

 

Fünf Fragen an Laura Gersch, Finanzvorständin bei der Allianz Versicherungs-AG

Bislang hat sich im Change Management noch kein Konzept als ultimativ richtig erwiesen. Veränderungen in Organisationen verlaufen höchst unterschiedlich. Deshalb sind die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke der Verantwortlichen auch so verschieden. Uns interessiert die persönliche Perspektive von erfolgreichen Managern und Managerinnen. Diesmal stellt sich Laura Gersch unseren fünf Satzeröffnungen.

Meine bislang größte Business Transformation …

… die konsequente Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung der Allianz Leben im Umfeld von Null- und Negativzinsen. Das Ziel: Freiheiten für die Kapitalanlage zu schaffen, um auch in einem solchen Umfeld zukunftsfest Renditen erwirtschaften zu können. Die Methode: Das Ganze ging nur als cross-funktionales Team mit der klaren Überzeugung, dass dieser Wandel möglich und zum besten unserer Kund:innen ist. Gleichzeitig hat sich auch noch unsere Art der Zusammenarbeit von einem auf den anderen Tag grundlegend geändert. Mit Corona haben auf einmal mehr als 90 Prozent aller Kolleg:innen mobil gearbeitet, vorher waren eher 90 Prozent im Büro. Gestartet sind wir zehn Wochen nachdem ich meine Rolle als Firmenvorständin bei der Allianz Leben angetreten hatte. Es war also ein Wandel auf vielen Ebenen gleichzeitig – und hat sehr gut funktioniert. Das zeigt, was alles möglich ist!

Veränderungen von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung im Wesentlichen geprägt von…

… sich verändernden Kundenanforderungen, Weiterentwicklung von Technologien, demografischem Wandel, radikalen Veränderung des Arbeitsplatzes und – ja auch – Krisen wie beispielsweise Corona, Klimawandel oder Krieg.

Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren von Change Management sind für mich …

Über allem steht für mich das Mindset, mit dem der Wandel angestoßen wird. Im Sinne von „Was ist, wenn’s klappt“ anstelle von „Was könnte alles schiefgehen“. Es geht darum, motivierende Zielbilder aufzuzeigen, die Menschen zu beteiligen und die Veränderung dann auch vorzuleben. Und: Eine intensive und transparente Kommunikation ist unerlässlich.

Wir müssen Betroffene zu Beteiligten machen. Für mich bedeutet das, dass wir die Mitarbeitenden nicht nur informieren, sondern durch agiles Arbeiten mitgestalten lassen und aktiv einbinden bei der Umsetzung der Veränderung.

Und noch ein Punkt ist mir wichtig: Wandel gelingt nur, wenn alle mitmachen und jede:r bei sich selbst anfängt.

Oft wird bei Veränderungen der Fokus auf die Mitarbeitenden gelegt, Führungskräfte und vor allem das Top-Management ausgeklammert. Dabei ist es essenziell, dass diese die Veränderung mittragen und als Vorbild vorausgehen – ganz im Sinne von „Walking the Talk“.

Nicht alles gelingt. Was ich bei Veränderungen in meiner Verantwortung künftig anders machen werde oder was ich durchs Lernen aus früheren Fehlern heute bereits anders mache, ist…

… noch mehr kommunizieren und Veränderungen anhand von ganz konkreten kleinen Beispielen für die Mitarbeitenden (be)greifbar machen. Und: Veränderung braucht Zeit! Nur weil ein Führungsteam sich schon eine Weile mit der Veränderung beschäftigt, heißt das noch lange nicht, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit zur Veränderung und der Veränderungswille schon in allen Teams angekommen sind. Daher meine Daumenregel: Man kann bei Change-Themen nicht zu viel kommunizieren. Erst wenn ich die Argumente und Themen selbst kaum noch hören kann, ist es wahrscheinlich in allen Ecken des Unternehmens angekommen.

Mein persönlicher Tipp an eine Führungskraft, die Verantwortung für ein Veränderungsprojekt übernimmt, lautet:

Mutig sein, Mut machen, Visionen haben und diese auch kommunizieren sowie das Zielbild so verständlich und erlebbar wie möglich machen.

 

changement! Heft 04/2022

 

Autorin

Laura Gersch
ist aktuell Finanzvorständin bei der Allianz Versicherungs- AG, davor war sie Vorständin für Firmenkunden und Personal bei der Allianz Lebensversicherungs-AG. Nach dem Studium der internationalen Betriebswirtschaftslehre in Reutlingen und in Boston hat Laura Gersch bei der Unternehmensberatung McKinsey sieben Jahre Unternehmen aus dem Versicherungs- und Bankenbereich im In- und Ausland beraten. 2014 ist sie zur Allianz gewechselt und hatte dort verschiedene Führungspositionen inne.
Leidenschaftlich setzt Laura Gersch sich für Gleichberechtigung ein und hat die Initiative #equalpension ins Leben gerufen, die Aufmerksamkeit auf das geschlechterspezifische Gap in der Altersvorsorge lenkt. Hierfür hat sie 2021 den German Diversity Award von Beyond-GenderAgenda in der Kategorie Gender gewonnen.
»Laura bei Linkedin

Ihnen hat das Format „5 Fragen an…“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „Change Management: 5 Fragen an Felicitas von Kyaw“.

Im Mai 2020 stellte sich die ING die Frage, wie ihr „One Agile Way of Working“ weiterentwickelt werden muss, um dabei Markenkern, Kultur und Purpose weiter zu stärken und diese nicht nur für Kundinnen und Kunden, sondern auch für Mitarbeitende erlebbar zu machen. Entstanden ist eine neue People Strategy, die in einer veränderten Arbeitswelt Empowerment, Flexibilität und Autonomie in den Fokus rückt – und Arbeit neu denkt. Bei der ING nennt man es: Beyond WorkING.

Bereits sechs Monate nach offiziellem Abschluss der Transformation zur ersten vollständig agilen Bank Deutschlands stellte die Corona-Pandemie die neue agile Arbeitsweise der ING Deutschland auf den Prüfstand. Zu Beginn der Pandemie war Schnelligkeit und Flexibilität gefragt, um der Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden gerecht zu werden sowie die operative Funktionsfähigkeit der Bank sicherzustellen. Innerhalb kürzester Zeit mussten Prozesse angepasst und technisches Equipment bereitgestellt werden. Die Teams mussten ihre Zusammenarbeit ins Virtuelle verlegen. Die Pandemie erwies sich somit als Lackmustest für die agile Arbeits- und Denkweise. Die Zeit war gekommen, unter Extrembedingungen zu beweisen, dass der sogenannte „One Agile Way of Working“ die ING tatsächlich agiler gemacht hatte.

Von den Herausforderungen der Pandemie zu einer neuen Vision

Es war schnell klar, dass auf diese von Volatilität, Unsicherheit und Komplexität geprägte Situation nicht mit vorgefertigten Programmen reagiert werden konnte. Vielmehr brauchte es ein iteratives, agiles Vorgehen, um die unterschiedlichen Herausforderungen bestmöglich zu koordinieren. Nur durch kurze Frequenzen konnte schnell auf äußere und interne Rahmenbedingungen reagiert, zeitnah verschiedene Stakeholder einbezogen und Gelerntes zügig angewendet werden.

Die Corona-Pandemie hat zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt, die sich auch auf die Arbeitswelt auswirken. Daher hat sich die ING schon im Mai 2020 die Frage gestellt, wie als Antwort auf diese Disruption der sogenannte „One Agile Way of Working“ weiterentwickelt werden muss, um dabei den Markenkern, die Unternehmenskultur und den „Purpose“ der Gesamtbank weiter zu stärken und nicht nur für die Kundinnen und Kunden, sondern auch für die Mitarbeitenden erlebbar zu machen. Entstanden ist daraus eine neue People Strategy, die sich konsequent an dem Purpose und dem (externen) Markenversprechen der Bank orientiert.

Dadurch stand fest, dass in Bezug auf die Zukunft der Arbeit bei der ING Empowerment, Autonomie und Flexibilität gefördert werden sollen:

Empowerment bedeutet dabei, dass allen Kolleginnen und Kollegen die passenden Tools zur Verfügung gestellt werden – egal wo sie arbeiten und egal ob sie Software entwickeln oder Kreditanträge bearbeiten.

Autonomie heißt in diesem Fall, dass keine starren Regeln vorgegeben werden, wie viele Tage mobil gearbeitet werden kann oder an welchen Tagen Mitarbeitende im Office anwesend sein müssen. Dem zugrunde liegt der Glaube, dass Teams diese Frage selbst beantworten können und sollen, und zwar unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Teams, der Verpflichtung den Kundinnen und Kunden gegenüber sowie eventueller arbeitsorganisatorischer oder regulatorischer Rahmenbedingungen.

Und Flexibilität bedeutet, dass die individuellen Bedürfnisse nach einer gesunden Work-Life-Balance der Mitarbeitenden ernst genommen werden. Denn gerade während der Pandemie wurde deutlich, dass eine gute Teamleistung darauf aufbaut, dass jeder und jede die Balance behält – und zwar beruflich, familiär, mental sowie körperlich.

Schnelle Lösungen durch agile, interdisziplinäre Zusammenarbeit

Ausgehend von diesen Überlegungen mussten folgende Fragen für das „nächste Level des Arbeitens“ – die ING nennt es „Beyond WorkING“ – beantwortet werden:

  • Welche Produkte und Angebote für die Mitarbeitenden braucht es, um den Anspruch nach Empowerment, Autonomie und Flexibilität zu erfüllen?
  • Wie kann das mit Blick auf eine komplexe Mitbestimmungslandschaft und verschiedene arbeitsrechtliche Vorgaben, die nicht unbedingt für volle Flexibilität ausgelegt sind, umgesetzt werden?
  • Wie lange wird die Pandemie andauern und wird das die Anforderungen und Erwartungshaltungen von Mitarbeitenden und Führungskräften noch einmal verändern?
  • Wie können alle Mitarbeitenden auf diesen Weg mitgenommen werden?
  • Und wie kann es gelingen, die Stimmungen innerhalb der Belegschaft zu erfassen und die Bedürfnisse in den Teams zu berücksichtigen?

Um Antworten auf diese komplexen Fragestellungen zu finden, hat die ING ein interdisziplinäres, agil arbeitendes Squad zusammengestellt.

Das im August 2020 zusammengestellte Squad besteht aus Mitarbeitenden aus den Bereichen HR, Strategy, IT, Facility Management, Internal Communications, „Way of Work-ING“ sowie den operativen Einheiten Wholesale Banking und Service. Die Aufgabe des „Beyond WorkING“-Squads war es unter anderem:

  • die rechtlichen Grundlagen für eine neue, hybride und flexible Arbeitsweise zu durchdenken,
  • die passende technische Ausstattung zu finden,
  • die Flächenplanung anzupassen
  • und vor allem alle Mitarbeitenden inklusive der Führungskräfte mitzunehmen
  • sowie eine Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat der Bank zu treffen.

Zum Zeitpunkt der Squad-Gründung hatte die agile Arbeitsweise noch keinen Eingang in die Mitbestimmungsprozesse der Bank gefunden. Diese liefen nach wie vor in gesonderten Verhandlungsrunden ab und die zuständigen Gremien waren in den agilen Arbeitsprozess nicht involviert. Das sollte sich mit „Beyond WorkING“ ändern, denn ein Arbeiten auf dem „nächsten Level“ bedeutet auch, die Zusammenarbeit mit den Gremien neu zu denken.

Die Vorteile der iterativen, agilen Herangehensweise zeigen sich insbesondere dann, wenn das Endprodukt noch nicht klar definiert ist und es zunächst mehr Fragen als Antworten gibt. Agilität und insbesondere der darin verankerte Lernansatz helfen den Beteiligten, Lösungen gemeinsam zu erarbeiten und das Zielbild Stück für Stück bzw. Sprint für Sprint zu vervollständigen.

Das Zielbild schrittweise gemeinsam erarbeiten

Das „Beyond WorkING“-Squad und der Gesamtbetriebsrat haben sich zum Start der Zusammenarbeit zunächst darüber verständigt, dass nicht ein finales „Produkt“ für das Arbeiten der Zukunft entwickelt werden soll, sondern dass es vielmehr darum geht, flexible Lösungen in einer sich ständig verändernden Welt zu erschaffen.

Anschließend wurden gemeinsam Arbeitspakete definiert und diese dann in zweiwöchigen Sprints ausgearbeitet, bevor die Ergebnisse in Verhandlungstermine überführt wurden. Mit diesem Vorgehen war es möglich, das Zielbild schrittweise gemeinsam zu erarbeiten und kreative Lösungsansätze auch für unerprobte Situationen zu schaffen.

Das Ergebnis nach knapp einem Jahr Kollaboration waren insgesamt drei Gesamtbetriebsvereinbarungen, die die Grundsätze und Leitplanken des mobilen Arbeitens und zur Flächenplanung der Bank regeln. Das Besondere daran: Es wurden „lernende“ Vereinbarungen geschaffen.

Diese werden zwölf Monate nach Inkrafttreten, also nach Ende der pandemiebedingten Einschränkungen, im Rahmen einer Retrospektive jeweils überprüft und gegebenenfalls angepasst.

Während dieser zwölfmonatigen Testphase wird die interdisziplinäre Arbeit zwischen dem Squad und dem Gesamtbetriebsrat aufrechterhalten, um flexibel und schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und vor allem Mitarbeitenden und Führungskräften rund um „Beyond WorkING“ Hilfestellung und Orientierung zu geben.

Die Mitarbeitenden befragen und mitnehmen

Bei einem Change dieser Größenordnung darf vor allem der Faktor Mensch nicht vernachlässigt werden. Die Organisation muss sich auf die Ängste und Unsicherheiten der Mitarbeitenden und ganz besonders auch der Führungskräfte einstellen, denen eine wichtige Rolle in der „Beyond WorkING“-Transformation zukommt. Gute Führung war und ist entscheidend, um die Teams gut durch die Krise sowie die Transformation zum Erfolg zu führen.

Im Verlauf der Pandemie gab es insgesamt sechs Umfragen unter den Mitarbeitenden: drei im Jahr 2020 und ebenfalls drei im Folgejahr. Die Ergebnisse aus dem Befragungszeitraum 2020 zeigten, dass den Mitarbeitenden eine Zukunftsperspektive insbesondere im Hinblick auf ihre Arbeitsgestaltung fehlte und sie sich eine Antwort auf die Frage wünschten, welchen Stellenwert mobiles Arbeiten auch nach der Pandemie einnehmen wird.

Als weiteres Handlungsfeld konnte die Arbeitsausstattung identifiziert werden. Infolgedessen wurde die Einführung neuer Kollaborationstools mit erhöhter Geschwindigkeit vorangetrieben sowie ein individuelles Ausstattungsbudget beschlossen, das ein wesentlicher Bestandteil der ersten Gesamtbetriebsvereinbarung ist.

Darüber hinaus zeigten die Befragungsergebnisse, dass sich mit Beginn der Pandemie die Work-Life-Balance im Arbeitsalltag verändert hatte. Daraufhin wurden von HR unmittelbar Unterstützungsangebote insbesondere im Bereich Resilienz und Achtsamkeit entwickelt, mit dem Ergebnis, dass in der Befragung im November 2020 die Mitarbeitenden der Bank eine exzellente Unterstützung bescheinigten und 95 Prozent der Befragten Zuversicht äußerten, dass die ING die Corona-Krise gut managen wird.

 

Gute Führung, Wellbeing und Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Unterstützungsangebote durch den HR-Bereich der ING werden konsequent digital ausgerichtet und decken im Rahmen der Pandemie in erster Linie zwei Bereiche ab: Wellbeing und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Bereich Wellbeing wurde Wert gelegt auf Maßnahmen, die sich leicht in den Arbeitsalltag integrieren lassen. So wurde beispielsweise der „WellbeING Useletter“ entwickelt – ein wöchentlicher Newsletter, der Impulse für mehr Bewegung, Mikropausen, Achtsamkeit und Resilienz enthält. Darüber hinaus steht jedem Mitarbeitenden der ING ein jährliches Gesundheitsbudget zur Verfügung, das individuell genutzt werden kann – beispielsweise für den eigenen Sportverein, den Fitnessclub am Wohnort, für Kochkurse oder Ernährungsseminare, aber auch für die medizinische Vorsorge.

Bei den Leistungen rund um Vereinbarkeit von Beruf und Familie konzentrierte sich HR auf die Unterstützung für Familien mit Kindern. Ziel war es, die angespannte Betreuungssituation zu erleichtern, die durch die Schließung von Betreuungseinrichtungen entstanden war.

Für die Führungskräfte fokussierte HR sich auf Qualifizierungsangebote im Bereich virtuelle bzw. hybride Führung. Das agile Führungsverständnis hat sich durch die hybride Arbeitsweise nicht verändert, jedoch müssen Führungskräfte sich darauf einstellen, dass Zusammenarbeit und Interaktion überwiegend virtuell stattfinden. Das speziell entwickelte „Leading Remotely Toolkit“ deckt vier Themenkategorien ab, die jeweils grundsätzliche Tipps und Tricks enthalten sowie auf weiterführende Quellen und spezielle Entwicklungsangebote verweisen:

  • In der ersten Kategorie „Engagement & Wellbeing“ geht es darum, in engem Kontakt zu den Mitarbeitenden zu bleiben.
  • Die zweite Kategorie konzentriert sich darauf, für alle Mitarbeitenden gleichwertige und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, unabhängig vom Arbeitsort.
  • Bei Output-orientierter Führung, der dritten Kategorie, geht es darum, die Leistung der Mitarbeitenden an den erzielten Ergebnissen zu bemessen, nicht an der aufgewendeten Arbeitszeit oder dem Arbeitsort.
  • Die vierte Kategorie fokussiert auf Selbstreflexion, um das Bewusstsein für den eigenen Führungsstil zu schärfen, mögliche Schwachstellen im virtuellen bzw. hybriden Setting zu identifizieren und bei Bedarf anzupassen.

Auch im Bereich Führung hat die agile Arbeitsweise sich als großer Pluspunkt im Umgang mit der Pandemie herausgestellt. Kern der agilen Arbeitsweise sind sich selbst steuernde Teams, die ihre Zusammenarbeit durch agile Routinen strukturieren. Die Führungskraft hat nicht die Aufgabe, zu kontrollieren oder Aufgaben zu verteilen, sie gibt vielmehr die Vision vor und steht im Sinne des „Servant Leadership“ als Problemlöserin oder -löser bereit. Dieses Führungsverständnis hat die Umstellung auf mobiles bzw. hybrides Arbeiten leicht gemacht.

Drei Säulen des Arbeitens und neue Herausforderungen

Die Erfahrungen der ING haben gezeigt, dass die Themenfelder Arbeit, Menschen und Organisation ganzheitlich betrachtet werden müssen. Es geht längst nicht mehr nur um „Human Resources“, sondern um die Einbeziehung der drei Säulen des neuen Arbeitens:

1 Bricks (flexible Gestaltung des Arbeitsplatzes)
2 Bytes (effektive IT-Lösungen)
3 Behaviour (HR-Programme, die das Business und die Unternehmenskultur unterstützen).

Um hierfür innovative Lösungen zu finden, sollte zum einen der Rahmen der eigenen Projektarbeit entsprechend ausgelegt sein, beispielsweise durch cross-funktionale, agile Entwicklungs-Teams. Zum anderen ist das iterative Vorgehen in einem von Veränderung und Disruption geprägten Umfeld auch für HR das Mittel der Wahl. Und bei beiden Aspekten sollte ebenfalls explizit die Mitbestimmung miteinbezogen werden. Denn das zukunftsfähige Arbeitsmodell der ING konnte nur deshalb entstehen, weil die Kolleginnen und Kollegen der Mitbestimmungsgremien sich offen und aufgeschlossen auf eine agile Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin eingelassen haben.

Das „nächste Level“ des Arbeitens bringt für Unternehmen allerdings weitere, neue Herausforderungen mit sich. Das „Continuous Listening-Programm“ der ING ermöglicht der Bank zwar, nah am Puls der Mitarbeitenden und der Teams zu sein, die Weiterentwicklung einer einzigartigen Unternehmenskultur ist jedoch in der hybriden Arbeitswelt ungleich komplexer. Dazu braucht es neue Interventionsformen und eine gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen HR, Kommunikation, der Mitbestimmung sowie anderen Schnittstellenfunktionen.

Darüber hinaus bedarf es neuer Herangehensweisen, um den Zusammenhalt hybrider Teams zu fördern und die Zugehörigkeit und emotionale Bindung zum Arbeitgeber aufrechtzuerhalten und vor allem zu stärken. Auch beim Blick auf die Förderung von Diversity und Inclusion zeichnen sich neue Themenfelder ab: Unternehmen sollten verhindern, dass sich unbeabsichtigt durch die hybride Zusammenarbeit sogenannte „In-Groups“ und „Out-Groups“ bilden.

Zwei zueinander komplementäre Arbeitssphären

Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, müssen Organisationen zukünftig zwei – zueinander komplementäre – Arbeitssphären entwickeln: Auf der einen Seite müssen sie ein Regelwerk schaffen, das mobiles Arbeiten ermöglicht sowie jederzeit und überall verfügbare Kollaborationstools zur Verfügung stellen, die Kreativität fördern und ein hohes Maß an Effektivität gewährleisten.

Auf der anderen Seite: Organisationen müssen inspirierende Büros zur Verfügung stellen.

Das bedeutet, Räumlichkeiten mit einem überzeugenden Flächenkonzept anzubieten, das sämtliche Anforderungen an die Arbeit vor Ort berücksichtigt, die mobil Arbeitenden nahtlos einbezieht und den Arbeitstag im Büro zu einem Erlebnis macht.

Um diese beiden Sphären herum muss ein hybrides Arbeitsmodell entwickelt werden, das die Aspekte Kultur, Inklusion und Wellbeing mit attraktiven Ansätzen umfasst. Der externe – aber auch der interne – Arbeitsmarkt werden ein solches Modell zukünftig genauso voraussetzen wie vor der Pandemie beispielsweise ein Gleitzeitmodell.

 

changement! Heft 01/2022

 

Autoren

Dr. Sebastian Harrer
ist seit Anfang 2018 verantwortlich für HR bei der ING Deutschland. Nach dem Studium und der Promotion (unter anderem Bonn, Paris,
Sydney) war er zunächst als Berater in der Executive Education tätig. Anschließend hatte er in einem Zeitraum von zwölf Jahren verschiedene Rollen in der Bosch-Gruppe inne – sowohl im In- als auch im Ausland.
»Sebastian bei Linkedin

Kathrin Lemmes
leitet seit Mitte 2020 bei der ING Deutschland den Bereich „Talent & Learning“. Nach dem Studium der Wirtschaftspsychologie sowie
des HR Managements im In- und Ausland arbeitete Kathrin Lemmes als Beraterin in einer HR-Managementberatung. 2018 wechselte sie zur ING Deutschland, zunächst in die Funktion der Business Managerin für den Head of HR.
»Kathrin bei Linkedin

Kathi Heinrichs
ist Rechtsanwältin und arbeitet seit April 2020 als Senior Legal Counsel, „Labour Relations & Labour Law“, für die ING Deutschland. Zuvor war sie bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei und einer deutschen Großbank jeweils im Bereich Arbeitsrecht tätig. Seit August 2020 betreut sie die arbeitsrechtlichen Themen rund um „Beyond WorkING“.
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Was hilft Ihnen persönlich, bei potenziellen Veränderungen gute Entscheidungen treffen zu können?

Wie gehen Sie bei der Entscheidungsfindung vor? Die Change-Experten Britta Redmann, Carsten Schermuly & Mirko Bass haben geantwortet und teilen Ihre persönlichen Entscheidungshilfen in der Ausgabe 09/2021 mit uns.


Britta Redmann ist als Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht und Agilität, Systemic Agile Coach und Mediatorin tätig.

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Wie so oft, macht es für mich die Mischung. Meine Mischung umfasst bei wichtigen Entscheidungen folgende drei Komponenten: (1) Eine fundierte Recherche rund um das Entscheidungsthema, (2) der Austausch mit Menschen zu diesem Thema und (3) letztendlich mein Gefühl zur Entscheidung. Für mich lassen sich so am besten Vernunft, der Blick aus unterschiedlichen Perspektiven sowie Emotionen miteinander verbinden. Komponenten, die für mich alle eine wichtige Berechtigung haben. Wenn alles im Einklang ist, ist es leicht und die Entscheidung geht schnell. Gibt es noch Unstimmigkeiten, dann unterstützen mich Methoden aus agilen Formaten bei meinem inneren Dialog, der dann gerne „raus aus dem Kopf“ und „auf dem Flipchart ausgetragen wird“.

Prof. Dr. Carsten Schermuly ist Vizepräsident für Forschung und Transfer sowie Professor für Wirtschaftspsychologie an der Berlin University of Applied Science.

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Entscheidungen zu treffen, ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Existenz und wir werden jeden Tag hundertfach gezwungen zu entscheiden. Deswegen ist es für mich zunächst wichtig zu bestimmen, bei welchen Entscheidungen ich mir eine heuristische, also aus dem Bauch resultierende Entscheidung, erlaube und wann ich systematisch vorgehe. Systematisch gehe ich vor, wenn meine Entscheidungen das Schicksal von mir oder anderen Menschen langfristig beeinflussen (zum Beispiel Karriereentscheidungen). Betreffen die Entscheidungen mich selbst, dann hilft es mir, einen Dialog zu führen und meine langfristigen Lebensziele im Blick zu haben. Den inneren Dialog vollziehe ich in einem Notizbuch. Es ist eine große Unterstützung für mich, wenn ich meine Gedanken und Gefühle darin verschriftliche. Dadurch vergegenständlichen sie sich und ich kann sie besser betrachten. Ich kann sie zur Seite legen, wieder in die Hand nehmen und so auch manchmal das Thema hinter den Themen entdecken. Meine zweite Dialogpartnerin ist in der Regel meine Frau. Es ist von unschätzbarem Wert, eine liebevolle Frau an meiner Seite zu wissen, die als Psychotherapeutin arbeitet und es dadurch beherrscht, Fragen zu stellen.


Mirko Bass ist Business Development Manager bei Cisco Systems mit der Leidenschaft Menschen und Ideen zu vernetzen.

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Wenn wir Entscheidungen für Veränderungen treffen, sind wir oft hin- und hergerissen. In diesen Situationen versuche ich immer mit einer simplen Pro- und Kontra-Liste zu arbeiten, die ich dann mit meinem beruflichen und oftmals auch privaten Umfeld spiegele. In den vergangenen Jahren sind dazu vertrauensvolle „Sounding Boards“ und Netzwerke entstanden, auf die ich mich wirklich verlassen kann. Dazu kommen dann noch das Bauchgefühl und die Frage, wozu ich leidenschaftlich tendiere. Ist die Entscheidung besonders schwierig, versuche ich mich von anderen Meinungen sowie Ratschlägen freizumachen und richte meine Aufmerksamkeit auf das Gefühl und versuche in mich hineinzuhorchen. Es hat auch immer geholfen, mindestens eine Nacht darüber zu schlafen, besonders bei weitreichenden Entscheidungen. Ist die Entscheidung einmal getroffen, sollte man sie nicht ständig wieder infrage stellen. Innerlich sage ich mir dann: „Stopp. Ich habe alle Argumente durchdacht und werde jetzt handeln!“

changement! Heft 09/2021

Die Wirtschaft spielt bei der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft eine ausschlaggebende Rollen. Bei SAP hat man es sich mit dem Ökosystemprogramm Climate 21 zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit anderen Unternehmen dem Klimawandel den Kampf anzusagen und der ökologischen Transformation den Weg zu bereiten.

Wandel ist unvermeidlich. Wandel ist beständig. Wandel ist unbequem. In den letzten Monaten haben wir gesehen, dass wir zwar nicht alle Faktoren bestimmen können, die unser soziales Leben und unser wirtschaftliches Handeln beeinflussen. Aber es gibt Situationen, die uns zum Handeln zwingen, weil sie schonungslos Defizite aufzeigen. Eine instabile Weltwirtschaftslage, Wettbewerbsveränderungen, neue Geschäftsmodelle und nicht zuletzt eine Pandemie führen dazu, dass Unternehmen ihre Arbeitsweise ändern müssen. Eines ist klar, die Herausforderungen der notwendigen ökologischen Transformation können nur gemeinsam gelöst werden.

Unternehmen im Kampf gegen den Klimawandel

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen – dieses Sprichwort spiegelt meine Einstellung wider. Viele aus der Generation, die in den 80er- und 90er-Jahren in Deutschland aufgewachsen sind, erinnern sich vielleicht noch daran, wie wir im Zuge der Abfallpolitik des Landes begannen, unseren Hausmüll zu sortieren. Regierungen und
Unternehmen schlugen Maßnahmen vor, wie dem von Menschen verursachten Klimawandel entgegengewirkt werden kann, und beteiligten sich aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft.

SAP unterstützt die 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen formulierten Nachhaltigkeitsziele und konzentriert sich dabei insbesondere auf Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz. SAP strebt an, bis 2023 CO₂-neutral zu sein. Apple will dies bis 2030 schaffen. Und laut dem NIKE Impact Report 2020 wurden ungefähr sieben Prozent der Produktabfälle des Unternehmens im Rahmen von NIKE Recycling-Initiativen recycelt, während 38 Prozent in den Produkten anderer Hersteller verarbeitet wurden. Dadurch wird klar: Das Rennen um die Rettung unseres Planeten hat begonnen.

Die Zielsetzungen demonstrieren den klaren Willen von Großunternehmen, den Klimawandel proaktiv anzugehen. All diese Initiativen werden jedoch nur erfolgreich sein, wenn sie ganzheitlich und über Unternehmensgrenzen hinweg gedacht und umgesetzt werden. Business-Ökosysteme können dazu ein zielführendes Vehikel sein. Doch wie genau kann dies funktionieren?

ERP als Basis für die Kooperation

Software spielt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung aller Unternehmensfunktionen – von der Fertigung über den Versand und die Auslieferung von Produkten bis hin zum Finanz- und Personalwesen. Laut einer Umfrage von Deloitte erwarten mehr als drei Viertel der Befragten, dass sich ihre Unternehmen in den nächsten fünf Jahren stärker verändern werden als in den vergangenen fünf Jahren. Die Art und Weise, wie Firmen operieren, in Wettbewerb bzw. Kooperationen treten und wachsen, wird sich deutlich verändern. Es wird auf jeden Fall eine Zukunft sein, auf die wir Einfluss nehmen können. Denn wenn digitale Technologien mit neuen und insbesondere unternehmensübergreifenden
Geschäftsmodellen verwoben werden, können Unternehmen etwas bewirken.

Ein großer Unterschied im Jahr 2021 besteht darin, dass sich mehr und mehr Unternehmen auf ihre ERP-Systeme verlassen können, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Es gilt heute mehr denn je, Nachhaltigkeitsmaßnahmen in Geschäftsprozessen zu verankern und aus Daten wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, um daraus skalierbare Maßnahmen abzuleiten, die sich positiv auf das Klima auswirken, sowie Transparenz und soziale Verantwortung in Lieferketten zu fördern. Viele Auslöser, insbesondere die Coronapandemie, haben den digitalen Wandel beschleunigt. Unternehmen digitalisieren ihre Prozesse, um sich an neu entstehende wirtschaftliche Ökosysteme anzupassen und ihren Umsatz und Gewinn zu optimieren. Doch nur wenn sie zusätzlich eine „grüne“ Dimension in ihrer Unternehmensbilanz einführen, können sie Technologien sinnvoll nutzen, die mehr Nachhaltigkeit ermöglichen.

SAP sieht sich als Enabler in der durch den Klimawandel ausgelösten ökologischen Transformation, indem wir mit unseren Software-Angeboten für Transparenz sorgen und die Umsetzung von Initiativen als Matchmaker begleiten. Das kommt vor allem in Climate 21 zum Tragen. Diese Ökosysteminitiative reagiert auf die dringliche Notwendigkeit, Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um eine nachhaltige Umwelt zu schaffen. Das Programm hilft Unternehmen dabei, den ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte und Services zu messen, zu minimieren und offenzulegen. Dazu werden Funktionen in zentralen Analyse- und Transaktionssysteme integriert, die dabei helfen, Treibhausgasemissionen in Betriebsabläufen und Lieferketten zu verfolgen. Auf diese Weise können Unternehmen die CO2-Bilanz bis auf Produktebene ermitteln.

Nachhaltigkeitsmanagement bei SAP

Die Hauptmotivation liegt hier darin, Kunden gemeinsam mit unseren und deren Partnern dabei zu unterstützen, ihre Klimaziele für das 21. Jahrhundert zu erreichen. SAP schafft damit eine Grundlage, um Unternehmen bei der Vorbereitung auf einen Wandel zu helfen, der durch Ansporn von außen und Eigeninitiative vorangetrieben und durch ein grünes ERP-System in der Cloud ermöglicht wird. Die obige Abbildung veranschaulicht die Bestandteile des Sustainability Ecosystems.

Die Strategie in Steuerungskonzepte übersetzen

Voraussetzungen für Widerstandsfähigkeit im Ökosystem sind Kooperationen mit anderen sowie systematische und kontinuierliche Anpassungen an die Nachhaltigkeitsherausforderungen. Die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Unternehmen, Organisationen und jungen Start-ups macht es möglich, gemeinsam Innovationen hervorzubringen und Lösungen zu entwickeln. Damit erhalten Unternehmen Unterstützung bei ihren Dekarbonisierungsstrategien und können die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft entlang ihrer Lieferkette umsetzen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – das gilt auch für die SAP-Initiative Sustainable Future, ein globales Accelerator-Programm mit Accenture, und den SAP.iO Foundries Berlin und München, das jungen Start-up-Unternehmen im B2B-Bereich helfen soll, schnell durchzustarten. Das Programm ermöglicht Unternehmen aus vielen Branchen, gemeinsam Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu bewältigen.

Neben der Etablierung von konkreten Ökosystemformaten und -initiativen ist es wichtig, ein klares Steuerungs- und Verantwortlichkeitskonzept sowie einen Prozess für die Verwaltung und Berichterstattung festzulegen. Ein klares Steuerungskonzept sorgt dafür, dass die zugrunde liegenden Datenanforderungen sowie die Systemanforderungen eindeutig
sind. Der Global Compact der Vereinten Nationen hat mit Unterstützung von Accenture und SAP die Initiative SDG Ambition ins Leben gerufen. Ziel des ganzheitlichen Programms ist es, in den nächsten zwei Jahren die Unterstützung der Führungskräfte von mehr als 1.000 Unternehmen in über 40 Ländern zu gewinnen und Nachhaltigkeit fest in Geschäftsstrategien zu verankern, die dann auch und gerade über Ökosysteminitiativen umgesetzt werden können.

Ein gemeinsames Ziel im Blick

Damit unsere Gesellschaft fortbestehen kann, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Nachhaltigkeitsinitiativen positive Auswirkungen haben. Um den derzeitigen Bedarf an natürlichen Ressourcen zu decken, würden wir einen Planeten benötigen, der 1,6-mal so groß ist wie der unsere. Die Änderung unseres Konsumverhaltens stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Welt dar. Einer Studie von IBM zufolge sind über 70 Prozent der Verbraucher bereit, durchschnittlich 35 Prozent mehr für nachhaltige Produkte und Marken auszugeben. Da die Emissionen entlang der Lieferketten eines Unternehmens jedoch fünfeinhalb Mal höher sind als die des Unternehmens selbst, müssen wir bei diesen Lieferketten ansetzen, um Wertschöpfungsnetzwerke zu realisieren, die nach Ökosystemlogiken funktionieren. Wenn nachvollziehbar wird, welche Emissionen durch die Beschaffung, Herstellung und den Transport von Produkten innerhalb und außerhalb des Unternehmens entstehen, kann ein Unternehmen seine Prozesse gemeinsam mit seinen Zulieferern und Partnern entsprechend anpassen.

Ein intelligentes Unternehmen ist in der Lage, Informationen aus seinem Umfeld in Echtzeit zu erfassen.

Der Schlüssel liegt darin, diese Daten zu nutzen und in Geschäftsprozesse und Abläufe zu integrieren – und mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse sicherzustellen, dass die Entscheidungen, die wir treffen, nicht nur die Geschäftsziele eines Unternehmens voranbringen, sondern auch unsere Nachhaltigkeitsziele. Ökosysteminitiativen wie Climate 21 ermöglichen Unternehmen, die Herausforderungen des Klimawandels ganzheitlich anzugehen und auf weitere Aspekte wie Wasser, Energie, Landnutzung und soziale Bereiche auszuweiten. Die Welt verändert sich – und intelligente Unternehmen können sich diesen Veränderungen anpassen. Technologischer Wandel ermöglicht wirtschaftliche Umbrüche und legt das Fundament für neue Geschäftsmodelle und die ökologische Transformation von Wertschöpfungsketten in nachhaltige Ökosysteme. Dieser Wandel schafft auch Transparenz und Spielraum für nachhaltigeres Handeln innerhalb unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Wer sich gegen diesen Wandel sträubt, wird nicht in der Lage sein, fortzubestehen. Doch wer diesen Herausforderungen auf flexible Weise begegnet, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu vergessen, wird an ihnen wachsen.

 

changement! Heft 08/2021

 

Autor

Jan Gilg

ist der Präsident von SAP S/4HANA, dem Kernprodukt der SAP, das die Bereiche ERP, Finance und Supply Chain umfasst. In dieser Funktion ist er weltweit für die Entwicklung und das Produktmanagement von SAP S/4HANA verantwortlich. Darüber hinaus trägt Jan die Verantwortung für die Produkte im Bereich der Digital Supply Chain und der Industry Cloud. Zum Profil von Jan Gilg auf LinkedIn.

Immer und immer wieder kommunizieren – auf allen Kanälen

Im Mai stellte Evonik Industries als eines der ersten großen deutschen Spezialchemieunternehmen sein ERP-System auf den neuen SAP-Standard S/4HAnA um. Ein Kraftakt, der technisch anspruchsvoll war und mehr als 15.000 Anwenderinnen und Anwender in über 40 Ländern betraf. Mit umfassenden Change-Management-Maßnahmen wurden die Mitarbeitenden darauf sorgfältig vorbereitet.

Als Evonik 2019 beschloss, sein ERP-System auf SAP S/4HANA umzustellen, war klar: Ein Projekt dieser Größenordnung erfordert intensive Vorbereitung und globale Zusammenarbeit. Evonik etablierte dazu das Programm NexGen ERP mit rund 450 Projekt-Mitarbeitenden, in dem alle Teilprojekte gebündelt wurden und alle Fäden zusammenliefen.

Mehr als zwei Jahre lang arbeiteten Business und IT in diesem Programm eng zusammen, um die Umstellung vorzubereiten. Am 24. Mai 2021 war es dann so weit: Über Nacht ersetzte Evonik das alte ERP-System durch das neue System S/4HANA, der Betrieb ging nahtlos weiter.

Change Management als Schlüssel zum Erfolg

Nun könnte man meinen, dass eine solche Systemumstellung in erster Linie Aufgabe der IT-Abteilung ist. Doch neben den technischen Vorarbeiten und umfangreichen Tests des zukünftigen Systems galt es auch, die Anwenderinnen und Anwender darauf einzustimmen:

  • durch kontinuierliche, frühzeitige Informationen
  • durch umfangreiche Schulungen
  • durch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in allen Regionen und Organisationseinheiten

Denn es sind die Anwender, die mit den neuen Prozessen und dem veränderten System arbeiten müssen. Um dies strukturiert anzugehen, setzte Evonik ein Change Management Office (CMO) für das Programm NexGen ERP auf:

Abbildung: Projektorganisation mit Change Management Office (CMO)

Projektorganisation mit Change Management Office (Evonik)

Im ersten Schritt konzentrierte sich das CMO darauf, zu verstehen, was die Umstellung für die Anwenderinnen und Anwender konkret bedeutet. Die gewonnenen Erkenntnisse mündeten in einer Change Story. Sie erläuterte, wie das Zielbild für die Umstellung aussah, warum die Veränderung notwendig war, und wie sie umgesetzt werden sollte. Im Vordergrund standen die Vorteile für den einzelnen Anwender. Dazu gehörten zum Beispiel: die Reduktion manueller Aufwände, keine Verwirrung mehr aufgrund unterschiedlicher Datenquellen sowie die Umsetzung der gewünschten Funktionalitäten.

Change Agents als Sprachrohr in beide Richtungen

Auf Basis der Analyseergebnisse plante, koordinierte und überwachte das CMO die Change-Maßnahmen für NexGen ERP. Um die Reichweite zu erhöhen, wurden außerdem Führungskräfte eingebunden, die ihre jeweilige Organisation während der gesamten Laufzeit begleiteten, sowie Koordinatoren für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche und Regionen.

Die vielleicht wichtigste Arbeit fiel aber den sogenannten Change Agents zu, einer Gruppe von weltweit rund 400 Mitarbeitenden, die nominiert wurden, da sie zum großen Teil selbst SAP-Nutzer und gut in ihrer Organisation vernetzt sind. Sie kannten am besten die Anliegen und Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe und konnten daher sehr persönlich und zielgerichtet Informationen und Unterstützung bieten.  

Die Change Agents erfüllten im NexGen-ERP-Programm zwei wichtige Aufgaben. Zum einen waren sie Multiplikatoren für alle Informationen rund um das Projekt. Dazu informierte das CMO sie alle zwei Wochen über den aktuellen Stand, anstehende Ereignisse und spezifische Änderungen. Diese Informationen gaben sie in der Organisation weiter, nachdem sie sie teilweise sogar in die Landessprache übersetzt hatten.

Zum anderen fungierten sie im Rahmen des Programms als Feedback-Kanal für die Endnutzer, die so Bedenken, Fragen oder sonstige Anmerkungen adressieren konnten. Die Change Agents waren damit ein wichtiges Sprachrohr in beide Richtungen. Auch nach Abschluss der S/4HANA-Umstellung wird das Change-Agent-Netzwerk weiterhin für den aktiven Austausch von Änderungen im ERP-Umfeld genutzt.

Kommunikation hat viele Gesichter

Eine der Hauptaufgaben des CMO war die Kommunikation – sowohl innerhalb des Programms als auch zu den Change Agents und den Endanwendern. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten viele Kommunikationsmaßnahmen auf ein virtuelles Format umgestellt werden. Angefangen mit virtuellen Roadshows in den einzelnen Regionen bis hin zu einer fulminanten virtuellen Go-Live-Party, um den Erfolg der Umstellung zu würdigen, wurden viele kreative Veränderungskampagnen umgesetzt.

Zum Einsatz kamen unterschiedliche Formate wie Poster, Präsentationen, Newsletter und Intranet- Artikel, Videos und Magazinbeiträge. Und auch Anreize wie eine Tester-Lotterie oder sogar ein von der Programmleitung und dem CMO eingesungenes Lied wurden genutzt.

Je näher der Umstellungstermin am 24. Mai 2021 rückte, desto höher war der Informationsbedarf …

… sowohl der Endanwender als auch der Beteiligten innerhalb des Programms. Rund 1.200 Prozess-Experten und Anwender mussten Hand in Hand das neue IT-System vor der Umstellung umfassend testen. Es galt, sie darauf intensiv vorzubereiten und den strukturierten Austausch über die Testergebnisse unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie durch regelmäßige virtuelle Meetings zu organisieren und zu unterstützen. Eine ausreichend lange Nachbegleitungsphase gab den Anwenderinnen und Anwendern zudem die Möglichkeit, Fragen und Probleme zu adressieren, die sich erst in der täglichen Nutzung nach der Umstellung ergaben.

Auch externe Geschäftspartner wie Kunden und Lieferanten wurden aktiv informiert, um gemeinsam mit ihrem Ansprechpartner bei Evonik für mögliche Ausfallzeiten alle notwendigen Vorbereitungen treffen zu können – zum Beispiel der rechtzeitige Abschluss von Bestellungen, Ausdrucke für die manuelle Arbeit, zeitliche Planung von Lieferungen. Dies war wichtig, um den laufenden Geschäftsbetrieb so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.

Trainings auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten

Bei einem Projekt dieser Größe und 15.000 betroffenen Anwendern müssen die unterschiedlichen Anwendergruppen rechtzeitig – und zugeschnitten auf ihren jeweiligen Bedarf – geschult werden. Im Vordergrund standen drei Fragen:

  • Was ändert sich für die individuellen Anwender und Anwenderinnen in ihrer täglichen Arbeit?
  • Welche neuen Funktionen stehen ihnen zur Verfügung?
  • Wie können sie sie nutzen?

In enger Zusammenarbeit mit den fachlichen Ansprechpartnern im Projekt wurden der Trainingsbedarf analysiert, Trainingsinhalte und Schulungsformate zielgruppengerecht definiert und Trainingsmaterialien erstellt. Parallel wurden die Evonik-internen Trainer auf ihre Aufgabe vorbereitet. In „Train-the-trainer“-Schulungen bekamen sie vermitteltet, worauf bei der Durchführung von Schulungen geachtet werden sollte. Viele Schulungen wurden als Live-Event per Microsoft Teams durchgeführt. Das Trainingsteam des NexGen-ERP-Programms übernahm dabei Moderation und Koordination und unter stützte so den Fachtrainer. Die Anmeldung zu den Trainings wurde den Endanwendern möglichst einfach gemacht: Sie wurden per E-Mail zu den für sie relevanten Trainings eingeladen und konnten sich mit einem Mausklick anmelden.

Trainingsmaterial zum Selbststudium in Deutsch, Englisch und teilweise in weiteren Sprachen ergänzte die Schulungen. In einer Trainingsbibliothek war es einfach zugänglich. Zudem wurden alle Schulungen aufgezeichnet, sodass sich die Anwenderinnen und Anwender das Training jederzeit erneut ansehen konnten. Alle diese Maßnahmen stellten sicher, dass sie über das notwendige Wissen für die Neuerungen nach der Umstellung verfügten.

Vertrauen ist gut, Veränderungscontrolling ist besser

Um die Wirkung der unterschiedlichen Change-Maßnahmen zu evaluieren und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen anstoßen zu können, führte das NexGen-ERP-Programm eine weltweite Anwenderbefragung einen Monat vor der Umstellung durch. Zusätzlich wurden auch die Change Agents online befragt. In regelmäßigen Abständen sollten sie einschätzen, wie gut die Anwender in ihrem jeweiligen Umfeld informiert und vorbereitet waren. Die Ergebnisse wurden offen diskutiert und waren die Basis, um gemeinsam weitere Maßnahmen zu definieren. Die Abfragen trugen außerdem dazu bei, auch im Führungskreis die Notwendigkeit und den Wert von Change-Maßnahmen zu verdeutlichen. Seit Ende Mai 2021 läuft das zentrale ERP-System von Evonik mit S/4HANA. Aus technischer Sicht ist die Umstellung erfolgreich umgesetzt – und auch aus Sicht des Change Managements: Viele Rückmeldungen aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens zeigen, dass die Mitarbeitenden den „Change“ gut angenommen haben. Es gab kaum Schwierigkeiten im Umgang mit dem neuen IT-System, das damit von Anfang an auf sicheren Beinen stand.

Natürlich war es nicht möglich, jeden Mitarbeitenden zu einem begeisterten Befürworter der Umstellung zu machen. Das kann und soll Change Management aber auch gar nicht leisten. Dass eine Umstellung in dieser Größenordnung aber nicht nur technisch, sondern auch mit Blick auf die beteiligten Menschen so unproblematisch abläuft, ist nicht selbstverständlich. Das zeigt, dass bei IT-Projekten mit hoher Anwenderzahl ein gutes, begleitendes Change Management sinnvoll ist.

Evonik wird auch weiterhin von dem etablierten Netzwerk aus Change Agents profitieren. Denn sie wollen ebenfalls für zukünftige Themen als Multiplikatoren tätig sein.

 

Autorin

Vali Maria Bluma hat in Kommunikations-, HR- und Operations-Excellence-Funktionen bei EnBW, E.ON Ruhrgas und Heraeus gearbeitet. Seit Februar 2017 ist sie bei Evonik und war von Juni 2019 bis Juni 2021 Change Management Office Lead im NexGen-ERP-Programm. Seit Juli dieses Jahres ist Vali Maria Bluma Transformation Office Lead bei Operations Excellence.

Der Begriff „Vorbilder“ mag veraltet erscheinen, aber ihre Rolle im Veränderungsprozess bleibt entscheidend. Vorbilder, oder auch Role Models genannt, sind essenziell, um den Wandel voranzutreiben. Im Beitrag „Role Models im Change“  wird dies thematisiert.

Die Zukunft der Arbeit in der neuen Normalität – mehr als nur Homeoffice

Schon seit 2018 gibt es bei Siemens eine Initiative zur Zukunft der Arbeit. Aufgrund der Corona-Pandemie ist diese Zukunft nun schneller Wirklichkeit geworden als gedacht. Mobiles Arbeiten, hybride Arbeitsmodelle, das Büro als Ort der Vernetzung: Die neue Normalität ist Alltag geworden. Ein Zurück gibt es nicht. Im Gegenteil. Nun wird in dem Technologiekonzern auch eine neue Führungskultur vorangetrieben, die auf Befähigung und ein Growth Mindset setzt.

Seit über einem Jahr ist mobiles Arbeiten für Tausende Mitarbeitende von Siemens Alltag – in Deutschland und weltweit. Auch ich arbeite seit Beginn der Pandemie im März 2020 nicht mehr in meinem Büro, sondern von zu Hause. Eine Situation, wie wir sie jetzt erleben, hatte sicher niemand von uns kommen sehen. Und Anfang vergangenen Jahres hätte auch in unserem Unternehmen
niemand die Prognose gewagt, dass die virtuelle Zusammenarbeit großer Teile der Belegschaft auf Anhieb so reibungslos funktionieren würde. Wahr aber ist: Schon lange vor dem Ausbruch der
Covid-19-Pandemie haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie wir in Zukunft (zusammen-)arbeiten werden. Seit 2018 untersuchen wir im Rahmen unserer #FutureOfWork-Initiative neue, zukunftsweisende Arbeitsmodelle und analysieren, wie Digitalisierung und Automatisierung unsere Tätigkeiten und Kompetenzen verändern werden. Die Pandemie hat unsere Initiative und die damit verbundenen Aktivitäten weiter vorangetrieben und gleichzeitig neue Fragen in den Mittelpunkt gerückt:

  • Welche Rolle spielt künftig noch das (physische) Büro?
  • Inwiefern braucht es eine Anwesenheitspflicht?
  • Und wie sieht gute Führung in der digitalen Welt aus?

Gleichgültig, welche Konzepte es zuvor bereits gab – Corona hat die Digitalisierungsambitionen der Wirtschaft radikal beschleunigt. Siemens ist dafür ein gutes Beispiel: Im Juli vergangenen Jahres haben wir als erstes Industrieunternehmen das mobile Arbeiten an zwei bis drei Tagen pro Woche zum Standard in der „neuen Normalität“ ausgerufen. Dieses Angebot an unsere  Beschäftigten gilt nach überstandener Pandemie, wenn der Krisenmodus vorbei ist. Das erweiterte mobile Arbeiten im hybriden Modell ist eines der Kernelemente der neuen Normalität, des New Normal Working Models, wie wir es bei Siemens nennen.

Mobiles Arbeiten als Kernelement der neuen Normalität

Ziel unseres „New Normal Working Models“ ist, die bestehenden Regelungen des mobilen Arbeitens für die Zeit nach der Pandemie weiterzuentwickeln. Mit mobilem Arbeiten meinen wir mehr als nur das reine Homeoffice. Stattdessen sollen Mitarbeitende denjenigen Arbeitsort wählen, an dem sie am produktivsten arbeiten können. Dieses neue hybride Arbeitsmodell schließt daher explizit innovative Arbeitsumgebungen wie etwa Co-Working-Spaces oder auch andere Siemens-Standorte mit ein. Wo die Arbeit verrichtet wird, ist im Grunde nicht mehr wirklich relevant.
Was zählt, sind die Ergebnisse. Unser „New Normal Working Model“ sieht vor, dass die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, nach der Pandemie an durchschnittlich zwei bis drei Tagen pro Woche mobil zu arbeiten. Natürlich unter der Prämisse, dass sie sich dies wünschen und es aufgrund ihrer Aufgaben und Anforderungen umsetzbar ist. Dabei ist selbstverständlich, dass mobiles Arbeiten ein freiwilliges Angebot darstellt und keinen Zwang. Wir setzen dies nicht nur lokal, sondern auch auf globaler Ebene um. Insgesamt umfasst das Konzept mehr als 140.000 Mitarbeitende von Siemens an über 125 Standorten in 43 Ländern. Dabei berücksichtigen wir immer lokale gesetzliche Anforderungen und die Vorgaben der jeweiligen Tätigkeiten.

Transformation der Unternehmens und Führungskultur

Das mobile Arbeiten ist sicherlich das greifbarste Element unseres „New Normal Working Models“, für sich allein greift es aber noch zu kurz. Damit es zum Erfolg wird, müssen wir eine  umfassende Transformation unserer Unternehmens- und Führungskultur vorantreiben. Was Unternehmen und Führungskräfte brauchen, ist ein gemeinsames Verständnis darüber, wie Mitarbeitende befähigt werden können, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Führungskraft nimmt dabei eine signifikante Rolle ein, indem sie den Teammitgliedern die Freiheit gibt, ihre Arbeit so zu gestalten, dass bestmögliche Ergebnisse für Unternehmen, Kunden und Gesellschaft erzielt werden können. Das sogenanntes Growth Mindset steht bei Siemens dabei im Zentrum. Denn nur wer offen gegenüber Veränderungen sowie neuen Arbeitsweisen ist, bleibt auch zukünftig relevant für den Arbeitsmarkt.

Wir sind überzeugt: Führung basiert auf Vertrauen, nicht auf Kontrolle. Es geht darum, Mitarbeitenden das größtmögliche Vertrauen entgegenzubringen, sodass sie ihre Aufgaben erfolgreich erledigen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen können. „Growth Mindset“ und „Empowerment“ – also lebenslanges Lernen vorantreiben und Mitarbeitende befähigen – das sind die beiden zentralen Eckpfeiler, auf denen unser Führungsstil basiert. Ich glaube fest daran, dass wir als Individuen immer dann bessere Entscheidungen treffen, wenn wir im Rahmen unserer  Tätigkeit eigenverantwortlich handeln können. Verantwortliches Arbeiten stärkt die persönliche Resilienz sowie die Relevanz für den internen und externen Arbeitsmarkt und dadurch die  nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit jedes und jeder Einzelnen. Deshalb ist die Befähigung („Empowerment“) unserer Belegschaft nicht nur ein elementarer Teil des „New Normal Working Models“, sondern auch unserer #FutureOfWork-Initiative. Und schließlich setzen Befähigung und Vertrauen Geschwindigkeit und Agilität frei – wichtige Faktoren, um Leistungspotenziale zu  heben und Innovation zu stärken. Aber nicht nur das: Wir haben in der Pandemie gelernt, wie flexibel und anpassungsfähig wir sein können und in Krisen auch sein müssen. Dies nutzen wir, um die digitale Transformation proaktiv zu gestalten.

Kulturelle Weiterentwicklung als Prozess

Jeder, der sich in seinem Leben mit Kulturveränderungen beschäftigt hat, weiß, dass nachhaltiger Wandel Zeit und Geduld erfordert. Wer glaubt, ein Unternehmen mit fast 300.000  Mitarbeitenden quasi über Nacht verändern zu können, wird scheitern. Umso wichtiger ist es, allen Beschäftigten deutlich zu machen, dass die Kulturveränderung eine zentrale Priorität für das Unternehmen hat. Mit einer umfassenden Gesamtbetriebsvereinbarung, die wir erst kürzlich Anfang März mit den Arbeitnehmervertretern geschlossen haben, wurde das „New Normal Working Model“ nun auch formal besiegelt. Die Vereinbarung regelt detailliert alle Rechte, aber ebenso die Pflichten des Einzelnen im „New Normal“. Denn mobiles Arbeiten erfordert ebenfalls ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Eigenmotivation, Organisationsfähigkeit, Selbstständigkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme.

Vor allem für Führungskräfte hat sich der Kontext durch die Digitalisierung und nun verstärkt auch durch die Pandemie entscheidend verändert; ein neues Führungsverhalten ist gefordert. Das grundsätzliche Verständnis einer digitalen Ökonomie und das handwerkliche Beherrschen diverser Kollaborationstools sind notwendige Fähigkeiten. Führungstugenden und Werte wie Vertrauen, Empathie, Wertschätzung und Offenheit erhalten zudem eine neue Relevanz. Für eine nachhaltige Kulturveränderung haben wir bei Siemens vier Voraussetzungen definiert, die sich auch in  unseren Führungskräfteprogrammen wiederfinden. Diese beinhalten erstens das Fördern von Verständnis und Überzeugung – was sich durch das vergangene Jahr fast von allein ergeben hat. Zweitens steht die Entwicklung von Talent und Fähigkeiten im Vordergrund. Drittens ist es wichtig, eine unterstützende Umgebung zu bieten und viertens müssen Führungskräfte, beginnend  beim Vorstand, als Vorbilder fungieren. Denn nur wenn man sieht, dass die Elemente des „New Normal Working Models“ und der neuen Kultur gelebter Alltag im Management des Unternehmens sind, ist man bereit, diese auch für sich selbst anzunehmen. Bei uns ist genau das der Fall: Der gesamte Vorstand steht hinter der Idee und ihrer Umsetzung. Dies wird einmal mehr dadurch bestätigt, dass sich das „New Normal Working Model“ nahtlos in unser Konzept von der Zukunft der Arbeit (#FutureOfWork) einfügt.

Das Büro als Ort der Kreativität und des Austauschs

Mobiles Arbeiten ist fester Bestandteil im Arbeitsalltag unserer Mitarbeitenden. Offen bleibt: Welchen Wert haben Büro und Arbeitsplatz überhaupt noch? Verlieren sie an Bedeutung? Wie sollten sie in Zukunft gestaltet sein?

Wir sind davon überzeugt, dass sich die Funktion des Büros tiefgreifend wandeln wird. Künftig wird der Arbeitsplatz ein Ort sein, an dem man „aktivitätsbasiert“ arbeitet. Diese Art der Arbeit muss sich in der architektonischen Struktur des Büros wiederfinden. In Zukunft werden die Menschen auch weniger ins Büro gehen, um dort individuell und ungestört zu arbeiten, sondern  vielmehr, um mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu kommen, sich auszutauschen, kreative und gemeinschaftliche Prozesse anzuschieben. In den Vordergrund rücken werden also  teamorientierte Aktivitäten, die das Büro weit stärker noch als bisher zu einem Ort der persönlichen Begegnung, des Zusammenarbeitens und des Netzwerkens machen. In Zukunft brauchen wir  offene und flexible Flächen, also Bereiche für kreative Kollaborations- und Projektarbeit, Räume für konzentriertes Arbeiten und auch Erholungszonen.

Hybride Arbeitsmodelle geben Raum zur  Entfaltung

Mit unserem bestehenden Bürokonzept haben wir hierfür bereits an vielen unserer Standorte eine solide Grundlage. Denn bereits in den vergangenen Jahren hat Siemens weltweit für  über 80.000 Mitarbeitende neue Arbeitswelten und innovative Formen der Zusammenarbeit eingeführt. Diese werden weniger durch feste Vorgaben als vielmehr durch einen Leitfaden, der sich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Standorte und Geschäftseinheiten zuschneiden lässt, umgesetzt. Hieran knüpfen wir an und werden – wann immer erforderlich – unsere  Bürowelt an die veränderten Bedürfnisse im „New Normal“ anpassen. Erste Pilotprojekte zur Gestaltung des Büros der Zukunft laufen bereits. Die Covid-19-Pandemie wird enden, doch die Neuerungen in unserer Arbeitswelt werden bleiben und uns weiterhin begleiten. Wir haben sehr frühzeitig tiefgreifende Entscheidungen getroffen, wie wir die neue Normalität im Alltag der  Mitarbeitenden umsetzen wollen. Die Vorteile liegen auf der Hand – für die Beschäftigten und für Siemens. Wie eine aktuelle Studie von Boston Consulting Group, Stepstone und The Network  zeigt, wünschen sich 81 Prozent der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch in Zukunft hybrid zu arbeiten. Unsere betriebsinternen und internationalen Umfragen bestätigen dies. Mit dem „New Normal Working Model“ kommen wir genau diesem Wunsch nach. Zugleich schärfen wir mit dem Bekenntnis zum mobilen Arbeiten unser Profil in einem sich zuspitzenden Kampf um die besten Talente am Markt. Und nicht nur das: Mit dem „New Normal Working Model“ setzen wir einen weiteren Meilenstein für die Zukunft der Arbeit und ihre proaktive Ausgestaltung. Denn als Unternehmen müssen wir Orientierung geben und Rahmenbedingungen schaffen, damit sich unsere Mitarbeitenden am Arbeitsort ihrer Wahl voll entfalten können.

Autor:

Dr. Jochen Wallisch ist seit November 2016 Executive Vice President HR, Industrial Relations & Employment Conditions bei der Siemens AG in München. Außerdem ist er seit Februar diesen  Jahres für die globale Ausbildung der Siemens AG (Siemens Professional Education) verantwortlich. Bevor Jochen Wallisch zu Siemens wechselte, war er unter anderem Geschäftsführer der Lufthansa-Tochter Eurowings.

Wie der Wandel zur anpassungsfähigen Organisation gelingt

Veränderung als stetige Aufgabe beschäftigt die Mehrheit der Unternehmen. Viele sind auf der Suche nach innovativen Organisationsformen, die vor allem ein Höchstmaß an Flexibilität ermöglichen – einer der wichtigsten Faktoren, um langfristig erfolgreich sein zu können. Es geht aber nicht nur um schnelles Reagieren, sondern auch um das proaktive Vorausschauen und Gestalten sowie das Neudenken aller Dimensionen eines Unternehmens. Es geht um die Schaffung einer Super-Responsive-Organisation.

Die Veränderungsfrequenz hat sich durch technologische Disruption und zunehmende Digitalisierung noch weiter beschleunigt. Das Marktumfeld ist nochmals globalisierter, kompetitiver und weniger vorhersehbar geworden. Und spätestens seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist klar: Unternehmen, die es nicht schaffen, ihre Anpassungsfähigkeit drastisch zu steigern, können ob der aktuellen Veränderungsfrequenz nicht nachhaltig bestehen. Umgekehrt zeigt sich: Organisationen, die bereits vor der Pandemie anpassungsfähig waren und Veränderungen nicht scheuten, schaffen es sogar unternehmerisch gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Die Realität ist jedoch überwiegend ernüchternd: 50 Prozent der Unternehmen sind heute in funktionalen Silos sowie in Befehls- und Kontrolldenkweisen gefangen und verwenden dabei „Hardware“ (Strukturen) aus dem 19. Jahrhundert mit der „Software“ (Arbeitsweisen) des 21. Jahrhunderts. Das zeigt die aktuelle Deloitte-Studie „Enterprise Adaptability“.

Alle Elemente einer Organisation neu denken

Die bislang typischen, alle acht bis zehn Jahre stattfindenden Reorganisationsmaßnahmen reichen nicht, um eine Super-Responsive- Organisation (SRO) zu schaffen. Die SRO fordert und praktiziert eine Veränderungsfreudigkeit, die weit über reine Reaktionsbereitschaft hinausgeht. Es geht nicht nur um schnelles Reagieren, sondern ebenso um das proaktive Vorausschauen und Gestalten. Um dies zu erreichen, müssen alle Elemente, die eine Organisation ausmachen, in puncto Anpassungsfähigkeit und Flexibilität neu gedacht werden. Neben der Struktur gehört dazu das Ökosystem des Unternehmens, die Teams und ihre Zusammenarbeit untereinander, die Führung der Teams sowie ihrer Mitglieder und natürlich die Individuen selbst.

Ökosystem

„Das Ökosystem ist eine Struktur, die aus voneinander abhängigen Akteuren innerhalb und außerhalb der Organisation besteht, die sowohl individuelle als auch kollektive Ziele verfolgen“, heißt es in dem Artikel „The Future of Work Is Through Workforce Ecosystems“, der in diesem Jahr in der MIT Sloan Management Review erschienen ist. Bislang haben Unternehmen, um ihre Marktrelevanz und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, vor allem aber auf sich selbst geschaut. Sie haben in unregelmäßigen Abständen den Markt gescannt und das intern vorhandene Wissen ihrer breiten Belegschaft oder ihrer externen Partner und Partnerinnen eher selten genutzt, schon gar nicht in Echtzeit. Anpassungsfähige Unternehmen vom Typ SRO hingegen bauen und nutzen ihre Ökosysteme strategisch.
Das hat einerseits den Vorteil, dass eine geschärfte Wahrnehmung von Veränderungen in der Umwelt besteht und beispielsweise rascher auf schwankende Nachfragesituationen reagiert werden kann. Andererseits ermöglicht ein strategisch genutztes Ökosystem tiefere Einblicke in die Bedürfnisse der Kunden, Allianz- und Geschäftspartner. Zudem wird der Begriff der Belegschaft deutlich weiter gefasst und schließt auch zeitweise Beschäftigte, Leih- und Drittarbeiterinnen sowie -arbeiter ein. DB Cargo geht beispielsweise mit der Initiative „Wir sind Güter“ weit voran und  bezieht in den Weg zu einer emissionsfreien Güterlogistik nicht nur Lieferanten und Vertragspartner, sondern sogar Kunden mit ein.

Organisation

Die SRO zeichnet sich durch hohe Flexibilität gegenüber externen Dynamiken wie geänderten Marktanforderungen aus. Eine solche Organisation ist in der Lage, cross-funktionale Teams ebenso schnell auf- wie abzubauen und Entscheidungen tatsächlich dort zu treffen, wo die dafür nötige Kompetenz liegt. So steht an dieser Stelle die Frage des „richtigen“ Organisationsdesigns im Raum, das die notwendige Flexibilität gewährleistet. Diesbezügliche Modelle existieren zuhauf: das Spotify-Modell, Holacracy, das Viable System Model oder auch das kollegial geführte Unternehmen sind nur einige Beispiele. Doch ist die Frage des Organisationsmodells ohnehin nur der Startpunkt für weitere ganz wesentliche Gestaltungsparameter: (globale) Jobarchitektur, Karrieremodelle, Budgetallokation, Planungszyklen und Betriebsvereinbarungen gehören hier zu den relevantesten. Von den massiven Wechselwirkungen mit der Unternehmenskultur ganz zu schweigen. Die erfolgreiche Umsetzung eines Modells in die Unternehmensrealität ist zudem stets vom Kontext abhängig. Das heißt, was für die eine Organisation funktioniert, stellt sich für die andere vielleicht als großes Missverständnis heraus.

Team

In der SRO werden die Teams zum wichtigsten Baustein, da Wertschöpfung und Kundeninteressen im Mittelpunkt aller Teamaktivitäten stehen. Damit dies gelingt, müssen zwei Dinge gewährleistet sein. Einerseits werden agile Praktiken wie regelmäßige Feedback-Schleifen, iterative Bewertungen und eine datengesteuerte Entscheidungsfindung als Katalysator für eine reibungslose und erfolgreiche Zusammenarbeit angewendet. Anderseits braucht es vielfältige Perspektiven im Team und ein ausreichendes Maß an Psychological Safety, sodass Fehler nicht zu unmittelbaren negativen Konsequenzen führen, sondern vielmehr als Möglichkeit gemeinsamen Lernens wahrgenommen werden. In der Umsetzung stellt sich rasch die Frage, wie weit flexible oder anpassungsfähigere Arbeitsweisen skaliert werden sollten und können. Ein stufenweises Vorgehen mit kritisch-konstruktiver Betrachtung, welche Teams für eine flexible Arbeitsweise geeignet sind und welche nicht, ist derzeit die häufigste Wahl. Dabei werden (noch) oftmals die dafür notwendigen Governance- und Strukturfragen wenig beachtet. Die Teams in der SRO benötigen transparente Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten, eine übergreifende Planung sowie auf die neue Arbeitsweise abgestimmte Budgetierungsprozesse. Dies kann konkret bedeuten, dass Schnittstellen zwischen den Teams besonders klar definiert werden und in der Budgetierung bewusst flexible Komponenten enthalten sind, die wie Wagniskapital eingesetzt werden können.

Führung

Um agile Entscheidungsprozesse zu fördern, muss die Organisation klare Bedingungen schaffen und die Rolle von Führung neu definieren. Dies bedeutet erstens, dass Führung auf jeder Ebene unabhängig von Hierarchie stattfindet. Dabei ist Führung eine Teamleistung und kann zum Beispiel auch als „Community Lead“ gelebt werden. Zweitens geht es bei Führung weniger um Fachexpertise oder gutes Auftragsmanagement als darum, Individuen gezielt zu verbinden und teamübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Letztlich bedarf es einer Toleranz gegenüber Risiken und Ambiguität, um eine Lernkultur zu schaffen. Eine Führungsrolle in der SRO übernimmt, wer als inklusive Vernetzerin bzw. als inklusiver Vernetzer agiert, sowie Fehlertoleranz und Risikobereitschaft als Erfolgsfaktoren des eigenen Tuns erachtet. In der Praxis kann dies bedeuten, dass disziplinarische und fachliche Führung getrennt und Führungsrollen auf allen Ebenen ermöglicht werden – auch als Experten. Gleichzeitig können neue Anforderungen an Führung in Entwicklungsinstrumente und Kompetenzmodelle integriert werden.

Individuum

Bei jeder Reorganisation benötigen Mitarbeitende Unterstützung, um sich in neuen Organisationsformen rasch zurechtzufinden. Das Individuum muss widerstandsfähig sein, um mit Unsicherheiten umgehen zu können, Veränderungen als neue Normalität anzunehmen und dabei stets die bestmögliche Lösung für Kunden im Blick zu behalten. Zu diesem Zweck benötigen Mitarbeitende konkrete Unterstützung, diesen Mindset-Shift zu bewältigen sowie Vielfalt und Veränderung als Chance zu begreifen.

Auf welcher Ebene beginnen?

Die SRO ist allerdings keine Blaupause und die Transformation bringt gravierende Veränderungen mit sich. Es empfiehlt sich, die Kapazität der Organisation, sich an Veränderungen anzupassen und zugleich die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, kontinuierlich im Blick zu behalten. Eine Veränderung kann durchaus experimentell angegangen werden, indem beispielsweise auf der Teamebene die Entscheidungskompetenz sukzessive erhöht wird. So steht zu Beginn einer Transformation zur SRO die entscheidende Frage, mit welcher Ebene gestartet wird. Das kann entweder die Ebene mit dem größten Handlungsbedarf sein oder die Ebene, auf der am schnellsten Ergebnisse spürbar werden. Wichtig ist dabei die stetige Betrachtung möglicher Wechselwirkungen zwischen den Ebenen und eine kontinuierliche Anpassung des Veränderungsvorhabens. In der Praxis sind Unternehmen mit der Abwägung konfrontiert, ob eine Näherung besser über die Ablauforganisation (sprich Einführung agiler Arbeitsweisen oder digitalisierter Prozesse) oder die Aufbauorganisation (strukturelle Anpassungen) umgesetzt wird. Die mögliche zusätzliche Komplexität paralleler IT-Systemeinführungen sei an dieser Stelle ausgeklammert. Beide Wege versprechen Erfolge, jedoch gelingt eine Umsetzung auf der strukturellen Ebene als erster Schritt häufig besser. Wenn das Strukturdesign die Unternehmensstrategie abbildet, so gelingt dem Unternehmen in der Regel auch ein konsequentes Vorgehen bei der Umsetzung neuer Prozesse und Tools. Grundsätzlich jedoch gilt: Je flexibler und holistischer das Vorgehen, desto größer ist die Erfolgsaussicht auch in unsicheren Zeiten.

Autorinnen:

Maren Hauptmann ist Partnerin im Consulting bei Deloitte und leitet den Bereich Human Capital in Deutschland. Sie ist spezialisiert auf Organisationsdesign, strategisches Veränderungsmanagement sowie neue Arbeitswelten und begleitet seit mehr als 20 Jahren deutsche, europäische und globale Unternehmen bei großen Organisations- und Unternehmenstransformationen.

Tanja Waldner ist Director im Consulting bei Deloitte und leitet in Deutschland den Bereich Organization Design. Sie ist Expertin für Organisationsveränderung und die Entwicklung agiler Organisationen. Sie begeistert sich vor allem für das
Design zukunftsfähiger Organisationen, die Initiierung von Verhaltensänderungen und das Moderieren von hochwirksamen Workshops zum Leadership Alignment.

Als Adel Al-Saleh 2018 als CEO zu T-Systems kam, galt das Unternehmen als das Sorgenkind der Deutschen Telekom. Nach einigen Umstrukturierungen und harten Entscheidungen ging es zuletzt wieder aufwärts. Im Interview „Kulturelle Transformation bei T-Systems“ spricht er über die Gründe für die Restrukturierung, sein Verständnis eines Change Leaders und seine Begeisterung, den kulturellen Wandel mit den Mitarbeitern gemeinsam voranzutreiben.